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Abstract
Eine der mittelalterlichen Architekturen in Deutschland, in deren Innerem der Besucher eine eindrückliche Verbindung von Alt und Neu, von Mittelalter und Moderne intensiv erleben soll, ist die ehe malige Stiftskirche St. Stephan in Mainz. (Abb.l) Die touristische Faszination, die der Bau ausübt, verdankt sich der farbigen Vergla sung, die in den siebziger und achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts von keinem geringeren als Marc Chagall, damals bereits in bibli schem Alter, geschaffen wurde. „Das erste, was im Blick auf die Fenster fasziniert, sind ihre Farben, die unser Lebensgefühl unmit telbar ansprechen, denn sie erzählen von Optimismus, Hoffnung, Freude am Leben. Marc Chagall entnimmt seine Lebensbejahung und Hoffnung dem Weltbild der Bibel, und er hat die Gabe, etwas davon auf uns überspringen zu lassen, allein schon in seinen „sin genden" Farben. Dazu kommt die Bewegtheit seiner Bilder, geeignet, Leben einzufangen, denn zum Leben gehört wesentlich Bewegung.", in diese Worte fasst es der rührige Initiator des Werks, der Pfarrer Klaus Mayer, (ebd. S. 6) Die eigenartige Verfremdung des gotischen Innenraumes durch die Blauverschiebung des Farbspektrums zum einen, die auf Genesis, Schöpfungslob und Kreuzerhöhung abhe bende Ikonographie des Zyklus zum zweiten und zum dritten der Umstand, dass mit der Neuverglasung die Wiederinstandsetzung einer im Zweiten Weltkrieg stark zerstörten Kirche abgeschlossen wurde all dies erzeugt ein Spektrum von markanten gegenwarts bezogenen Sinnperspektiven. Die so intensiv leuchtenden Fenster des französischjüdischen Künstlers können oder sollen nämlich als Versöhnungsgeste zwischen Christen und Juden sowie zwischen Deutschland und Frankreich gelesen werden, aber überdies auch als die Wiedergewinnung und Aktualisierung der mittelalterlichen Tradition der alten erzbischöflichen Stadt Mainz.