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Abstract
Der Vergleich gehört zum fundamentalen Instrumentarium der Literaturwissenschaft – von der institutionellen Gründung der vergleichenden Literaturwissenschaft im 19. Jahrhundert bis zum universalen didaktischen Einsatz des ‚Gedichtvergleichs‘. Erich Auerbach hat in seinem für die komparatistische Philologie grundlegenden Werk Mimesis im ersten Kapitel („Die Narbe des Odysseus“) die Bibel mit Homer konfrontiert und dabei die entsprechende Methode und das daraus folgende Erkenntnisziel formuliert: „Wir haben die beiden Texte, und im Anschluß daran die beiden Stilarten, die sie verkörpern, miteinander verglichen, um einen Ausgangspunkt für Versuche über die literarische Darstellung des Wirklichen in der europäischen Kultur zu gewinnen.“ Bereits in der Literaturwissenschaft selbst aber ist das Verfahren des Vergleichens doppelbödig: einerseits selbstverständlich, andererseits auch umstritten. Eine philologische Erkenntnis – so Peter Szondi – beruht darauf, dass sich das Kunstwerk in seiner Singularität behauptet und bewährt – und dementsprechend analysiert werden sollte: „Kein Kunstwerk behauptet, daß es unvergleichbar ist [...], wohl aber verlangt es, daß es nicht verglichen werde.“ Nicht nur in den Geisteswissenschaften ist das Vergleichen ebenso zwangsläufig wie ubiquitär, als Verfahren scheint es zu den grundlegenden Denkgewohnheiten zu gehören – in den Wissenschaften wie im Alltag. Diese Selbstverständlichkeit und der mit ihr verbundene Neutralitätsund Objektivitätsanspruch sind freilich trügerisch: Das Vergleichen besitzt nicht nur eine Geschichte, es ist zugleich eine Praxis, in der nicht zwei oder mehrere Objekte in ihrer objektiven Beziehung zueinander betrachtet werden, sondern in der Akteure, Interessen und