{"title":"Freiheit und Fremdheit. Kafkas Romane. Von Dirk Oschmann. Basel: Schwabe, 2021. 258 Seiten. CHF52.00 gebunden, CHF48.00 eBook.","authors":"Marcus P. Bullock","doi":"10.3368/m.115.1.120","DOIUrl":null,"url":null,"abstract":"Umbruchsthesen zu erhärten und auszudifferenzieren, hätten die je ,,überkommenen Strukturen“ (9), die insgesamt etwas unterbestimmt bleiben, stärker berücksichtigt werden können, um konkrete Verschiebungen zu markieren, aber auch Kontinuitäten im Auge zu behalten. Schließen nicht beispielsweise die ironischen Leser_innenInvolvierungen, die Begründungsstrategien ästhetischer Autonomie im Wechselspiel mit empirischen und fiktiven Adressat_innen, aber auch die forcierten Grenzauflösungen zwischen Kunstwerk und Publikum, wie sie die Beiträge herausarbeiten, immer wieder auch an Verfahren etwa der Romantik an – so dass sich der vom Band unterstrichene modernistische Umsturzgestus auch verkomplizieren und auf seine Genealogien hin befragen ließe? Positiv zu betonen ist hingegen, dass der Band – neben einigen in der Forschung bereits gut etablierten Thesen und Beobachtungen – auch eine Reihe bislang wenig beachteter Autor_innen und Texte in den Blick rückt und anregende Perspektiven auf ihre Adressierungsstrategien eröffnet. Die ins Zentrum gestellte Frage nach dem notorisch schwer zu greifenden Verhältnis von Künstler_innen, Kunstwerken und Öffentlichkeit und seinen historischen Umbrüchen um 1900 verdient in jedem Fall weitere Vertiefung. Dabei könnte es gewinnbringend sein, die vom Band vorgeschlagene narratologische Perspektive mit den hier ausgeklammerten literatursoziologischenund rezeptionsästhetischen Ansätzen (8) in engeren Dialog zu bringen: etwa mit jüngeren, Wechselverhältnisse von Text, materiellem Lektüreobjekt und Rezeption modellierenden Konzepten der Affordanz (Caroline Levine, Forms: Whole, Rhythm, Hierarchy, Network, Princeton/Oxford 2015) oder der Leseszene (Irina Hron u.a., Hrsg., Leseszenen. Poetologie – Geschichte – Medialität, Heidelberg 2020), die sich mit dem Begriff der Adressatenfunktion als kompatibel erweisen und dazu beitragen könnten, der komplexen Interaktion moderner Literatur mit ihrem Publikum in ihrer Vieldimensionalität weiter auf die Spur zu kommen.","PeriodicalId":54028,"journal":{"name":"Monatshefte","volume":"115 1","pages":"120 - 123"},"PeriodicalIF":0.1000,"publicationDate":"2023-01-01","publicationTypes":"Journal Article","fieldsOfStudy":null,"isOpenAccess":false,"openAccessPdf":"","citationCount":"0","resultStr":null,"platform":"Semanticscholar","paperid":null,"PeriodicalName":"Monatshefte","FirstCategoryId":"1085","ListUrlMain":"https://doi.org/10.3368/m.115.1.120","RegionNum":0,"RegionCategory":null,"ArticlePicture":[],"TitleCN":null,"AbstractTextCN":null,"PMCID":null,"EPubDate":"","PubModel":"","JCR":"0","JCRName":"LITERATURE, GERMAN, DUTCH, SCANDINAVIAN","Score":null,"Total":0}
引用次数: 0
Abstract
Umbruchsthesen zu erhärten und auszudifferenzieren, hätten die je ,,überkommenen Strukturen“ (9), die insgesamt etwas unterbestimmt bleiben, stärker berücksichtigt werden können, um konkrete Verschiebungen zu markieren, aber auch Kontinuitäten im Auge zu behalten. Schließen nicht beispielsweise die ironischen Leser_innenInvolvierungen, die Begründungsstrategien ästhetischer Autonomie im Wechselspiel mit empirischen und fiktiven Adressat_innen, aber auch die forcierten Grenzauflösungen zwischen Kunstwerk und Publikum, wie sie die Beiträge herausarbeiten, immer wieder auch an Verfahren etwa der Romantik an – so dass sich der vom Band unterstrichene modernistische Umsturzgestus auch verkomplizieren und auf seine Genealogien hin befragen ließe? Positiv zu betonen ist hingegen, dass der Band – neben einigen in der Forschung bereits gut etablierten Thesen und Beobachtungen – auch eine Reihe bislang wenig beachteter Autor_innen und Texte in den Blick rückt und anregende Perspektiven auf ihre Adressierungsstrategien eröffnet. Die ins Zentrum gestellte Frage nach dem notorisch schwer zu greifenden Verhältnis von Künstler_innen, Kunstwerken und Öffentlichkeit und seinen historischen Umbrüchen um 1900 verdient in jedem Fall weitere Vertiefung. Dabei könnte es gewinnbringend sein, die vom Band vorgeschlagene narratologische Perspektive mit den hier ausgeklammerten literatursoziologischenund rezeptionsästhetischen Ansätzen (8) in engeren Dialog zu bringen: etwa mit jüngeren, Wechselverhältnisse von Text, materiellem Lektüreobjekt und Rezeption modellierenden Konzepten der Affordanz (Caroline Levine, Forms: Whole, Rhythm, Hierarchy, Network, Princeton/Oxford 2015) oder der Leseszene (Irina Hron u.a., Hrsg., Leseszenen. Poetologie – Geschichte – Medialität, Heidelberg 2020), die sich mit dem Begriff der Adressatenfunktion als kompatibel erweisen und dazu beitragen könnten, der komplexen Interaktion moderner Literatur mit ihrem Publikum in ihrer Vieldimensionalität weiter auf die Spur zu kommen.