{"title":"Hermann Broch und die österreichische Moderne. Literatur, Kunst und Wissenschaftsphilosophie Hrsg., Paul Michael Lützeler und Thomas Borgard (review)","authors":"Martin A. Hainz","doi":"10.1353/oas.2024.a921911","DOIUrl":null,"url":null,"abstract":"<span><span>In lieu of</span> an abstract, here is a brief excerpt of the content:</span>\n<p> <span>Reviewed by:</span> <ul> <li><!-- html_title --> <em>Hermann Broch und die österreichische Moderne. Literatur, Kunst und Wissenschaftsphilosophie</em> Hrsg., Paul Michael Lützeler und Thomas Borgard <!-- /html_title --></li> <li> Martin A. Hainz </li> </ul> Paul Michael Lützeler und Thomas Borgard, Hrsg., <em>Hermann Broch und die österreichische Moderne. Literatur, Kunst und Wissenschaftsphilosophie</em>. Paderborn: Brill Fink, 2023. 282 S. <p>Hermann Broch ist ein paradigmatischer Moderner in einem zuweilen geradezu paradigmatisch unmodernen Land gewesen. Vielleicht auch darum bringt Österreich diese Moderne hervor: Die Mobilität—und dann noch die “Mobilität der Erde” (7)—ist ein wesentliches Motiv dessen, was hier nicht immer gedieh und gedeiht. Gegen den bloßen Zerfall des Überkommenen zu <strong>[End Page 125]</strong> Schlimmerem stellt er eine “Systemtheorie” (7), deren Kontexte und Inspirationen oder Voraussetzungen wie auch Hemmnisse der vorliegende Band beleuchtet, den Paul Michael Lützeler und Thomas Bogard basierend auf einem Wiener Symposion nun vorlegen.</p> <p>Es geht um eine Umwälzung, revolutionär, aber auch diese beobachtend. Broch schreibt modern und von der nicht nur “ästhetischen Revolution”, etwa in Gestalt der “Durchbrechung und Überholung der Poetik-Konvention” (11) gegeben, die er an unter anderem James Joyce wahrnimmt. Lützeler beschreibt eben dies in seinem wunderbaren Beitrag, der die Paradoxie der Irritation einfängt—auch Broch mag “langsam das Organ für das Neue verliere(n)” (15), wenn er auf Canetti mit “skeptischer Anerkennung” (15) reagiert; und diese (darum: Selbst-)Beobachtung ist eine, die Lützeler aus der Korrespondenz Brochs wörtlich <em>zitiert</em>.</p> <p>Barbara Mahlmann-Bauer beschreibt die Entdeckung der Dissonanz an Broch und Schönberg. Dieser Kontakt impliziert schon die Erweiterung zu Alban Berg, aber auch Karl Kraus, dessen “Eloquenz” (30) die Leserschaft die Relevanz des Ausdrucks für das zu Sagende entdecken lasse—Gegenmodell zum niemals so scharfen Kitsch, den diese “Konzessionslosigkeit” (31) nicht auszeichnen kann. Hieraus ergibt sich die ethische und ästhetische Allianz, rund um die <em>Schlafwandler</em> Brochs dargelegt: “Die Musik ist Sprache” (41), wie Anton Webern hierzu schließlich zitiert wird.</p> <p>Broch und Hofmannsthal porträtiert Mathias Mayer. Auch hier ist es der Zerfall, teils aufgrund der Analyse nicht nur sichtbar, sondern eingeleitet, der ein klareres Denken ermöglicht und zugleich als notwendig darlegt. Angesichts der zugleich großen Differenzen ist es eine Nähe “wider Willen”, “Broch muss [. . .] mehr Gefallen gefunden haben an vielen Texten dieses von ihm gleichwohl aus großem Abstand gesehenen Autors” (54), als ihm lieb gewesen sein mag. Die Lektüren Brochs sind intensiv, aber nicht überall belegt, insbesondere den <em>Schwierigen</em> betreffend, wo sonst die “Ethik-Konzeptionen in Verbindung zu bringen” (55) wären.</p> <p>Das Zwiegespräch innerhalb des Textes wird bei Sebastian Kirsch geschildert: <em>Die Schuldlosen</em> bilden ein Chor, der das Dämonische in eben jener Auseinandersetzung registriert. Zuletzt entsteht so eine Konstellation, mit der Hannah Arendts Eichmanns-Essay assoziiert wird, nicht grundlos ist sie begeistert von Zerline und den Marionetten der deformierten Schlauheit derselben. Auch Naser Šečerović analysiert diese Analysen und dann Kritiken Brochs zur politischen Antimoderne, die “rational-irrationale Polyphonie” <strong>[End Page 126]</strong> (95) ist das, was scheitert, aber auch das, woran die Antimoderne noch immer weiter scheitert, die sich statt der Analyse der “Pseudoekstase” (109) verschreibt.</p> <p>Auf die Friedensforschung bezieht Werner Wintersteiner sich, Brochs weltbürgerliche Existenz und Programmatik steht für ihn in einer Traditionslinie “von Sigmund Freud [. . .] bis Günther Anders oder Robert Jungk”, die allesamt in und trotz Österreich—angesichts der “Verstrickungen” des Landes—“ihr paszifistisches und gesellschaftskritisches Wirken entfalteten (128).”</p> <p>Vom Ästhetischen ins Epistemologische wechselt der Band in den Beiträgen der zweiten Hälfte. Die Mengenlehre untersucht Borgard, dabei auch eine “Kluft” feststellend: zwischen “literarisch-ästhetischer und wissenschaftlich-technischer Kultur” (147). Eben jene Kluft überwinden die mit Hans Vaihingers Als Ob formulierten Ironien, die Alice Stašková vorlegt, wie gewohnt luzide sind ihre Überlegungen, die Vaihinger—allerdings ein Phänomen der “Resonanz” (192) Kants, auch die Rezeption von dessen <em>Philosophie des Als Ob</em> samt Volksausgabe betreffend—und Broch zueinander in Beziehung setzen. Die “Metafiktion” (194) gestatte einen optimistischen Realismus, den Broch freilich “zunehmend kritisch” (197) sieht, so Stašková: “Systematik” sei das eben gerade nicht, was Vaihinger gestattet, was sich aber seine Anhängerschaft gestatten will.</p> <p>Anders ist es mit Rudolf Carnap, zu dessen Vorlesungen Mitschriften Brochs existieren; Matthias Neuber bietet dazu einen Bericht aus dem Archiv, mit Schl...</p> </p>","PeriodicalId":40350,"journal":{"name":"Journal of Austrian Studies","volume":"40 1","pages":""},"PeriodicalIF":0.1000,"publicationDate":"2024-03-08","publicationTypes":"Journal Article","fieldsOfStudy":null,"isOpenAccess":false,"openAccessPdf":"","citationCount":"0","resultStr":null,"platform":"Semanticscholar","paperid":null,"PeriodicalName":"Journal of Austrian Studies","FirstCategoryId":"1085","ListUrlMain":"https://doi.org/10.1353/oas.2024.a921911","RegionNum":0,"RegionCategory":null,"ArticlePicture":[],"TitleCN":null,"AbstractTextCN":null,"PMCID":null,"EPubDate":"","PubModel":"","JCR":"0","JCRName":"HUMANITIES, MULTIDISCIPLINARY","Score":null,"Total":0}
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Abstract
In lieu of an abstract, here is a brief excerpt of the content:
Reviewed by:
Hermann Broch und die österreichische Moderne. Literatur, Kunst und Wissenschaftsphilosophie Hrsg., Paul Michael Lützeler und Thomas Borgard
Martin A. Hainz
Paul Michael Lützeler und Thomas Borgard, Hrsg., Hermann Broch und die österreichische Moderne. Literatur, Kunst und Wissenschaftsphilosophie. Paderborn: Brill Fink, 2023. 282 S.
Hermann Broch ist ein paradigmatischer Moderner in einem zuweilen geradezu paradigmatisch unmodernen Land gewesen. Vielleicht auch darum bringt Österreich diese Moderne hervor: Die Mobilität—und dann noch die “Mobilität der Erde” (7)—ist ein wesentliches Motiv dessen, was hier nicht immer gedieh und gedeiht. Gegen den bloßen Zerfall des Überkommenen zu [End Page 125] Schlimmerem stellt er eine “Systemtheorie” (7), deren Kontexte und Inspirationen oder Voraussetzungen wie auch Hemmnisse der vorliegende Band beleuchtet, den Paul Michael Lützeler und Thomas Bogard basierend auf einem Wiener Symposion nun vorlegen.
Es geht um eine Umwälzung, revolutionär, aber auch diese beobachtend. Broch schreibt modern und von der nicht nur “ästhetischen Revolution”, etwa in Gestalt der “Durchbrechung und Überholung der Poetik-Konvention” (11) gegeben, die er an unter anderem James Joyce wahrnimmt. Lützeler beschreibt eben dies in seinem wunderbaren Beitrag, der die Paradoxie der Irritation einfängt—auch Broch mag “langsam das Organ für das Neue verliere(n)” (15), wenn er auf Canetti mit “skeptischer Anerkennung” (15) reagiert; und diese (darum: Selbst-)Beobachtung ist eine, die Lützeler aus der Korrespondenz Brochs wörtlich zitiert.
Barbara Mahlmann-Bauer beschreibt die Entdeckung der Dissonanz an Broch und Schönberg. Dieser Kontakt impliziert schon die Erweiterung zu Alban Berg, aber auch Karl Kraus, dessen “Eloquenz” (30) die Leserschaft die Relevanz des Ausdrucks für das zu Sagende entdecken lasse—Gegenmodell zum niemals so scharfen Kitsch, den diese “Konzessionslosigkeit” (31) nicht auszeichnen kann. Hieraus ergibt sich die ethische und ästhetische Allianz, rund um die Schlafwandler Brochs dargelegt: “Die Musik ist Sprache” (41), wie Anton Webern hierzu schließlich zitiert wird.
Broch und Hofmannsthal porträtiert Mathias Mayer. Auch hier ist es der Zerfall, teils aufgrund der Analyse nicht nur sichtbar, sondern eingeleitet, der ein klareres Denken ermöglicht und zugleich als notwendig darlegt. Angesichts der zugleich großen Differenzen ist es eine Nähe “wider Willen”, “Broch muss [. . .] mehr Gefallen gefunden haben an vielen Texten dieses von ihm gleichwohl aus großem Abstand gesehenen Autors” (54), als ihm lieb gewesen sein mag. Die Lektüren Brochs sind intensiv, aber nicht überall belegt, insbesondere den Schwierigen betreffend, wo sonst die “Ethik-Konzeptionen in Verbindung zu bringen” (55) wären.
Das Zwiegespräch innerhalb des Textes wird bei Sebastian Kirsch geschildert: Die Schuldlosen bilden ein Chor, der das Dämonische in eben jener Auseinandersetzung registriert. Zuletzt entsteht so eine Konstellation, mit der Hannah Arendts Eichmanns-Essay assoziiert wird, nicht grundlos ist sie begeistert von Zerline und den Marionetten der deformierten Schlauheit derselben. Auch Naser Šečerović analysiert diese Analysen und dann Kritiken Brochs zur politischen Antimoderne, die “rational-irrationale Polyphonie” [End Page 126] (95) ist das, was scheitert, aber auch das, woran die Antimoderne noch immer weiter scheitert, die sich statt der Analyse der “Pseudoekstase” (109) verschreibt.
Auf die Friedensforschung bezieht Werner Wintersteiner sich, Brochs weltbürgerliche Existenz und Programmatik steht für ihn in einer Traditionslinie “von Sigmund Freud [. . .] bis Günther Anders oder Robert Jungk”, die allesamt in und trotz Österreich—angesichts der “Verstrickungen” des Landes—“ihr paszifistisches und gesellschaftskritisches Wirken entfalteten (128).”
Vom Ästhetischen ins Epistemologische wechselt der Band in den Beiträgen der zweiten Hälfte. Die Mengenlehre untersucht Borgard, dabei auch eine “Kluft” feststellend: zwischen “literarisch-ästhetischer und wissenschaftlich-technischer Kultur” (147). Eben jene Kluft überwinden die mit Hans Vaihingers Als Ob formulierten Ironien, die Alice Stašková vorlegt, wie gewohnt luzide sind ihre Überlegungen, die Vaihinger—allerdings ein Phänomen der “Resonanz” (192) Kants, auch die Rezeption von dessen Philosophie des Als Ob samt Volksausgabe betreffend—und Broch zueinander in Beziehung setzen. Die “Metafiktion” (194) gestatte einen optimistischen Realismus, den Broch freilich “zunehmend kritisch” (197) sieht, so Stašková: “Systematik” sei das eben gerade nicht, was Vaihinger gestattet, was sich aber seine Anhängerschaft gestatten will.
Anders ist es mit Rudolf Carnap, zu dessen Vorlesungen Mitschriften Brochs existieren; Matthias Neuber bietet dazu einen Bericht aus dem Archiv, mit Schl...
期刊介绍:
The Journal of Austrian Studies is an interdisciplinary quarterly that publishes scholarly articles and book reviews on all aspects of the history and culture of Austria, Austro-Hungary, and the Habsburg territory. It is the flagship publication of the Austrian Studies Association and contains contributions in German and English from the world''s premiere scholars in the field of Austrian studies. The journal highlights scholarly work that draws on innovative methodologies and new ways of viewing Austrian history and culture. Although the journal was renamed in 2012 to reflect the increasing scope and diversity of its scholarship, it has a long lineage dating back over a half century as Modern Austrian Literature and, prior to that, The Journal of the International Arthur Schnitzler Research Association.