{"title":"Geotechnik heute und die Rolle des Auftraggebers","authors":"Prof. Dr.-Ing. Maik Schüßler","doi":"10.1002/gete.202270403","DOIUrl":null,"url":null,"abstract":"<p>Die zunehmende Digitalisierung unserer Welt macht auch nicht vor der Geotechnik halt. Das Schlagwort BIM ist in aller Munde. Spätestens seitdem das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) im Jahr 2015 die Maßgabe herausgegeben hat, dass ab Ende 2020 alle neuen Projekte im Bereich des Bundes mit der BIM-Methode geplant werden sollen, kommen wir unweigerlich beim Baugrund an. Wir hören etwas von 4D und 5D, aber sind wir bereits in der Lage, ein zutreffendes 3D-Modell vom Untergrund zu erstellen? Voraussetzung hierfür sind eine ausreichende Anzahl von Bodenaufschlüssen sowie Feld- und Laboruntersuchungen, die bei großen Projekten im Allgemeinen ausgeführt werden. Insbesondere bei kleineren Bauvorhaben führt dies zwangsläufig zu der Überlegung, dass z. B. mit bisher ausreichenden zwei Aufschlüssen pro Stützstelle eines Brückenbauwerks kein zutreffendes 3D-Modell vom Untergrund erstellt werden kann. Sind dann weitere Aufschlüsse sinnvoll? Der Bedarf eines detaillierten BIM-Modells für den Untergrund dürfte in diesen Fällen nicht überall gegeben sein. Vielmehr kommt es darauf an, diese kleineren Bauvorhaben mit der entsprechenden Sorgfalt zu planen, zu bauen und nicht durch Digitalisierung künstlich aufzublähen. Eine ungenügende Baugrunduntersuchung wird durch ein digitales Baugrundmodell nicht zwangsläufig besser. Eine Abgrenzung kleinerer Bauvorhaben zu Großprojekten bzw. komplizierten Bauvorhaben scheint notwendig. Der Auftraggeber muss also wissen, was er will und was für sein Projekt sinnvoll ist.</p><p>Als zweites großes Thema unserer Zeit, ist auch für den Bereich der Geotechnik, die Nachhaltigkeit zu nennen. Bereits vor drei Jahrhunderten erstmalig erwähnt, ist nachhaltiges Bauen im Grundbau angekommen. Auch wenn wir als Geotechniker nicht allzu viel zum Großen und Ganzen hinsichtlich Treibhausgasemission beitragen können, so müssen wir uns dennoch der Thematik stellen und können einen entsprechenden Beitrag zur Verringerung der Treibhausgasemissionen leisten. Neubauvorhaben werden in der heutigen Zeit sehr gern von unnötigen Verformungsbegrenzungen getrieben. Dies führt meist zu sehr starren Baukonstruktionen aus Stahlbeton für Baugrubenumschließungen und Tiefgründungen für Bauwerke. Ist dies notwendig? In sehr vielen Fällen lassen sich hier nachhaltig bessere Lösungen finden. Rückbaubare Baugrubenumschließungen und auch Flachgründungen für Bauwerke führen meistens zu größeren Verformungen. Das damit verbundene Risiko muss überschaubar bleiben und durch den Auftraggeber mitgetragen werden. Risiko heißt nicht, dass Sicherheitsanforderungen reduziert und die Gebrauchstauglichkeit eingeschränkt werden.</p><p>Im Verkehrswegebau müssen immer mehr alte Bauwerke durch neue ersetzt werden. Für die aufgehenden Konstruktionen ist dies sicherlich notwendig. Aber betrifft dies auch alte Gründungskörper? Durch Weiternutzung alter Gründungen lassen sich hier Einsparpotenziale finden. Auch hier allerdings ist das Risiko größer als bei einer Neugründung. Daher bedarf es einer umfangreichen ingenieurtechnischen Bestandsanalyse. Zu einem verbleibenden Restrisiko muss sich der Auftraggeber bekennen. Ökologisch sind solche Lösungen in den meisten Fällen besser. Weitere Schlagwörter sind Ressourcenschonung und alternative Baustoffe. In den Bereichen Erdbau und Gründungen stehen uns hier sehr viele Möglichkeiten offen. Um alle Möglichkeiten rechtzeitig auszuloten, sollten Ökobilanzierungen von Projektbeginn an einbezogen werden. Diesbezügliche Betrachtungen erst kurz vor Baubeginn auszuführen, ist zu spät.</p><p>Bei fast allen geotechnischen Maßnahmen stellt der Auftraggeber den Baustoff Baugrund zur Verfügung. Dieser Rolle sollte sich der Auftraggeber im Hinblick auf die Digitalisierung des Untergrunds und beim ökologischen Bauen ständig bewusst sein.</p><p>Prof. Dr.-Ing. Maik Schüßler</p><p>Mitglied des Vorstands der DGGT</p>","PeriodicalId":43155,"journal":{"name":"Geotechnik","volume":"45 4","pages":"221"},"PeriodicalIF":0.5000,"publicationDate":"2022-12-08","publicationTypes":"Journal Article","fieldsOfStudy":null,"isOpenAccess":false,"openAccessPdf":"https://onlinelibrary.wiley.com/doi/epdf/10.1002/gete.202270403","citationCount":"0","resultStr":null,"platform":"Semanticscholar","paperid":null,"PeriodicalName":"Geotechnik","FirstCategoryId":"1085","ListUrlMain":"https://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1002/gete.202270403","RegionNum":0,"RegionCategory":null,"ArticlePicture":[],"TitleCN":null,"AbstractTextCN":null,"PMCID":null,"EPubDate":"","PubModel":"","JCR":"Q4","JCRName":"ENGINEERING, GEOLOGICAL","Score":null,"Total":0}
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Abstract
Die zunehmende Digitalisierung unserer Welt macht auch nicht vor der Geotechnik halt. Das Schlagwort BIM ist in aller Munde. Spätestens seitdem das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) im Jahr 2015 die Maßgabe herausgegeben hat, dass ab Ende 2020 alle neuen Projekte im Bereich des Bundes mit der BIM-Methode geplant werden sollen, kommen wir unweigerlich beim Baugrund an. Wir hören etwas von 4D und 5D, aber sind wir bereits in der Lage, ein zutreffendes 3D-Modell vom Untergrund zu erstellen? Voraussetzung hierfür sind eine ausreichende Anzahl von Bodenaufschlüssen sowie Feld- und Laboruntersuchungen, die bei großen Projekten im Allgemeinen ausgeführt werden. Insbesondere bei kleineren Bauvorhaben führt dies zwangsläufig zu der Überlegung, dass z. B. mit bisher ausreichenden zwei Aufschlüssen pro Stützstelle eines Brückenbauwerks kein zutreffendes 3D-Modell vom Untergrund erstellt werden kann. Sind dann weitere Aufschlüsse sinnvoll? Der Bedarf eines detaillierten BIM-Modells für den Untergrund dürfte in diesen Fällen nicht überall gegeben sein. Vielmehr kommt es darauf an, diese kleineren Bauvorhaben mit der entsprechenden Sorgfalt zu planen, zu bauen und nicht durch Digitalisierung künstlich aufzublähen. Eine ungenügende Baugrunduntersuchung wird durch ein digitales Baugrundmodell nicht zwangsläufig besser. Eine Abgrenzung kleinerer Bauvorhaben zu Großprojekten bzw. komplizierten Bauvorhaben scheint notwendig. Der Auftraggeber muss also wissen, was er will und was für sein Projekt sinnvoll ist.
Als zweites großes Thema unserer Zeit, ist auch für den Bereich der Geotechnik, die Nachhaltigkeit zu nennen. Bereits vor drei Jahrhunderten erstmalig erwähnt, ist nachhaltiges Bauen im Grundbau angekommen. Auch wenn wir als Geotechniker nicht allzu viel zum Großen und Ganzen hinsichtlich Treibhausgasemission beitragen können, so müssen wir uns dennoch der Thematik stellen und können einen entsprechenden Beitrag zur Verringerung der Treibhausgasemissionen leisten. Neubauvorhaben werden in der heutigen Zeit sehr gern von unnötigen Verformungsbegrenzungen getrieben. Dies führt meist zu sehr starren Baukonstruktionen aus Stahlbeton für Baugrubenumschließungen und Tiefgründungen für Bauwerke. Ist dies notwendig? In sehr vielen Fällen lassen sich hier nachhaltig bessere Lösungen finden. Rückbaubare Baugrubenumschließungen und auch Flachgründungen für Bauwerke führen meistens zu größeren Verformungen. Das damit verbundene Risiko muss überschaubar bleiben und durch den Auftraggeber mitgetragen werden. Risiko heißt nicht, dass Sicherheitsanforderungen reduziert und die Gebrauchstauglichkeit eingeschränkt werden.
Im Verkehrswegebau müssen immer mehr alte Bauwerke durch neue ersetzt werden. Für die aufgehenden Konstruktionen ist dies sicherlich notwendig. Aber betrifft dies auch alte Gründungskörper? Durch Weiternutzung alter Gründungen lassen sich hier Einsparpotenziale finden. Auch hier allerdings ist das Risiko größer als bei einer Neugründung. Daher bedarf es einer umfangreichen ingenieurtechnischen Bestandsanalyse. Zu einem verbleibenden Restrisiko muss sich der Auftraggeber bekennen. Ökologisch sind solche Lösungen in den meisten Fällen besser. Weitere Schlagwörter sind Ressourcenschonung und alternative Baustoffe. In den Bereichen Erdbau und Gründungen stehen uns hier sehr viele Möglichkeiten offen. Um alle Möglichkeiten rechtzeitig auszuloten, sollten Ökobilanzierungen von Projektbeginn an einbezogen werden. Diesbezügliche Betrachtungen erst kurz vor Baubeginn auszuführen, ist zu spät.
Bei fast allen geotechnischen Maßnahmen stellt der Auftraggeber den Baustoff Baugrund zur Verfügung. Dieser Rolle sollte sich der Auftraggeber im Hinblick auf die Digitalisierung des Untergrunds und beim ökologischen Bauen ständig bewusst sein.
期刊介绍:
Die Zeitschrift "geotechnik" ist das Organ der Deutschen Gesellschaft für Geotechnik e.V (DGGT) und erscheint viermal jährlich. Die Themen- schwerpunkte entsprechen den Fachsektionen der DGGT und umfassen Bodenmechanik, Erd- und Grundbau, Felsmechanik, Ingenieurgeologie, Geokunststoffe sowie Umweltgeotechnik. Die Schwerpunkte einer Ausgabe werden jeweils von einer Fachsektion gestellt und auch um Beiträge aus anderen Themenbereichen ergänzt. Mitteilungen der DGGT, CBTR-Nachrichten des Centrums für Deutsches und Internationales Baugrund- und Tiefbaurecht e.V., Nachrichten aus der Industrie.