{"title":"Einleitung: Ost-westliche Kontroverstheologie im 13. Jahrhundert","authors":"Im ökumenischen","doi":"10.1515/9783110697667-002","DOIUrl":null,"url":null,"abstract":"Im ökumenischen Fokus der Kirchengeschichtsschreibung werden die Ereignisse des Jahres 1054 längst als ein symbolisches Datum des Schismas zwischen Ostund Westkirche angesehen.Was noch in vielen kirchengeschichtlichen Studien der zweitenHälfte des 20. Jahrhunderts als Bruchstelle, ja als ausschlaggebendes Moment oder jedenfalls als Wendepunkt im Auseinanderdriften derjenigen beiden Kirchen gesehen und gelehrt wurde, die wir heute als katholische und orthodoxe Kirche konfessionell voneinander unterscheiden,1 weicht mittlerweile in der historischen Beurteilung vielerorts und zu Recht dem vierten Kreuzzug, der Einnahme Konstantinopels und dem Lateinischen Kaiserreich als Brennpunkte des Schismas. Sooft das Datum der gegenseitigen Exkommunikationen von 1054 nun als ‚symbolisches‘ betont wird, womit nicht selten seine Relevanz im Kontext der (kirchen‐)politischen lateinischgriechischen Beziehungen geschmälert wird, sooft wird gleichzeitig übersehen, dass die Akteure von 1054 eben nicht nur Kirchenpolitik betrieben und kirchenrechtlich agierten: Sie waren Theologen, die literarisch-theologisch über den Konfliktstoff reflektierten – ein Konfliktstoff, der sie in ihren Argumentationen und Handlungen antrieb, wie in den Quellen nachvollziehbar ist. Und obwohl – oder vielleicht gerade weil – der kirchenpolitische/-rechtliche Aspekt in der Rezeption von 1054 eindeutig den Vorrang erhalten hat, eröffnet die literarisch-theologische Tätigkeit der Akteure als Initialzündung kontroverstheologischer Auseinandersetzungen den Blick in eine ganz andere Dimension der ost-westlichen Beziehungen, die exemplarisch nachzuverfolgen und zu analysieren Gegenstand der vorliegenden Studie ist. Mit dem Brief des Patriarchen von Konstantinopel Michael Kerullarios an den Patriarchen Petros von Antiochia2, verfasst im Jahr 1054, beginnt eine Tradition sogenannter Irrtumslisten oder Irrtumskataloge auf Seiten der Byzantiner gegen die Lateiner. Der im selben Jahr entstandene Brief Adversus Graecorum calumnias3 des Kardinallegaten Humbert von Silva Candida reiht sich ein in eine bereits bestehende Tradition polemischer Werke unterschiedlicher Gattungen gegen die Byzantiner auf Seiten der Lateiner. Diese beiden Werke sind Beispiel und Modell des Umgangs mit dem jeweils Anderen bzw. mit der anderen Kirche im Spiegel der eigenen Rechtgläubigkeit. Dabei spielt der Rekurs auf den griechischen Patriarchen Photius, jene schillernde Gestalt der ost-westlichen Kontroverse des 9. Jahrhunderts, eine für die Entstehung der polemischen Textgattungen maßgebliche, weil konstitutive Rolle: Die theologische Kritik des Photius in Bezug auf das Filioque und der Appell des Papstes","PeriodicalId":123197,"journal":{"name":"Kirchenbild und Kircheneinheit","volume":"229 1","pages":"0"},"PeriodicalIF":0.0000,"publicationDate":"2020-11-23","publicationTypes":"Journal Article","fieldsOfStudy":null,"isOpenAccess":false,"openAccessPdf":"","citationCount":"0","resultStr":null,"platform":"Semanticscholar","paperid":null,"PeriodicalName":"Kirchenbild und Kircheneinheit","FirstCategoryId":"1085","ListUrlMain":"https://doi.org/10.1515/9783110697667-002","RegionNum":0,"RegionCategory":null,"ArticlePicture":[],"TitleCN":null,"AbstractTextCN":null,"PMCID":null,"EPubDate":"","PubModel":"","JCR":"","JCRName":"","Score":null,"Total":0}
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Abstract
Im ökumenischen Fokus der Kirchengeschichtsschreibung werden die Ereignisse des Jahres 1054 längst als ein symbolisches Datum des Schismas zwischen Ostund Westkirche angesehen.Was noch in vielen kirchengeschichtlichen Studien der zweitenHälfte des 20. Jahrhunderts als Bruchstelle, ja als ausschlaggebendes Moment oder jedenfalls als Wendepunkt im Auseinanderdriften derjenigen beiden Kirchen gesehen und gelehrt wurde, die wir heute als katholische und orthodoxe Kirche konfessionell voneinander unterscheiden,1 weicht mittlerweile in der historischen Beurteilung vielerorts und zu Recht dem vierten Kreuzzug, der Einnahme Konstantinopels und dem Lateinischen Kaiserreich als Brennpunkte des Schismas. Sooft das Datum der gegenseitigen Exkommunikationen von 1054 nun als ‚symbolisches‘ betont wird, womit nicht selten seine Relevanz im Kontext der (kirchen‐)politischen lateinischgriechischen Beziehungen geschmälert wird, sooft wird gleichzeitig übersehen, dass die Akteure von 1054 eben nicht nur Kirchenpolitik betrieben und kirchenrechtlich agierten: Sie waren Theologen, die literarisch-theologisch über den Konfliktstoff reflektierten – ein Konfliktstoff, der sie in ihren Argumentationen und Handlungen antrieb, wie in den Quellen nachvollziehbar ist. Und obwohl – oder vielleicht gerade weil – der kirchenpolitische/-rechtliche Aspekt in der Rezeption von 1054 eindeutig den Vorrang erhalten hat, eröffnet die literarisch-theologische Tätigkeit der Akteure als Initialzündung kontroverstheologischer Auseinandersetzungen den Blick in eine ganz andere Dimension der ost-westlichen Beziehungen, die exemplarisch nachzuverfolgen und zu analysieren Gegenstand der vorliegenden Studie ist. Mit dem Brief des Patriarchen von Konstantinopel Michael Kerullarios an den Patriarchen Petros von Antiochia2, verfasst im Jahr 1054, beginnt eine Tradition sogenannter Irrtumslisten oder Irrtumskataloge auf Seiten der Byzantiner gegen die Lateiner. Der im selben Jahr entstandene Brief Adversus Graecorum calumnias3 des Kardinallegaten Humbert von Silva Candida reiht sich ein in eine bereits bestehende Tradition polemischer Werke unterschiedlicher Gattungen gegen die Byzantiner auf Seiten der Lateiner. Diese beiden Werke sind Beispiel und Modell des Umgangs mit dem jeweils Anderen bzw. mit der anderen Kirche im Spiegel der eigenen Rechtgläubigkeit. Dabei spielt der Rekurs auf den griechischen Patriarchen Photius, jene schillernde Gestalt der ost-westlichen Kontroverse des 9. Jahrhunderts, eine für die Entstehung der polemischen Textgattungen maßgebliche, weil konstitutive Rolle: Die theologische Kritik des Photius in Bezug auf das Filioque und der Appell des Papstes