{"title":"Der Agon im Text: Literarische Agonistik und performative Siegesakte in der griechischen Dichtung","authors":"Maximilian Höhl","doi":"10.1515/anab-2019-0001","DOIUrl":null,"url":null,"abstract":"Kaum ein Konzept ist im Spektrum zwischen Antike und Abendland so unterschiedliche Wege gegangen wie das Prinzip der Agonistik. Einen Grundstein unseres heutigen Begriffsverständnisses (häufig auch: Agonalität) hat Lyotard mit seiner prominenten Zuspitzung von Wittgensteins Idee des ‹Sprachspiels› «daß Sprechen Kämpfen im Sinne des Spielens ist und daß Sprechakte einer allgemeinen Agonistik angehören»1 gelegt. Lyotard (1986), der sich in seinem bekannten Essay mit dem Titel La condition postmoderne kulturkritisch mit der Legitimität der Wissenschaft und den gesellschaftlichen Entwicklungen, die er einem Zeitalter ungebändigten technischen Fortschritts und den damit verbundenen «Informatisierungsprozessen» zuordnete, auseinandergesetzt hat, bewegt sich freilich in einer Tradition, in der der Performativitätsund Agonalitätsbegriff eng zusammengerückt sind, und steht geradezu prototypisch für eine dem Abendland zugeordnete Interpretation von Agonistik.2 Die griechische Agonistik wird trotz gemeinsamer Wurzeln meist scharf von ihr abgegrenzt. «Ein Phänomen sui generis»3 – so bezeichnet Flaig (2019) in seiner Interpretation des Scheiterns im griechischen Kulturraum die griechische Agonistik und bezieht dabei erneut Position in der oft diskutierten Debatte, in keiner anderen Kultur sei das einst von Jacob Burckhardt formulierte Prinzip der Agonistik stärker verankert als im antiken Griechenland.4 Burckhardt, der «alles höhere Leben der Griechen, das äußere wie das geistige»5 als Agon im Einklang mit den Werten einer als ideal verstandenen Heroenzeit verstand, erfasste mit dem Begriff des Agon erstmals den Wettkampf als ein kulturelles Phänomen, das sich in verschiedenen Lebensbereichen manifestierte, und formulierte so eine omnipräsente, vom Streben nach Idealen geleitete Vorstellung vom «Kampf ohne utilitaristischen Nebenzweck».6 Trotz seiner kulturpessimistischen und idealisierenden Funktionalisierung prägte Burckhardt so mit der Annahme einer spezifischen griechischen Agonistik einen Begriff, der in den Altertumswissenschaften immer noch eine grundsätz liche, aber auch eine sehr enge und weitgehend unveränderte Bedeutung besitzt. Gerade in den Literaturwissenschaften scheint der Begriff bis heute nur in einem sehr engen Kontext gebraucht zu","PeriodicalId":42033,"journal":{"name":"ANTIKE UND ABENDLAND","volume":"65-66 1","pages":"1 - 20"},"PeriodicalIF":0.1000,"publicationDate":"2020-09-10","publicationTypes":"Journal Article","fieldsOfStudy":null,"isOpenAccess":false,"openAccessPdf":"https://sci-hub-pdf.com/10.1515/anab-2019-0001","citationCount":"0","resultStr":null,"platform":"Semanticscholar","paperid":null,"PeriodicalName":"ANTIKE UND ABENDLAND","FirstCategoryId":"1085","ListUrlMain":"https://doi.org/10.1515/anab-2019-0001","RegionNum":4,"RegionCategory":"历史学","ArticlePicture":[],"TitleCN":null,"AbstractTextCN":null,"PMCID":null,"EPubDate":"","PubModel":"","JCR":"0","JCRName":"CLASSICS","Score":null,"Total":0}
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Abstract
Kaum ein Konzept ist im Spektrum zwischen Antike und Abendland so unterschiedliche Wege gegangen wie das Prinzip der Agonistik. Einen Grundstein unseres heutigen Begriffsverständnisses (häufig auch: Agonalität) hat Lyotard mit seiner prominenten Zuspitzung von Wittgensteins Idee des ‹Sprachspiels› «daß Sprechen Kämpfen im Sinne des Spielens ist und daß Sprechakte einer allgemeinen Agonistik angehören»1 gelegt. Lyotard (1986), der sich in seinem bekannten Essay mit dem Titel La condition postmoderne kulturkritisch mit der Legitimität der Wissenschaft und den gesellschaftlichen Entwicklungen, die er einem Zeitalter ungebändigten technischen Fortschritts und den damit verbundenen «Informatisierungsprozessen» zuordnete, auseinandergesetzt hat, bewegt sich freilich in einer Tradition, in der der Performativitätsund Agonalitätsbegriff eng zusammengerückt sind, und steht geradezu prototypisch für eine dem Abendland zugeordnete Interpretation von Agonistik.2 Die griechische Agonistik wird trotz gemeinsamer Wurzeln meist scharf von ihr abgegrenzt. «Ein Phänomen sui generis»3 – so bezeichnet Flaig (2019) in seiner Interpretation des Scheiterns im griechischen Kulturraum die griechische Agonistik und bezieht dabei erneut Position in der oft diskutierten Debatte, in keiner anderen Kultur sei das einst von Jacob Burckhardt formulierte Prinzip der Agonistik stärker verankert als im antiken Griechenland.4 Burckhardt, der «alles höhere Leben der Griechen, das äußere wie das geistige»5 als Agon im Einklang mit den Werten einer als ideal verstandenen Heroenzeit verstand, erfasste mit dem Begriff des Agon erstmals den Wettkampf als ein kulturelles Phänomen, das sich in verschiedenen Lebensbereichen manifestierte, und formulierte so eine omnipräsente, vom Streben nach Idealen geleitete Vorstellung vom «Kampf ohne utilitaristischen Nebenzweck».6 Trotz seiner kulturpessimistischen und idealisierenden Funktionalisierung prägte Burckhardt so mit der Annahme einer spezifischen griechischen Agonistik einen Begriff, der in den Altertumswissenschaften immer noch eine grundsätz liche, aber auch eine sehr enge und weitgehend unveränderte Bedeutung besitzt. Gerade in den Literaturwissenschaften scheint der Begriff bis heute nur in einem sehr engen Kontext gebraucht zu
期刊介绍:
The ANTIKE UND ABENDLAND yearbook was founded immediately after the Second World War by Bruno Snell as a forum for interdisciplinary discussion of topics from Antiquity and the history of their later effects. The Editorial Board contains representatives from the disciplines of Classical Studies, Ancient History, Germanic Studies, Romance Studies and English Studies. Articles are published on classical literature and its reception, the history of science, Greek myths, classical mythology and its European heritage; in addition, there are contributions on Ancient history, art, philosophy, science, religion and their significance for the history of European culture and thought.