{"title":"Zwischen übersteigerter und fehlender Solidarität. Die Covid-19-Pandemie aus biopolitischer Perspektive nach Foucault","authors":"W. Stronegger","doi":"10.5771/9783748910589-213","DOIUrl":null,"url":null,"abstract":"In einer Zeit ohne metaphysische Realitäten und Begriffe treten bedrohliche Epidemien nicht mehr als Konsequenz für kollektiv begangene Verfehlungen, den Bruch alter Rechte oder die Missachtung eines göttlichen Willens in Erscheinung. Es begleitet sie kein ritualisiertes Beziehungsgeschehen, sie folgen nicht auf eine kollektive Untreue zu einem verborgenen Gott oder Seinsgrund. Sie sind heute eine ausschließlich bio-psychosoziale Bedrohung, die nach effektiven und effizienten bio-psycho-sozialen Maßnahmen auf wissenschaftlicher Grundlage verlangt. Die Covid-19Pandemie trifft im Jahre 2020 auf Gesellschaften, für die gefährliche Pandemien keine historische, regelmäßig wiederkehrende Normalität mehr sind, wie sie es bis zu den Weltkriegen auch in den Industrienationen waren. Seither haben die modernen Staaten eine biopolitische Transformation (im Sinne Michel Foucaults Konzept) erfahren, welche die Frage nach dem politischen Umgang mit Pandemien neu aufwirft – nämlich gerade die Frage nach der Rolle biopolitischer Rationalität im staatlichen Verhalten angesichts hygienischer Massenbedrohungen der Art, wie es die Covid-19-Pandemie des Jahres 2020 ist. Der Beitrag stellt die These vor, dass natürliche Massenbedrohungen den Anlass zu einer Verstärkung bzw. Beschleunigung jenes biopolitischen Transformationsprozesses geben können, in welchem sich die Industriegesellschaften insbesondere seit dem 18. Jahrhundert nach den Analysen des 1.","PeriodicalId":441173,"journal":{"name":"Die Corona-Pandemie","volume":"46 1","pages":"0"},"PeriodicalIF":0.0000,"publicationDate":"2020-07-28","publicationTypes":"Journal Article","fieldsOfStudy":null,"isOpenAccess":false,"openAccessPdf":"","citationCount":"1","resultStr":null,"platform":"Semanticscholar","paperid":null,"PeriodicalName":"Die Corona-Pandemie","FirstCategoryId":"1085","ListUrlMain":"https://doi.org/10.5771/9783748910589-213","RegionNum":0,"RegionCategory":null,"ArticlePicture":[],"TitleCN":null,"AbstractTextCN":null,"PMCID":null,"EPubDate":"","PubModel":"","JCR":"","JCRName":"","Score":null,"Total":0}
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Abstract
In einer Zeit ohne metaphysische Realitäten und Begriffe treten bedrohliche Epidemien nicht mehr als Konsequenz für kollektiv begangene Verfehlungen, den Bruch alter Rechte oder die Missachtung eines göttlichen Willens in Erscheinung. Es begleitet sie kein ritualisiertes Beziehungsgeschehen, sie folgen nicht auf eine kollektive Untreue zu einem verborgenen Gott oder Seinsgrund. Sie sind heute eine ausschließlich bio-psychosoziale Bedrohung, die nach effektiven und effizienten bio-psycho-sozialen Maßnahmen auf wissenschaftlicher Grundlage verlangt. Die Covid-19Pandemie trifft im Jahre 2020 auf Gesellschaften, für die gefährliche Pandemien keine historische, regelmäßig wiederkehrende Normalität mehr sind, wie sie es bis zu den Weltkriegen auch in den Industrienationen waren. Seither haben die modernen Staaten eine biopolitische Transformation (im Sinne Michel Foucaults Konzept) erfahren, welche die Frage nach dem politischen Umgang mit Pandemien neu aufwirft – nämlich gerade die Frage nach der Rolle biopolitischer Rationalität im staatlichen Verhalten angesichts hygienischer Massenbedrohungen der Art, wie es die Covid-19-Pandemie des Jahres 2020 ist. Der Beitrag stellt die These vor, dass natürliche Massenbedrohungen den Anlass zu einer Verstärkung bzw. Beschleunigung jenes biopolitischen Transformationsprozesses geben können, in welchem sich die Industriegesellschaften insbesondere seit dem 18. Jahrhundert nach den Analysen des 1.