Vertagen und Aussitzen – Eigentlich nicht unbedingt eine typische Strategie des Bundesgesundheitsministers

IF 0.4 Q4 REHABILITATION Physioscience Pub Date : 2021-02-24 DOI:10.1055/a-1255-7049
U. Wolf
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Abstract

Mit Spannung wurde in Deutschland in diesem Herbst der Referentenentwurf für das schon mehrmals angekündigte neue Ausbildungund Berufsgesetz erwartet, viele hofften sogar, es könnte ab 2022 bereits in Kraft treten. Der am 20. Oktober veröffentlichte Entwurf für das „Gesetz zur Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung“ macht aber leider nur sprachlos: Die Erprobung der Modellstudiengänge soll ein zweites Mal verlängert werden – bis zum 31.12.2026. In dem 138 Seiten umfassenden Papier wird diese kaum nachvollziehbare Entscheidung in gerade einmal 9 Zeilen angekündigt. Die Begründung: Die Verlängerung der Modellklausel gebe den Ländern die Möglichkeit, „akademische Erstausbildungen zunächst fortzuführen“. Diese Situation wird als Voraussetzung für eine ergebnisoffene Entscheidungsfindung betrachtet, um dann prüfen zu können, ob und wenn ja, in welcher Ausgestaltung die jeweilige Ausbildung in Ergotherapie, Logopädie und Physiotherapie akademisiert werden soll [1]. Wenn aus früheren Verlautbarungen bei optimistischer Lesart noch Verzagtheit sprach, so klingt dieser Text nach einem Rückzugsmanöver. Es bleibt nach wie vor unklar, warum die Länder weiter evaluieren sollen, wenn doch 25 Evaluierungen aus 8 Bundesländern bereits 2016 zusammenfassend zu dem Ergebnis kamen, dass „es dauerhaft wünschenswert und machbar ist, primärqualifizierende Studiengänge für die vier beteiligten Berufsgruppen einzurichten“ [2]. Nach der Veröffentlichung des Strategiepapiers des Hochschulverbundes Gesundheitsfachberufe (HVG) im November 2018 [3], das zeigt, wie die Vollakademisierung innerhalb von 5 bis 10 Jahren vollzogen werden kann, blieb dann auch das Eckpunktepapier der Bund-Länder-Konferenz vom 4. März 2020 [4] in Bezug auf die Frage der Akademisierung erschreckend nichtssagend und ließ keinerlei Tendenz erkennen. Vielmehr wird in den für die Hochschulen zentralen Passagen im Wesentlichen der „Prüfbedarf“ beschrieben. Angesichts dieser Hinhaltetaktik muss gefragt werden, warum der Gesetzgeber den längst überfälligen Schritt nicht wagt, den alle Länder der Europäischen Union (EU) mittlerweile längst gemacht haben, und die akademische Primärqualifikation in Ergotherapie, Logopädie und Physiotherapie endlich gesetzlich festschreibt. Ein Argument, das immer wieder gegen die Vollakademisierung ins Feld geführt wird, ist der zusätzliche Finanzierungsbedarf der Hochschulen für die neuen Studiengänge. Das legt zumindest eine kürzlich von der Hochschulrektorenkonferenz durchgeführte Abfrage nahe [5]. Es kann und sollte hier nichts beschönigt werden: Eine Akademisierung gibt es auch in der Physiotherapie nicht zum Nulltarif. Das dürfte dem Gesetzgeber allerdings bereits vor seinem vollmundigen Bekenntnis, „nur mit gut ausgebildeten Fachkräften ist eine qualitativ hochwertige Versorgung der Patientinnen und Patienten gewährleistet“ [6], klar gewesen sein. Eine solche Versorgungsqualität hat selbstverständlich ihren Preis. Gleichzeitig wird die Akademisierung intensiv berufspolitisch diskutiert. So fürchten Lobbyistinnen und Lobbyisten offensichtlich, dass eine hochschulische Ausbildung das Bestreben der betreffenden Berufsgruppen nach mehr Autonomie noch beflügeln würde. Es gibt zwar bereits Modellversuche (Berlin und Bochum), die für das deutsche Gesundheitssystem zeigen, dass durch mehr Handlungsautonomie für Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten weder höhere Kosten noch zusätzliche Gefahren oder gar Komplikationen entstehen [7]. Ohne eine akademische Qualifikation könnten diese vielleicht versuchen, diese positiven Evaluationsergebnisse zu ignorieren. Verfügen Therapeutinnen und Therapeuten aber über einen Hochschulabschluss, kann ihnen die Kompetenz, Behandlungen nach eigenem Assessment durchzuführen, schwerlich pauschal abgesprochen werden. Vielmehr müsste die akademische Qualifikation als „zukunftsgerichtete und bedarfsgerechte Ausbildungen und Perspektive für eine berufliche Weiterentwicklung“ bezeichnet werden [4]. Prof. Dr. rer. medic Udo Wolf Editorial
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推迟和缺席——实际上不一定是联邦卫生部长的典型策略
今年秋天,在德国,已经多次宣布的议长关于新培训和职业法的草案备受期待;许多人甚至希望该草案能从2022年起生效。20号公路上的那个。然而,不幸的是,10月份公布的《医疗保健发展法》草案只是无言以对:示范课程的测试将第二次延长,至26年12月31日。在这份138页的文件中,这个难以理解的决定只用了9行字就宣布了。理由是,延长示范条款将使各国能够:这种情况被视为开放决策过程的先决条件,以便能够检查是否应该将职业治疗、言语治疗和物理治疗的培训学术化,如果是,以何种形式进行培训[1]如果说在乐观的阅读中,前面的陈述有任何犹豫,那么这篇文章听起来像是一次撤退。尽管8个州的25项评估已经在2016年得出结论,“继续评估是可取和可行的,但仍不清楚为什么州应该继续评估2018年11月,高等教育健康专业协会(HVG)发表了战略论文[3],展示了如何在5到10年内实现全面的学术化,之后,Bund-Länder Konferenz 4的基石论文仍然存在。2020年3月[4]关于学术化问题,毫无意义,也没有任何趋势。鉴于这种拖延战术,有必要问一问,为什么立法者不敢采取欧盟所有国家早该采取的措施。职业治疗、言语治疗和物理治疗的初级学历最终载入法律。反对全面学术化的一个论点是,大学对新学位课程的额外资金要求。校长会议[5]最近进行的一项调查至少表明了这一点。这里没有什么可以也不应该修饰的:物理疗法也没有免费的学术化。然而,立法机构甚至在做出全面承诺之前就应该能够做到这一点,“只有训练有素的专家才能确保为患者提供高质量的护理”[6]要清楚。这样的护理质量自然是要付出代价的。与此同时,从专业政策的角度对学术化进行了深入讨论。例如,游说者显然担心高等教育会促进相关专业实现更大自主权的努力。已经有模型实验(柏林和波鸿)表明,对于德国卫生系统来说,理疗师更大的行动自主权不会导致更高的成本、额外的风险甚至并发症[7]。如果没有学历,他们可能会试图忽视这些积极的评价结果。然而,如果治疗师拥有大学学位,就很难剥夺他们根据自己的评估进行治疗的能力。相反,学术资格应该被描述为“面向未来和需求的培训和专业发展视角”[4]
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Physioscience
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