{"title":"Weiterbildungsoffensive in und nach der Krise: Jetzt erst recht!","authors":"Sven Rahner, M. Schulze, M. Ehlert","doi":"10.5771/0342-300x-2020-6-513","DOIUrl":null,"url":null,"abstract":"Viele Beobachter des politischen Betriebs zeigten sich angesichts der Schnelligkeit und Konsequenz, mit der die deutsche Bundesregierung auf den plötzlichen CoronaSchock reagieren konnte, überrascht. Keine Anzeichen mehr von der zuletzt häufig konstatierten Staatsmüdigkeit und großkoalitionären Selbstgenügsamkeit. Die These einer Renaissance starker Staatlichkeit, die sich gegenüber den immer stärker ausbreitenden Eigenlogiken gesellschaftlich entkoppelter Weltkonzerne derart beindruckend behaupten könne, hätte wohl „vor Corona“ kaum Befürworter gefunden. Es ist das kollektiv erlebte Gefühl eines Gefahrenverzugs, das politische Handlungsräume in historischem Ausmaß eröffnet. Bundesfinanzminister Olaf Scholz verabschiedete sich von der zuvor mantrahaft beschworenen Schuldenbremse und bemühte dazu das drastische Sprachbild der „Bazooka“, die jetzt in die Hand genommen werden müsse. Das erste Konjunkturpaket, das durch die massiven finanziellen Investitionen in den Zukunftsfeldern Digitalisierung und Dekarbonisierung den digitalen und ökologischen Strukturwandel zusätzlich beschleunigen dürfte, beläuft sich mithin auf 130 Mrd. €. Bundeskanzlerin Angela Merkel kündigte eine „große europäische Kraftanstrengung“ an, um dem „symmetrischen Schock“ zu begegnen, und sorgte mit ihrem gemeinsamen Vorstoß mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron für einen 500 Mrd. € schweren, nicht an Kredite gebundenen Wiederaufbaufonds international für Aufsehen. 1 Nach der nahezu vollständigen politischen und gesellschaftlichen Konzentration auf eine direkte Krisenreaktion läutete die Diskussion um die Inhalte der Konjunkturpakete eine zweite Phase der Corona-Politik ein. Im Anschluss an die kurzfristige gesundheitsund sozialpolitische Pandemieabwehr wurde in Politik, Wirtschaft und Wissenschaft der berechtigte Ruf nach einer langfristig und sozialinvestiv orientierten Politikgestaltung lauter. 2 Unter den Bedingungen eines durch die Pandemie verstärkten digitalen und ökologischen Strukturwandels wird spätestens mit dem Auslaufen der gelockerten Insolvenz-, Steuerund Kurzarbeitsregelungen deutlich werden, dass die wirtschaftsund arbeitsmarktpolitische Schlüsselfrage in der systematischen Verknüpfung konjunktureller und struktureller Zukunftsaufgaben auf dem deutschen Arbeitsmarkt liegen wird. 3 Ausgehend von dieser Beobachtung wird im Folgenden zunächst ein einordnender Blick auf aktuelle Daten und Zusammenhänge aus der Weiterbildungsforschung geworfen. In einem weiteren Schritt wird der aktuelle Diskurs um geeignete wirtschaftsund arbeitsmarktpolitische Maßnahmen mit der politischen und wissenschaftlichen Auseinandersetzung um die Stärkung der individuellen Weiterbildungsförderung verbunden, die im Zuge des digitalen und ökologischen Wandels zunehmend Auftrieb erhält. Abschließend wird mit Bezug auf die Geschichte der Arbeitsmarktpolitik in Deutschland die Frage nach einem notwendigen Paradigmenwechsel hin zu einer stärker vorsorgenden und befähigenden Ausrichtung der Arbeitsmarktpolitik diskutiert, die Lernen und Arbeiten in Zeiten ständiger Unsicherheit unterstützen kann.","PeriodicalId":255082,"journal":{"name":"WSI-Mitteilungen","volume":"85 1","pages":"0"},"PeriodicalIF":0.0000,"publicationDate":"2020-11-24","publicationTypes":"Journal Article","fieldsOfStudy":null,"isOpenAccess":false,"openAccessPdf":"","citationCount":"0","resultStr":null,"platform":"Semanticscholar","paperid":null,"PeriodicalName":"WSI-Mitteilungen","FirstCategoryId":"1085","ListUrlMain":"https://doi.org/10.5771/0342-300x-2020-6-513","RegionNum":0,"RegionCategory":null,"ArticlePicture":[],"TitleCN":null,"AbstractTextCN":null,"PMCID":null,"EPubDate":"","PubModel":"","JCR":"","JCRName":"","Score":null,"Total":0}
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Abstract
Viele Beobachter des politischen Betriebs zeigten sich angesichts der Schnelligkeit und Konsequenz, mit der die deutsche Bundesregierung auf den plötzlichen CoronaSchock reagieren konnte, überrascht. Keine Anzeichen mehr von der zuletzt häufig konstatierten Staatsmüdigkeit und großkoalitionären Selbstgenügsamkeit. Die These einer Renaissance starker Staatlichkeit, die sich gegenüber den immer stärker ausbreitenden Eigenlogiken gesellschaftlich entkoppelter Weltkonzerne derart beindruckend behaupten könne, hätte wohl „vor Corona“ kaum Befürworter gefunden. Es ist das kollektiv erlebte Gefühl eines Gefahrenverzugs, das politische Handlungsräume in historischem Ausmaß eröffnet. Bundesfinanzminister Olaf Scholz verabschiedete sich von der zuvor mantrahaft beschworenen Schuldenbremse und bemühte dazu das drastische Sprachbild der „Bazooka“, die jetzt in die Hand genommen werden müsse. Das erste Konjunkturpaket, das durch die massiven finanziellen Investitionen in den Zukunftsfeldern Digitalisierung und Dekarbonisierung den digitalen und ökologischen Strukturwandel zusätzlich beschleunigen dürfte, beläuft sich mithin auf 130 Mrd. €. Bundeskanzlerin Angela Merkel kündigte eine „große europäische Kraftanstrengung“ an, um dem „symmetrischen Schock“ zu begegnen, und sorgte mit ihrem gemeinsamen Vorstoß mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron für einen 500 Mrd. € schweren, nicht an Kredite gebundenen Wiederaufbaufonds international für Aufsehen. 1 Nach der nahezu vollständigen politischen und gesellschaftlichen Konzentration auf eine direkte Krisenreaktion läutete die Diskussion um die Inhalte der Konjunkturpakete eine zweite Phase der Corona-Politik ein. Im Anschluss an die kurzfristige gesundheitsund sozialpolitische Pandemieabwehr wurde in Politik, Wirtschaft und Wissenschaft der berechtigte Ruf nach einer langfristig und sozialinvestiv orientierten Politikgestaltung lauter. 2 Unter den Bedingungen eines durch die Pandemie verstärkten digitalen und ökologischen Strukturwandels wird spätestens mit dem Auslaufen der gelockerten Insolvenz-, Steuerund Kurzarbeitsregelungen deutlich werden, dass die wirtschaftsund arbeitsmarktpolitische Schlüsselfrage in der systematischen Verknüpfung konjunktureller und struktureller Zukunftsaufgaben auf dem deutschen Arbeitsmarkt liegen wird. 3 Ausgehend von dieser Beobachtung wird im Folgenden zunächst ein einordnender Blick auf aktuelle Daten und Zusammenhänge aus der Weiterbildungsforschung geworfen. In einem weiteren Schritt wird der aktuelle Diskurs um geeignete wirtschaftsund arbeitsmarktpolitische Maßnahmen mit der politischen und wissenschaftlichen Auseinandersetzung um die Stärkung der individuellen Weiterbildungsförderung verbunden, die im Zuge des digitalen und ökologischen Wandels zunehmend Auftrieb erhält. Abschließend wird mit Bezug auf die Geschichte der Arbeitsmarktpolitik in Deutschland die Frage nach einem notwendigen Paradigmenwechsel hin zu einer stärker vorsorgenden und befähigenden Ausrichtung der Arbeitsmarktpolitik diskutiert, die Lernen und Arbeiten in Zeiten ständiger Unsicherheit unterstützen kann.