{"title":"»流放,像所有在人类的生命,这是可以«","authors":"FriedemannHG Pestel","doi":"10.14361/9783839440896-011","DOIUrl":null,"url":null,"abstract":"Im Laufe der 1790er Jahre erreichte eine fünfstellige Zahl französischer Emigranten, die vor der sich radikalisierenden Revolution flohen, die Freie Reichsstadt Hamburg sowie das dänische Altona. Gemessen an der lokalen Gesamtbevölkerung stellen die Revolutionsemigranten, eines der bedeutendsten Migrationsphänomene in der hamburgischen Geschichte dar. Allein diese Feststellung rechtfertigt die eingehendere Beschäftigung mit den Revolutionsemigranten. So verliehen sie dem städtischen Leben Hamburgs um 1800 wesentliche kulturelle und ökonomische Impulse, die einerseits Widerstände in Teilen der einheimischen Bevölkerung hervorriefen, andererseits Hamburg als Handelsund Reisezentrum weiter internationalisierten. Auf Basis einer knappen Charakterisierung der französischen Emigration insgesamt beleuchtet dieser Aufsatz die Zusammensetzung sowie die konkreten Aufnahmeund Aufenthaltsbedingungen der Emigranten in Hamburg und Altona. Das Hauptaugenmerk liegt sodann auf den wirtschaftlichen und kulturellen Transfers zwischen den Emigranten und der Hamburg-Altonaer Stadtgesellschaft: Unternehmen, Geschäfte, Gastronomie und Theater sowie Verlage und Schulen ermöglichen im Spannungsfeld von Angebot und Nachfrage, von Innovationen und Widerständen einen differenzierten Blick auf Fragen von Integration, Austausch und Konfrontation um 1800. Wechselseitige Wahrnehmungsmuster und Transferbeziehungen erweisen sich somit – auch Bereitgestellt von | transcript Verlag Angemeldet Heruntergeladen am | 18.04.18 13:40 158 | FRIEDEMANN PESTEL wenn die Quellen nur ausschnitthafte Einblicke erlauben – als eine zentrale Facette der Beziehungsgeschichte zwischen Emigranten und Aufnahmegesellschaft. PROFIL EINES TRANSNATIONALEN MIGRATIONSPHÄNOMENS Die französische Revolutionsemigration gehört zu den eher unbekannten Migrationsbewegungen der Neuzeit. Nichtsdestoweniger markieren die ca. 150.000 Emigranten, die das revolutionäre Frankreich nach 1789 verließen, das erste explizit politische Migrationsphänomen in europäischer Dimension und darüber hinaus. Sie verteilten sich von Schweden bis Sizilien, von Portugal bis Russland, ließen sich in den jungen Vereinigten Staaten und den überseeischen Kolonialgebieten ebenso nieder wie im Osmanischen Reich und stießen vereinzelt bis nach Indien vor. Ihre politische und soziale Zusammensetzung war ausgesprochen heterogen: Entsprach der Anteil der Emigranten an der Bevölkerung Frankreichs rund 0,6 Prozent, gehörten nach einer älteren Erhebung 17 Prozent von ihnen dem Adel, 25 Prozent dem Klerus und mehr als die Hälfte dem nichtprivilegierten Dritten Stand an. Wesentliche Emigrationsmotive bildeten im Falle des Adels die Abschaffung der Standesprivilegien, die mit zunehmender Verfolgung wachsende persönliche Unsicherheit, die Loyalität zu emigrierten Mitgliedern der Königsfamilie und die Umgestaltung der adlig dominierten Armee. Für die Geistlichen waren die Ablehnung der Zivilkonstitution des Klerus sowie die Aufhebung der geistlichen Orden und Klöster ausschlaggebend. Gerade der hohe Anteil von nicht-privilegierten Emigranten deutet jedoch auf komplexere Problemlagen hin: Loyalitätsund Abhängigkeitsbeziehungen von Dienstpersonal, Grenzmigration während der Revolutionskriege oder die Emigration von Künstlern und Handwerken, die in den großen Häusern keine Aufträge 1 Mein Dank gilt Anna Karla für die Lektüre dieses Aufsatzes, Matthias Winkler für viele gemeinsame Diskussionen zu den Emigranten im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation sowie Franklin Kopitzsch für wichtige Literaturhinweise. 2 Für das Folgende Pestel, Friedemann: Französische Revolutionsmigration nach 1789, Europäische Geschichte Online, http://www.ieg-ego.eu/pestelf-2017-de vom 01.02.2018; Rance, Karine: »L’historiographie de l’émigration«, in: Bourdin, Philippe (Hg.), Les noblesses françaises dans l’Europe de la Révolution, Rennes, Clermont-Ferrand 2010, S. 355-368; Carpenter, Kirsty: »Emigration in Politics and Imaginations«, in: David Andress (Hg.), The Oxford Handbook of the French Revolution, Oxford: Oxford University Press 2015, S. 330-345. Bereitgestellt von | transcript Verlag Angemeldet Heruntergeladen am | 18.04.18 13:40 FRANZÖSISCHE REVOLUTIONSEMIGRANTEN IN HAMBURG UND ALTONA | 159 mehr erhielten. Aber auch für Adel und Klerus ist eine weitere Differenzierung notwendig. Je weiter sich die Emigranten von Frankreich entfernten, umso mehr wuchs der Anteil der ersten beiden Stände in den lokalen Emigrantengemeinschaften und umso größer war ihre öffentliche Sichtbarkeit. Darüber hinaus verließen keineswegs alle adligen Emigranten Frankreich bereits 1789 mit dem Sturm auf die Bastille; vielmehr erstreckte sich die Emigrationsphase bis zum Höhepunkt der jakobinischen Terreur 1793/94. Entsprechend finden sich unter den Emigranten auch solche politischen Protagonisten der frühen Revolutionsphasen, die keineswegs pauschal am Ancien Régime festhielten. Gerade Hamburg bildet ein eindrückliches Beispiel für das breite Spektrum an sozialen Kontexten, politischen Positionen und individuellen Emigrationsbiografien. Ein weiteres Charakteristikum der Emigration war ihr provisorischer Charakter: Die Mehrzahl der Emigranten beabsichtigte keine dauerhafte Niederlassung im Ausland, sondern erhoffte sich einen vorübergehenden Wiedergewinn an persönlicher Sicherheit, an politischen, religiösen und teils auch ökonomischen Handlungsspielräumen. Folglich behielten sie während ihres Exils die Entwicklungen im revolutionären Frankreich weiterhin im Auge. Ihr militärisches Engagement beim ersten Frankreich-Feldzug der Koalitionsmächte (1792) sowie im weiteren Verlauf der Koalitionskriege konnte den Kriegsverlauf nicht zu ihren Gunsten beeinflussen. Vielmehr löste das Vorrücken der Revolutionstruppen nach Norden in Richtung der Niederlande, nach Osten über den Rhein und nach Süden Richtung der italienischen Staaten neue migratorische Dynamiken aus. Infolgedessen verbrachten viele Emigranten ihre Exilzeit an mehreren Aufenthaltsorten. In Frankreich wurde Emigration gesetzlich geahndet. Zunächst drohte Ämterverlust und Besitzkonfiskation, seit dem Sturz der Monarchie 1792 stand auf das Verlassen Frankreichs bei der Rückkehr die Todesstrafe. Die Emigranten wurden für zivilrechtlich tot erklärt und gingen jeglicher Rechte und Besitzansprüche verlustig. Trotz des provisorischen Charakters des Exils verschoben sich die Denkund Handlungshorizonte der Emigranten, je länger Revolution und Krieg andauerten. So lassen sich ab Mitte der 1790er Jahre durchaus mittelund längerfristige Integrationsstrategien beobachten, die vor allem der Sicherung des Lebensunterhaltes dienten, je knapper die aus Frankreich mitgebrachten oder bezogenen materiellen Ressourcen wurden. 3 Pestel, Friedemann/Winkler, Matthias: »Provisorische Integration und Kulturtransfer. Französische Revolutionsemigranten im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation«, in: Francia 43 (2016), S. 137-160. 4 Ragon, Marcel: La législation sur les émigrés 1789-1825, Paris 1904. Bereitgestellt von | transcript Verlag Angemeldet Heruntergeladen am | 18.04.18 13:40 160 | FRIEDEMANN PESTEL In Einzelfällen bereits unter der Herrschaft des Direktoriums nach 1795, massiv jedoch nach dem Staatsstreich Napoléon Bonapartes 1799 und der von ihm erlassenen Amnestie 1802 setzte eine Rückkehrbewegung ein. In der Zeit des napoleonischen Empires verblieb nur eine kleine Minderheit von Anhängern der bourbonischen Exilmonarchie in der Emigration, die ihrerseits mit der Restauration von 1814 zurückkehrte. Emigranten, die in der Regel aus freien Stücken, etwa aufgrund von Heiratsbeziehungen und Berufstätigkeit, in ihren Exilländern ansässig wurden, bildeten, wie sich auch für Hamburg zeigen lässt, eine Ausnahme. HAMBURG – KONTINENTALES ZENTRUM DER EMIGRANTEN IN EUROPA Für die Emigranten, die vor allem Mitte der 1790er Jahre die nördlichen Reichsterritorien erreichten, war die Hansestadt meist nicht die erste Station ihres Exils. Ihre hohe Mobilität ergab sich weitgehend aus dem Verlauf der Revolutionskriege. Während sich die Emigranten vor 1792 maßgeblich an Rhein und Mosel konzentriert hatten, flohen viele von ihnen nach der gescheiterten preußisch-österreichischen Militärintervention und dem anschließenden Vorstoß der Revolutionstruppen auf das Reichsterritorium in nördlich und östlich gelegene Reichsgebiete. Zwar war 1793 das gesamte Reich in den Krieg gegen die Französische Republik eingetreten, doch bemühte sich der Hamburger Senat nach Kräften, die Stadt aus den militärischen Aktionen herauszuhalten. Im Gefolge des preußischen 5 In der historischen Forschung, weniger im öffentlichen Bewusstsein, hat dieser Stellenwert in den letzten Jahren zunehmenden Niederschlag gefunden; Manske, Maike: Möglichkeiten und Grenzen des Kulturtransfers. Emigranten der Französischen Revolution in Hamburg, Bremen und Lübeck, Saarbrücken: Müller 2008; Aaslestad, Katherine: Place and Politics. Local Identity, Civic Culture, and German Nationalism in North Germany during the Revolutionary Era, Leiden: Brill 2005; Schmidt, Burghart: »›Französisches Emigranten Volck in Hamburg nach dem Leben gemahlt‹. Regionalgeschichtliche Überlegungen zum Wirtschaftsund Kulturtransfer im Zeitalter der Französischen Revolution«, in: Dirk Brietzke/Norbert Fischer/Arno Herzig (Hg.), Hamburg und sein norddeutsches Umland. Aspekte des Wandels seit der frühen Neuzeit. Festschrift für Franklin Kopitzsch, Hamburg: DOBU 2007, S. 97-120. 6 F. Pestel/M. Winkler: Provisorische Integration, S. 141-146. Bereitgestellt von | transcript Verlag Angemeldet Heruntergeladen am | 18.04.18 13:40 FRANZÖSISCHE REVOLUTIONSEMIGRANTEN IN HAMBURG UND ALTONA | 161 Friedensschlusses in Basel 1795 wurden die nördlichen Reichsstände Teil der Neutralitätszone. Die Konsequenzen für die Emigranten waren ambivalent: Wer ab Mitte der 1790er Jahre nach Hamburg kam, oftmals ausgewiesen aus unmittelbar bedrohten Territorien, war dort vor dem Zugriff der Revolutionstruppen sicher. Gleichzeitig bedingte de","PeriodicalId":340064,"journal":{"name":"Fluchtpunkt Hamburg","volume":"15 1","pages":"0"},"PeriodicalIF":0.0000,"publicationDate":"2018-12-31","publicationTypes":"Journal Article","fieldsOfStudy":null,"isOpenAccess":false,"openAccessPdf":"","citationCount":"0","resultStr":"{\"title\":\"»Das Exil hat, wie alle Lagen des menschlichen Lebens, sein Gutes«\",\"authors\":\"FriedemannHG Pestel\",\"doi\":\"10.14361/9783839440896-011\",\"DOIUrl\":null,\"url\":null,\"abstract\":\"Im Laufe der 1790er Jahre erreichte eine fünfstellige Zahl französischer Emigranten, die vor der sich radikalisierenden Revolution flohen, die Freie Reichsstadt Hamburg sowie das dänische Altona. 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Das Hauptaugenmerk liegt sodann auf den wirtschaftlichen und kulturellen Transfers zwischen den Emigranten und der Hamburg-Altonaer Stadtgesellschaft: Unternehmen, Geschäfte, Gastronomie und Theater sowie Verlage und Schulen ermöglichen im Spannungsfeld von Angebot und Nachfrage, von Innovationen und Widerständen einen differenzierten Blick auf Fragen von Integration, Austausch und Konfrontation um 1800. Wechselseitige Wahrnehmungsmuster und Transferbeziehungen erweisen sich somit – auch Bereitgestellt von | transcript Verlag Angemeldet Heruntergeladen am | 18.04.18 13:40 158 | FRIEDEMANN PESTEL wenn die Quellen nur ausschnitthafte Einblicke erlauben – als eine zentrale Facette der Beziehungsgeschichte zwischen Emigranten und Aufnahmegesellschaft. PROFIL EINES TRANSNATIONALEN MIGRATIONSPHÄNOMENS Die französische Revolutionsemigration gehört zu den eher unbekannten Migrationsbewegungen der Neuzeit. Nichtsdestoweniger markieren die ca. 150.000 Emigranten, die das revolutionäre Frankreich nach 1789 verließen, das erste explizit politische Migrationsphänomen in europäischer Dimension und darüber hinaus. Sie verteilten sich von Schweden bis Sizilien, von Portugal bis Russland, ließen sich in den jungen Vereinigten Staaten und den überseeischen Kolonialgebieten ebenso nieder wie im Osmanischen Reich und stießen vereinzelt bis nach Indien vor. Ihre politische und soziale Zusammensetzung war ausgesprochen heterogen: Entsprach der Anteil der Emigranten an der Bevölkerung Frankreichs rund 0,6 Prozent, gehörten nach einer älteren Erhebung 17 Prozent von ihnen dem Adel, 25 Prozent dem Klerus und mehr als die Hälfte dem nichtprivilegierten Dritten Stand an. Wesentliche Emigrationsmotive bildeten im Falle des Adels die Abschaffung der Standesprivilegien, die mit zunehmender Verfolgung wachsende persönliche Unsicherheit, die Loyalität zu emigrierten Mitgliedern der Königsfamilie und die Umgestaltung der adlig dominierten Armee. Für die Geistlichen waren die Ablehnung der Zivilkonstitution des Klerus sowie die Aufhebung der geistlichen Orden und Klöster ausschlaggebend. Gerade der hohe Anteil von nicht-privilegierten Emigranten deutet jedoch auf komplexere Problemlagen hin: Loyalitätsund Abhängigkeitsbeziehungen von Dienstpersonal, Grenzmigration während der Revolutionskriege oder die Emigration von Künstlern und Handwerken, die in den großen Häusern keine Aufträge 1 Mein Dank gilt Anna Karla für die Lektüre dieses Aufsatzes, Matthias Winkler für viele gemeinsame Diskussionen zu den Emigranten im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation sowie Franklin Kopitzsch für wichtige Literaturhinweise. 2 Für das Folgende Pestel, Friedemann: Französische Revolutionsmigration nach 1789, Europäische Geschichte Online, http://www.ieg-ego.eu/pestelf-2017-de vom 01.02.2018; Rance, Karine: »L’historiographie de l’émigration«, in: Bourdin, Philippe (Hg.), Les noblesses françaises dans l’Europe de la Révolution, Rennes, Clermont-Ferrand 2010, S. 355-368; Carpenter, Kirsty: »Emigration in Politics and Imaginations«, in: David Andress (Hg.), The Oxford Handbook of the French Revolution, Oxford: Oxford University Press 2015, S. 330-345. Bereitgestellt von | transcript Verlag Angemeldet Heruntergeladen am | 18.04.18 13:40 FRANZÖSISCHE REVOLUTIONSEMIGRANTEN IN HAMBURG UND ALTONA | 159 mehr erhielten. Aber auch für Adel und Klerus ist eine weitere Differenzierung notwendig. Je weiter sich die Emigranten von Frankreich entfernten, umso mehr wuchs der Anteil der ersten beiden Stände in den lokalen Emigrantengemeinschaften und umso größer war ihre öffentliche Sichtbarkeit. Darüber hinaus verließen keineswegs alle adligen Emigranten Frankreich bereits 1789 mit dem Sturm auf die Bastille; vielmehr erstreckte sich die Emigrationsphase bis zum Höhepunkt der jakobinischen Terreur 1793/94. Entsprechend finden sich unter den Emigranten auch solche politischen Protagonisten der frühen Revolutionsphasen, die keineswegs pauschal am Ancien Régime festhielten. Gerade Hamburg bildet ein eindrückliches Beispiel für das breite Spektrum an sozialen Kontexten, politischen Positionen und individuellen Emigrationsbiografien. Ein weiteres Charakteristikum der Emigration war ihr provisorischer Charakter: Die Mehrzahl der Emigranten beabsichtigte keine dauerhafte Niederlassung im Ausland, sondern erhoffte sich einen vorübergehenden Wiedergewinn an persönlicher Sicherheit, an politischen, religiösen und teils auch ökonomischen Handlungsspielräumen. Folglich behielten sie während ihres Exils die Entwicklungen im revolutionären Frankreich weiterhin im Auge. Ihr militärisches Engagement beim ersten Frankreich-Feldzug der Koalitionsmächte (1792) sowie im weiteren Verlauf der Koalitionskriege konnte den Kriegsverlauf nicht zu ihren Gunsten beeinflussen. Vielmehr löste das Vorrücken der Revolutionstruppen nach Norden in Richtung der Niederlande, nach Osten über den Rhein und nach Süden Richtung der italienischen Staaten neue migratorische Dynamiken aus. Infolgedessen verbrachten viele Emigranten ihre Exilzeit an mehreren Aufenthaltsorten. In Frankreich wurde Emigration gesetzlich geahndet. Zunächst drohte Ämterverlust und Besitzkonfiskation, seit dem Sturz der Monarchie 1792 stand auf das Verlassen Frankreichs bei der Rückkehr die Todesstrafe. Die Emigranten wurden für zivilrechtlich tot erklärt und gingen jeglicher Rechte und Besitzansprüche verlustig. Trotz des provisorischen Charakters des Exils verschoben sich die Denkund Handlungshorizonte der Emigranten, je länger Revolution und Krieg andauerten. So lassen sich ab Mitte der 1790er Jahre durchaus mittelund längerfristige Integrationsstrategien beobachten, die vor allem der Sicherung des Lebensunterhaltes dienten, je knapper die aus Frankreich mitgebrachten oder bezogenen materiellen Ressourcen wurden. 3 Pestel, Friedemann/Winkler, Matthias: »Provisorische Integration und Kulturtransfer. Französische Revolutionsemigranten im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation«, in: Francia 43 (2016), S. 137-160. 4 Ragon, Marcel: La législation sur les émigrés 1789-1825, Paris 1904. 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Ihre hohe Mobilität ergab sich weitgehend aus dem Verlauf der Revolutionskriege. Während sich die Emigranten vor 1792 maßgeblich an Rhein und Mosel konzentriert hatten, flohen viele von ihnen nach der gescheiterten preußisch-österreichischen Militärintervention und dem anschließenden Vorstoß der Revolutionstruppen auf das Reichsterritorium in nördlich und östlich gelegene Reichsgebiete. Zwar war 1793 das gesamte Reich in den Krieg gegen die Französische Republik eingetreten, doch bemühte sich der Hamburger Senat nach Kräften, die Stadt aus den militärischen Aktionen herauszuhalten. Im Gefolge des preußischen 5 In der historischen Forschung, weniger im öffentlichen Bewusstsein, hat dieser Stellenwert in den letzten Jahren zunehmenden Niederschlag gefunden; Manske, Maike: Möglichkeiten und Grenzen des Kulturtransfers. Emigranten der Französischen Revolution in Hamburg, Bremen und Lübeck, Saarbrücken: Müller 2008; Aaslestad, Katherine: Place and Politics. 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»Das Exil hat, wie alle Lagen des menschlichen Lebens, sein Gutes«
Im Laufe der 1790er Jahre erreichte eine fünfstellige Zahl französischer Emigranten, die vor der sich radikalisierenden Revolution flohen, die Freie Reichsstadt Hamburg sowie das dänische Altona. Gemessen an der lokalen Gesamtbevölkerung stellen die Revolutionsemigranten, eines der bedeutendsten Migrationsphänomene in der hamburgischen Geschichte dar. Allein diese Feststellung rechtfertigt die eingehendere Beschäftigung mit den Revolutionsemigranten. So verliehen sie dem städtischen Leben Hamburgs um 1800 wesentliche kulturelle und ökonomische Impulse, die einerseits Widerstände in Teilen der einheimischen Bevölkerung hervorriefen, andererseits Hamburg als Handelsund Reisezentrum weiter internationalisierten. Auf Basis einer knappen Charakterisierung der französischen Emigration insgesamt beleuchtet dieser Aufsatz die Zusammensetzung sowie die konkreten Aufnahmeund Aufenthaltsbedingungen der Emigranten in Hamburg und Altona. Das Hauptaugenmerk liegt sodann auf den wirtschaftlichen und kulturellen Transfers zwischen den Emigranten und der Hamburg-Altonaer Stadtgesellschaft: Unternehmen, Geschäfte, Gastronomie und Theater sowie Verlage und Schulen ermöglichen im Spannungsfeld von Angebot und Nachfrage, von Innovationen und Widerständen einen differenzierten Blick auf Fragen von Integration, Austausch und Konfrontation um 1800. Wechselseitige Wahrnehmungsmuster und Transferbeziehungen erweisen sich somit – auch Bereitgestellt von | transcript Verlag Angemeldet Heruntergeladen am | 18.04.18 13:40 158 | FRIEDEMANN PESTEL wenn die Quellen nur ausschnitthafte Einblicke erlauben – als eine zentrale Facette der Beziehungsgeschichte zwischen Emigranten und Aufnahmegesellschaft. PROFIL EINES TRANSNATIONALEN MIGRATIONSPHÄNOMENS Die französische Revolutionsemigration gehört zu den eher unbekannten Migrationsbewegungen der Neuzeit. Nichtsdestoweniger markieren die ca. 150.000 Emigranten, die das revolutionäre Frankreich nach 1789 verließen, das erste explizit politische Migrationsphänomen in europäischer Dimension und darüber hinaus. Sie verteilten sich von Schweden bis Sizilien, von Portugal bis Russland, ließen sich in den jungen Vereinigten Staaten und den überseeischen Kolonialgebieten ebenso nieder wie im Osmanischen Reich und stießen vereinzelt bis nach Indien vor. Ihre politische und soziale Zusammensetzung war ausgesprochen heterogen: Entsprach der Anteil der Emigranten an der Bevölkerung Frankreichs rund 0,6 Prozent, gehörten nach einer älteren Erhebung 17 Prozent von ihnen dem Adel, 25 Prozent dem Klerus und mehr als die Hälfte dem nichtprivilegierten Dritten Stand an. Wesentliche Emigrationsmotive bildeten im Falle des Adels die Abschaffung der Standesprivilegien, die mit zunehmender Verfolgung wachsende persönliche Unsicherheit, die Loyalität zu emigrierten Mitgliedern der Königsfamilie und die Umgestaltung der adlig dominierten Armee. Für die Geistlichen waren die Ablehnung der Zivilkonstitution des Klerus sowie die Aufhebung der geistlichen Orden und Klöster ausschlaggebend. Gerade der hohe Anteil von nicht-privilegierten Emigranten deutet jedoch auf komplexere Problemlagen hin: Loyalitätsund Abhängigkeitsbeziehungen von Dienstpersonal, Grenzmigration während der Revolutionskriege oder die Emigration von Künstlern und Handwerken, die in den großen Häusern keine Aufträge 1 Mein Dank gilt Anna Karla für die Lektüre dieses Aufsatzes, Matthias Winkler für viele gemeinsame Diskussionen zu den Emigranten im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation sowie Franklin Kopitzsch für wichtige Literaturhinweise. 2 Für das Folgende Pestel, Friedemann: Französische Revolutionsmigration nach 1789, Europäische Geschichte Online, http://www.ieg-ego.eu/pestelf-2017-de vom 01.02.2018; Rance, Karine: »L’historiographie de l’émigration«, in: Bourdin, Philippe (Hg.), Les noblesses françaises dans l’Europe de la Révolution, Rennes, Clermont-Ferrand 2010, S. 355-368; Carpenter, Kirsty: »Emigration in Politics and Imaginations«, in: David Andress (Hg.), The Oxford Handbook of the French Revolution, Oxford: Oxford University Press 2015, S. 330-345. Bereitgestellt von | transcript Verlag Angemeldet Heruntergeladen am | 18.04.18 13:40 FRANZÖSISCHE REVOLUTIONSEMIGRANTEN IN HAMBURG UND ALTONA | 159 mehr erhielten. Aber auch für Adel und Klerus ist eine weitere Differenzierung notwendig. Je weiter sich die Emigranten von Frankreich entfernten, umso mehr wuchs der Anteil der ersten beiden Stände in den lokalen Emigrantengemeinschaften und umso größer war ihre öffentliche Sichtbarkeit. Darüber hinaus verließen keineswegs alle adligen Emigranten Frankreich bereits 1789 mit dem Sturm auf die Bastille; vielmehr erstreckte sich die Emigrationsphase bis zum Höhepunkt der jakobinischen Terreur 1793/94. Entsprechend finden sich unter den Emigranten auch solche politischen Protagonisten der frühen Revolutionsphasen, die keineswegs pauschal am Ancien Régime festhielten. Gerade Hamburg bildet ein eindrückliches Beispiel für das breite Spektrum an sozialen Kontexten, politischen Positionen und individuellen Emigrationsbiografien. Ein weiteres Charakteristikum der Emigration war ihr provisorischer Charakter: Die Mehrzahl der Emigranten beabsichtigte keine dauerhafte Niederlassung im Ausland, sondern erhoffte sich einen vorübergehenden Wiedergewinn an persönlicher Sicherheit, an politischen, religiösen und teils auch ökonomischen Handlungsspielräumen. Folglich behielten sie während ihres Exils die Entwicklungen im revolutionären Frankreich weiterhin im Auge. Ihr militärisches Engagement beim ersten Frankreich-Feldzug der Koalitionsmächte (1792) sowie im weiteren Verlauf der Koalitionskriege konnte den Kriegsverlauf nicht zu ihren Gunsten beeinflussen. Vielmehr löste das Vorrücken der Revolutionstruppen nach Norden in Richtung der Niederlande, nach Osten über den Rhein und nach Süden Richtung der italienischen Staaten neue migratorische Dynamiken aus. Infolgedessen verbrachten viele Emigranten ihre Exilzeit an mehreren Aufenthaltsorten. In Frankreich wurde Emigration gesetzlich geahndet. Zunächst drohte Ämterverlust und Besitzkonfiskation, seit dem Sturz der Monarchie 1792 stand auf das Verlassen Frankreichs bei der Rückkehr die Todesstrafe. Die Emigranten wurden für zivilrechtlich tot erklärt und gingen jeglicher Rechte und Besitzansprüche verlustig. Trotz des provisorischen Charakters des Exils verschoben sich die Denkund Handlungshorizonte der Emigranten, je länger Revolution und Krieg andauerten. So lassen sich ab Mitte der 1790er Jahre durchaus mittelund längerfristige Integrationsstrategien beobachten, die vor allem der Sicherung des Lebensunterhaltes dienten, je knapper die aus Frankreich mitgebrachten oder bezogenen materiellen Ressourcen wurden. 3 Pestel, Friedemann/Winkler, Matthias: »Provisorische Integration und Kulturtransfer. Französische Revolutionsemigranten im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation«, in: Francia 43 (2016), S. 137-160. 4 Ragon, Marcel: La législation sur les émigrés 1789-1825, Paris 1904. Bereitgestellt von | transcript Verlag Angemeldet Heruntergeladen am | 18.04.18 13:40 160 | FRIEDEMANN PESTEL In Einzelfällen bereits unter der Herrschaft des Direktoriums nach 1795, massiv jedoch nach dem Staatsstreich Napoléon Bonapartes 1799 und der von ihm erlassenen Amnestie 1802 setzte eine Rückkehrbewegung ein. In der Zeit des napoleonischen Empires verblieb nur eine kleine Minderheit von Anhängern der bourbonischen Exilmonarchie in der Emigration, die ihrerseits mit der Restauration von 1814 zurückkehrte. Emigranten, die in der Regel aus freien Stücken, etwa aufgrund von Heiratsbeziehungen und Berufstätigkeit, in ihren Exilländern ansässig wurden, bildeten, wie sich auch für Hamburg zeigen lässt, eine Ausnahme. HAMBURG – KONTINENTALES ZENTRUM DER EMIGRANTEN IN EUROPA Für die Emigranten, die vor allem Mitte der 1790er Jahre die nördlichen Reichsterritorien erreichten, war die Hansestadt meist nicht die erste Station ihres Exils. Ihre hohe Mobilität ergab sich weitgehend aus dem Verlauf der Revolutionskriege. Während sich die Emigranten vor 1792 maßgeblich an Rhein und Mosel konzentriert hatten, flohen viele von ihnen nach der gescheiterten preußisch-österreichischen Militärintervention und dem anschließenden Vorstoß der Revolutionstruppen auf das Reichsterritorium in nördlich und östlich gelegene Reichsgebiete. Zwar war 1793 das gesamte Reich in den Krieg gegen die Französische Republik eingetreten, doch bemühte sich der Hamburger Senat nach Kräften, die Stadt aus den militärischen Aktionen herauszuhalten. Im Gefolge des preußischen 5 In der historischen Forschung, weniger im öffentlichen Bewusstsein, hat dieser Stellenwert in den letzten Jahren zunehmenden Niederschlag gefunden; Manske, Maike: Möglichkeiten und Grenzen des Kulturtransfers. Emigranten der Französischen Revolution in Hamburg, Bremen und Lübeck, Saarbrücken: Müller 2008; Aaslestad, Katherine: Place and Politics. Local Identity, Civic Culture, and German Nationalism in North Germany during the Revolutionary Era, Leiden: Brill 2005; Schmidt, Burghart: »›Französisches Emigranten Volck in Hamburg nach dem Leben gemahlt‹. Regionalgeschichtliche Überlegungen zum Wirtschaftsund Kulturtransfer im Zeitalter der Französischen Revolution«, in: Dirk Brietzke/Norbert Fischer/Arno Herzig (Hg.), Hamburg und sein norddeutsches Umland. Aspekte des Wandels seit der frühen Neuzeit. Festschrift für Franklin Kopitzsch, Hamburg: DOBU 2007, S. 97-120. 6 F. Pestel/M. Winkler: Provisorische Integration, S. 141-146. Bereitgestellt von | transcript Verlag Angemeldet Heruntergeladen am | 18.04.18 13:40 FRANZÖSISCHE REVOLUTIONSEMIGRANTEN IN HAMBURG UND ALTONA | 161 Friedensschlusses in Basel 1795 wurden die nördlichen Reichsstände Teil der Neutralitätszone. Die Konsequenzen für die Emigranten waren ambivalent: Wer ab Mitte der 1790er Jahre nach Hamburg kam, oftmals ausgewiesen aus unmittelbar bedrohten Territorien, war dort vor dem Zugriff der Revolutionstruppen sicher. Gleichzeitig bedingte de