{"title":"Vertagen und Aussitzen – Eigentlich nicht unbedingt eine typische Strategie des Bundesgesundheitsministers","authors":"U. Wolf","doi":"10.1055/a-1255-7049","DOIUrl":null,"url":null,"abstract":"Mit Spannung wurde in Deutschland in diesem Herbst der Referentenentwurf für das schon mehrmals angekündigte neue Ausbildungund Berufsgesetz erwartet, viele hofften sogar, es könnte ab 2022 bereits in Kraft treten. Der am 20. Oktober veröffentlichte Entwurf für das „Gesetz zur Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung“ macht aber leider nur sprachlos: Die Erprobung der Modellstudiengänge soll ein zweites Mal verlängert werden – bis zum 31.12.2026. In dem 138 Seiten umfassenden Papier wird diese kaum nachvollziehbare Entscheidung in gerade einmal 9 Zeilen angekündigt. Die Begründung: Die Verlängerung der Modellklausel gebe den Ländern die Möglichkeit, „akademische Erstausbildungen zunächst fortzuführen“. Diese Situation wird als Voraussetzung für eine ergebnisoffene Entscheidungsfindung betrachtet, um dann prüfen zu können, ob und wenn ja, in welcher Ausgestaltung die jeweilige Ausbildung in Ergotherapie, Logopädie und Physiotherapie akademisiert werden soll [1]. Wenn aus früheren Verlautbarungen bei optimistischer Lesart noch Verzagtheit sprach, so klingt dieser Text nach einem Rückzugsmanöver. Es bleibt nach wie vor unklar, warum die Länder weiter evaluieren sollen, wenn doch 25 Evaluierungen aus 8 Bundesländern bereits 2016 zusammenfassend zu dem Ergebnis kamen, dass „es dauerhaft wünschenswert und machbar ist, primärqualifizierende Studiengänge für die vier beteiligten Berufsgruppen einzurichten“ [2]. Nach der Veröffentlichung des Strategiepapiers des Hochschulverbundes Gesundheitsfachberufe (HVG) im November 2018 [3], das zeigt, wie die Vollakademisierung innerhalb von 5 bis 10 Jahren vollzogen werden kann, blieb dann auch das Eckpunktepapier der Bund-Länder-Konferenz vom 4. März 2020 [4] in Bezug auf die Frage der Akademisierung erschreckend nichtssagend und ließ keinerlei Tendenz erkennen. Vielmehr wird in den für die Hochschulen zentralen Passagen im Wesentlichen der „Prüfbedarf“ beschrieben. Angesichts dieser Hinhaltetaktik muss gefragt werden, warum der Gesetzgeber den längst überfälligen Schritt nicht wagt, den alle Länder der Europäischen Union (EU) mittlerweile längst gemacht haben, und die akademische Primärqualifikation in Ergotherapie, Logopädie und Physiotherapie endlich gesetzlich festschreibt. Ein Argument, das immer wieder gegen die Vollakademisierung ins Feld geführt wird, ist der zusätzliche Finanzierungsbedarf der Hochschulen für die neuen Studiengänge. Das legt zumindest eine kürzlich von der Hochschulrektorenkonferenz durchgeführte Abfrage nahe [5]. Es kann und sollte hier nichts beschönigt werden: Eine Akademisierung gibt es auch in der Physiotherapie nicht zum Nulltarif. Das dürfte dem Gesetzgeber allerdings bereits vor seinem vollmundigen Bekenntnis, „nur mit gut ausgebildeten Fachkräften ist eine qualitativ hochwertige Versorgung der Patientinnen und Patienten gewährleistet“ [6], klar gewesen sein. Eine solche Versorgungsqualität hat selbstverständlich ihren Preis. Gleichzeitig wird die Akademisierung intensiv berufspolitisch diskutiert. So fürchten Lobbyistinnen und Lobbyisten offensichtlich, dass eine hochschulische Ausbildung das Bestreben der betreffenden Berufsgruppen nach mehr Autonomie noch beflügeln würde. Es gibt zwar bereits Modellversuche (Berlin und Bochum), die für das deutsche Gesundheitssystem zeigen, dass durch mehr Handlungsautonomie für Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten weder höhere Kosten noch zusätzliche Gefahren oder gar Komplikationen entstehen [7]. Ohne eine akademische Qualifikation könnten diese vielleicht versuchen, diese positiven Evaluationsergebnisse zu ignorieren. Verfügen Therapeutinnen und Therapeuten aber über einen Hochschulabschluss, kann ihnen die Kompetenz, Behandlungen nach eigenem Assessment durchzuführen, schwerlich pauschal abgesprochen werden. Vielmehr müsste die akademische Qualifikation als „zukunftsgerichtete und bedarfsgerechte Ausbildungen und Perspektive für eine berufliche Weiterentwicklung“ bezeichnet werden [4]. Prof. Dr. rer. medic Udo Wolf Editorial","PeriodicalId":41765,"journal":{"name":"Physioscience","volume":"17 1","pages":"1 - 2"},"PeriodicalIF":0.4000,"publicationDate":"2021-02-24","publicationTypes":"Journal Article","fieldsOfStudy":null,"isOpenAccess":false,"openAccessPdf":"https://sci-hub-pdf.com/10.1055/a-1255-7049","citationCount":"1","resultStr":null,"platform":"Semanticscholar","paperid":null,"PeriodicalName":"Physioscience","FirstCategoryId":"1085","ListUrlMain":"https://doi.org/10.1055/a-1255-7049","RegionNum":0,"RegionCategory":null,"ArticlePicture":[],"TitleCN":null,"AbstractTextCN":null,"PMCID":null,"EPubDate":"","PubModel":"","JCR":"Q4","JCRName":"REHABILITATION","Score":null,"Total":0}
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Abstract
Mit Spannung wurde in Deutschland in diesem Herbst der Referentenentwurf für das schon mehrmals angekündigte neue Ausbildungund Berufsgesetz erwartet, viele hofften sogar, es könnte ab 2022 bereits in Kraft treten. Der am 20. Oktober veröffentlichte Entwurf für das „Gesetz zur Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung“ macht aber leider nur sprachlos: Die Erprobung der Modellstudiengänge soll ein zweites Mal verlängert werden – bis zum 31.12.2026. In dem 138 Seiten umfassenden Papier wird diese kaum nachvollziehbare Entscheidung in gerade einmal 9 Zeilen angekündigt. Die Begründung: Die Verlängerung der Modellklausel gebe den Ländern die Möglichkeit, „akademische Erstausbildungen zunächst fortzuführen“. Diese Situation wird als Voraussetzung für eine ergebnisoffene Entscheidungsfindung betrachtet, um dann prüfen zu können, ob und wenn ja, in welcher Ausgestaltung die jeweilige Ausbildung in Ergotherapie, Logopädie und Physiotherapie akademisiert werden soll [1]. Wenn aus früheren Verlautbarungen bei optimistischer Lesart noch Verzagtheit sprach, so klingt dieser Text nach einem Rückzugsmanöver. Es bleibt nach wie vor unklar, warum die Länder weiter evaluieren sollen, wenn doch 25 Evaluierungen aus 8 Bundesländern bereits 2016 zusammenfassend zu dem Ergebnis kamen, dass „es dauerhaft wünschenswert und machbar ist, primärqualifizierende Studiengänge für die vier beteiligten Berufsgruppen einzurichten“ [2]. Nach der Veröffentlichung des Strategiepapiers des Hochschulverbundes Gesundheitsfachberufe (HVG) im November 2018 [3], das zeigt, wie die Vollakademisierung innerhalb von 5 bis 10 Jahren vollzogen werden kann, blieb dann auch das Eckpunktepapier der Bund-Länder-Konferenz vom 4. März 2020 [4] in Bezug auf die Frage der Akademisierung erschreckend nichtssagend und ließ keinerlei Tendenz erkennen. Vielmehr wird in den für die Hochschulen zentralen Passagen im Wesentlichen der „Prüfbedarf“ beschrieben. Angesichts dieser Hinhaltetaktik muss gefragt werden, warum der Gesetzgeber den längst überfälligen Schritt nicht wagt, den alle Länder der Europäischen Union (EU) mittlerweile längst gemacht haben, und die akademische Primärqualifikation in Ergotherapie, Logopädie und Physiotherapie endlich gesetzlich festschreibt. Ein Argument, das immer wieder gegen die Vollakademisierung ins Feld geführt wird, ist der zusätzliche Finanzierungsbedarf der Hochschulen für die neuen Studiengänge. Das legt zumindest eine kürzlich von der Hochschulrektorenkonferenz durchgeführte Abfrage nahe [5]. Es kann und sollte hier nichts beschönigt werden: Eine Akademisierung gibt es auch in der Physiotherapie nicht zum Nulltarif. Das dürfte dem Gesetzgeber allerdings bereits vor seinem vollmundigen Bekenntnis, „nur mit gut ausgebildeten Fachkräften ist eine qualitativ hochwertige Versorgung der Patientinnen und Patienten gewährleistet“ [6], klar gewesen sein. Eine solche Versorgungsqualität hat selbstverständlich ihren Preis. Gleichzeitig wird die Akademisierung intensiv berufspolitisch diskutiert. So fürchten Lobbyistinnen und Lobbyisten offensichtlich, dass eine hochschulische Ausbildung das Bestreben der betreffenden Berufsgruppen nach mehr Autonomie noch beflügeln würde. Es gibt zwar bereits Modellversuche (Berlin und Bochum), die für das deutsche Gesundheitssystem zeigen, dass durch mehr Handlungsautonomie für Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten weder höhere Kosten noch zusätzliche Gefahren oder gar Komplikationen entstehen [7]. Ohne eine akademische Qualifikation könnten diese vielleicht versuchen, diese positiven Evaluationsergebnisse zu ignorieren. Verfügen Therapeutinnen und Therapeuten aber über einen Hochschulabschluss, kann ihnen die Kompetenz, Behandlungen nach eigenem Assessment durchzuführen, schwerlich pauschal abgesprochen werden. Vielmehr müsste die akademische Qualifikation als „zukunftsgerichtete und bedarfsgerechte Ausbildungen und Perspektive für eine berufliche Weiterentwicklung“ bezeichnet werden [4]. Prof. Dr. rer. medic Udo Wolf Editorial