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Abstract
Bereits Ende der 1970er-Jahre wurde innerhalb zeitgenössischer Debatten der feministischen Theoriebildung auch Kritik an antisemitischen Denkmustern laut. Jüdische Feministinnen wie Judith Plaskow und Annette Daum kritisierten die Reproduktion antjüdischer Klischess in der damals formulierten Patriarchatskritik und forderten demgegenüber differenziertere Analysen ein.1 Dennoch scheint diese frühe Kritik kaum Eingang in die feministische Reflexion gefunden zu haben. Auch heute noch lassen Feministinnen und Feministen wie auch Geschlechterforscherinnen und Geschlechterforscher wiederholt mit antisemitischen Äußerungen oder Unterstützungsbekundungen für die antisemitische BDS-Kampagne2 aufhorchen, darunter Koryphäen wie Judith Butler, Laurie Penny und Angela Davis. Wie kommt es, dass feministische Denkerinnen, die sich zum Teil in der Tradition der Kritischen Theorie verorten, Antisemitismus ausblenden und – „on basis of intersectionality“3 – durch eine einseitige Positionierung gegen den israelischen Staat dessen Delegitimierung forcieren? Mit „intersectionality“ (dt. Intersektionalität) konzeptualisierte Kimberlé Crenshaw die Mechanismen des Zusammenwirkens mehrerer Ungleichheitsdimensionen, jenseits eines simplen Aufaddierens. Konkret untersuchte sie das Zusammenwirken von „race“ und „gender“ im Kontext des US-amerikanischen Rechtssystems. Allerdings betonte sie schon früh, das Konzept könne und solle erweitert werden.4 Mit Edward Said kann diese Anmerkung Crenshaws verstanden werden als „kritische Einsicht, daß keine Theorie imstande ist, alle Situationen abzudecken, einzugrenzen und vorherzusagen, für die sie nützlich sein könnte“.5