{"title":"Lesen als Arbeiten in der Bibliothek","authors":"U. Schneider","doi":"10.1515/9783110587524-031","DOIUrl":null,"url":null,"abstract":"Die Leser rennen in die Bibliothek, sie brauchen die Bücher, ganz schnell. Diese Szene der heranstürmenden Leser ist so etwas wie die Urszene der modernen Bibliothek, jedenfalls wird sie oft dafür gehalten. Es stehen sich das Bedürfnis nach einschlägiger Literatur und das Gebäude mit dem Vorrat an Büchern gegenüber. Es gibt sogar ein historisches Zeugnis für diese Begegnung. Die Szene des Ansturms auf die Bibliothek wird nämlich 1827 von einem Studenten des Trinity College in Cambridge sehr plastisch beschrieben.1 Und lässt sich nicht tatsächlich von diesem Run auf die Bücher die Funktion der Bibliothek schlechthin ableiten? Alles deutet zunächst darauf hin. Die Investitionen in Bibliotheken seit dem 19. Jahrhundert haben, vor allem staatlicherseits, hauptsächlich zwei Ziele: größere und bessere Bücherspeicher bauen und mehr Geld für die Erwerbung bereitstellen. Bibliotheken sichern seit dem 19. Jahrhundert in großem Maßstab die Literaturversorgung in Gebäuden, die dazu angelegt sind, Bestandsbildung zu fördern. Doch das ist nur die eine Wahrheit, und zur Aufklärung einer anderen dienen die folgenden Bemerkungen. Zunächst ist zuzugeben, dass das Geschäft der Bibliothekare tatsächlich und bis heute wesentlich dadurch gekennzeichnet ist, dem in vielen Formen auftretenden Bedürfnis nach Literatur abzuhelfen.2 Die Bibliothek als Warenhaus dessen, was man gedruckt lesen will, bestimmt entsprechend den Diskurs der Bibliothekare. Mit Geld muss sorgsam umgegangen werden, Erwerbungsmittel waren immer knapp. Viel Energie geht noch heute in die Erörterung des Problems, wie die bestmögliche Literaturversorgung zu bewerkstelligen sei. Das Geschäft der Literaturversorgung war und ist eng mit dem Geschäft der Orientierung im Bereich der Literatur verbunden, und so wurde die Bibliothek eine Art Reisebüro und lieferte nicht nur Texte, sondern verriet auch, wie man dorthin gelangte. Kataloge, Bibliografien und andere Datenbanken enthalten mehr, als im Hause vorrätig ist. Die Kompetenz zum Navigieren in der Welt der Texte gehört nicht minder als deren Beschaffung zur Tätigkeit der Bibliothekarinnen und Bibliothekare; sie haben das Warenhaus intellektueller Güter jederzeit","PeriodicalId":394962,"journal":{"name":"Kooperative Informationsinfrastrukturen als Chance und Herausforderung","volume":"42 1","pages":"0"},"PeriodicalIF":0.0000,"publicationDate":"2018-06-11","publicationTypes":"Journal Article","fieldsOfStudy":null,"isOpenAccess":false,"openAccessPdf":"","citationCount":"1","resultStr":null,"platform":"Semanticscholar","paperid":null,"PeriodicalName":"Kooperative Informationsinfrastrukturen als Chance und Herausforderung","FirstCategoryId":"1085","ListUrlMain":"https://doi.org/10.1515/9783110587524-031","RegionNum":0,"RegionCategory":null,"ArticlePicture":[],"TitleCN":null,"AbstractTextCN":null,"PMCID":null,"EPubDate":"","PubModel":"","JCR":"","JCRName":"","Score":null,"Total":0}
引用次数: 1
Abstract
Die Leser rennen in die Bibliothek, sie brauchen die Bücher, ganz schnell. Diese Szene der heranstürmenden Leser ist so etwas wie die Urszene der modernen Bibliothek, jedenfalls wird sie oft dafür gehalten. Es stehen sich das Bedürfnis nach einschlägiger Literatur und das Gebäude mit dem Vorrat an Büchern gegenüber. Es gibt sogar ein historisches Zeugnis für diese Begegnung. Die Szene des Ansturms auf die Bibliothek wird nämlich 1827 von einem Studenten des Trinity College in Cambridge sehr plastisch beschrieben.1 Und lässt sich nicht tatsächlich von diesem Run auf die Bücher die Funktion der Bibliothek schlechthin ableiten? Alles deutet zunächst darauf hin. Die Investitionen in Bibliotheken seit dem 19. Jahrhundert haben, vor allem staatlicherseits, hauptsächlich zwei Ziele: größere und bessere Bücherspeicher bauen und mehr Geld für die Erwerbung bereitstellen. Bibliotheken sichern seit dem 19. Jahrhundert in großem Maßstab die Literaturversorgung in Gebäuden, die dazu angelegt sind, Bestandsbildung zu fördern. Doch das ist nur die eine Wahrheit, und zur Aufklärung einer anderen dienen die folgenden Bemerkungen. Zunächst ist zuzugeben, dass das Geschäft der Bibliothekare tatsächlich und bis heute wesentlich dadurch gekennzeichnet ist, dem in vielen Formen auftretenden Bedürfnis nach Literatur abzuhelfen.2 Die Bibliothek als Warenhaus dessen, was man gedruckt lesen will, bestimmt entsprechend den Diskurs der Bibliothekare. Mit Geld muss sorgsam umgegangen werden, Erwerbungsmittel waren immer knapp. Viel Energie geht noch heute in die Erörterung des Problems, wie die bestmögliche Literaturversorgung zu bewerkstelligen sei. Das Geschäft der Literaturversorgung war und ist eng mit dem Geschäft der Orientierung im Bereich der Literatur verbunden, und so wurde die Bibliothek eine Art Reisebüro und lieferte nicht nur Texte, sondern verriet auch, wie man dorthin gelangte. Kataloge, Bibliografien und andere Datenbanken enthalten mehr, als im Hause vorrätig ist. Die Kompetenz zum Navigieren in der Welt der Texte gehört nicht minder als deren Beschaffung zur Tätigkeit der Bibliothekarinnen und Bibliothekare; sie haben das Warenhaus intellektueller Güter jederzeit