{"title":"Jörn Happel, Der Ost-Experte. Gustav Hilger – Diplomat im Zeitalter der Extreme, Paderborn [u. a.]: Schöningh 2018, 533 S., EUR 68,00 [ISBN 978‑3‑506‑78609‑8]","authors":"A. Wagner","doi":"10.1515/MGZS-2019-0045","DOIUrl":null,"url":null,"abstract":"Experten für den »Westen« mag es jede Menge geben, aber der Begriff »WestExperte« ist vollkommen unüblich. Zu weit auslegbar ist diese geografische Zuschreibung, und wenn überhaupt, dann gibt es beispielsweise eher den »Frankreich-Kenner« (zumeist noch immer im maskulinen Gebrauch). Während dagegen in der öffentlichen Wahrnehmung hinter dem »Nahost-Experten« ein Sachverständiger für die gesamte Region zwischen Levante und Persischem Golf subsumiert wird (tatsächlich ist natürlich auch diese Expertise inzwischen weit ausdifferenziert), versteht man unter dem »Ost-Experten« in der Regel eine Person, die sich speziell mit Russland auskennt – die Ukraine und Weißrussland erhalten als eigenständige politische Entitäten nur bedingt entsprechende Aufmerksamkeit. Heute verbinden wir mit Fachkenntnis zu russischen Angelegenheiten vornehmlich bekannte Journalisten, lange Zeit allen voran Klaus Mehnert, Gerd Ruge und Gabriele Krone-Schmalz. Schon in den 1920er Jahren gab es renommierte Pressevertreter, deren Namen mit der Berichterstattung aus dem bolschewistischen Mutterland eng verbunden waren, wie Paul Scheffer, Artur W. Just und Alfons Paquet. Hinter den politischen, wirtschaftsund handelspolitischen sowie militärischen Kulissen wirkten jedoch noch andere, zum Teil im Land geborene und aufgewachsene, intime Russlandkenner. Sofern sie auf der Gehaltsliste des Auswärtigen Amtes standen, sind sie dort oft Außenseiter geblieben, weil ihnen der Stallgeruch der diplomatischen Ausbildung fehlte und weil sie als »Russlandversteher« galten. Für die Politik vor Ort, in Moskau, handelte es sich allerdings um entscheidende Akteure auf der Arbeitsebene. Der bedeutendste dieser Fachleute im Zeitraum zwischen Oktoberrevolution und den Anfangsjahren des Kalten Krieges war zweifellos Gustav Hilger, 1886 in Moskau als Sohn eines deutschen Kaufmanns geboren, in Darmstadt studierter Ingenieur und seit 1917 für das Schwedische und Deutsche Rote Kreuz, in der Nansen-Hilfe und insbesondere in der Repatriierung deutscher Kriegsgefangener tätig. Damit fungierte Hilger im Graubereich humanitärer Kontakte, bevor es solche Kontakte auch auf politischer und diplomatischer Ebene gab, als »zwischenstaatliche Mittlerperson« (S. 54) in einer weltpolitischen Umbruchphase. In seiner Habilitationsschrift fragt der Konstanzer Historiker Jörn Happel am Beispiel von Hilgers Lebensgeschichte, wie »Ost-Experten« die Sowjetunion erklärten. Denn aufgrund seiner unmittelbaren Nähe zu den Moskauer und MGZ 78/1 (2019): 258–261 OLDENBOURG","PeriodicalId":40790,"journal":{"name":"MILITARGESCHICHTLICHE ZEITSCHRIFT","volume":"78 1","pages":"258 - 261"},"PeriodicalIF":0.1000,"publicationDate":"2019-05-08","publicationTypes":"Journal Article","fieldsOfStudy":null,"isOpenAccess":false,"openAccessPdf":"https://sci-hub-pdf.com/10.1515/MGZS-2019-0045","citationCount":"0","resultStr":null,"platform":"Semanticscholar","paperid":null,"PeriodicalName":"MILITARGESCHICHTLICHE ZEITSCHRIFT","FirstCategoryId":"1085","ListUrlMain":"https://doi.org/10.1515/MGZS-2019-0045","RegionNum":4,"RegionCategory":"历史学","ArticlePicture":[],"TitleCN":null,"AbstractTextCN":null,"PMCID":null,"EPubDate":"","PubModel":"","JCR":"Q4","JCRName":"HISTORY","Score":null,"Total":0}
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Abstract
Experten für den »Westen« mag es jede Menge geben, aber der Begriff »WestExperte« ist vollkommen unüblich. Zu weit auslegbar ist diese geografische Zuschreibung, und wenn überhaupt, dann gibt es beispielsweise eher den »Frankreich-Kenner« (zumeist noch immer im maskulinen Gebrauch). Während dagegen in der öffentlichen Wahrnehmung hinter dem »Nahost-Experten« ein Sachverständiger für die gesamte Region zwischen Levante und Persischem Golf subsumiert wird (tatsächlich ist natürlich auch diese Expertise inzwischen weit ausdifferenziert), versteht man unter dem »Ost-Experten« in der Regel eine Person, die sich speziell mit Russland auskennt – die Ukraine und Weißrussland erhalten als eigenständige politische Entitäten nur bedingt entsprechende Aufmerksamkeit. Heute verbinden wir mit Fachkenntnis zu russischen Angelegenheiten vornehmlich bekannte Journalisten, lange Zeit allen voran Klaus Mehnert, Gerd Ruge und Gabriele Krone-Schmalz. Schon in den 1920er Jahren gab es renommierte Pressevertreter, deren Namen mit der Berichterstattung aus dem bolschewistischen Mutterland eng verbunden waren, wie Paul Scheffer, Artur W. Just und Alfons Paquet. Hinter den politischen, wirtschaftsund handelspolitischen sowie militärischen Kulissen wirkten jedoch noch andere, zum Teil im Land geborene und aufgewachsene, intime Russlandkenner. Sofern sie auf der Gehaltsliste des Auswärtigen Amtes standen, sind sie dort oft Außenseiter geblieben, weil ihnen der Stallgeruch der diplomatischen Ausbildung fehlte und weil sie als »Russlandversteher« galten. Für die Politik vor Ort, in Moskau, handelte es sich allerdings um entscheidende Akteure auf der Arbeitsebene. Der bedeutendste dieser Fachleute im Zeitraum zwischen Oktoberrevolution und den Anfangsjahren des Kalten Krieges war zweifellos Gustav Hilger, 1886 in Moskau als Sohn eines deutschen Kaufmanns geboren, in Darmstadt studierter Ingenieur und seit 1917 für das Schwedische und Deutsche Rote Kreuz, in der Nansen-Hilfe und insbesondere in der Repatriierung deutscher Kriegsgefangener tätig. Damit fungierte Hilger im Graubereich humanitärer Kontakte, bevor es solche Kontakte auch auf politischer und diplomatischer Ebene gab, als »zwischenstaatliche Mittlerperson« (S. 54) in einer weltpolitischen Umbruchphase. In seiner Habilitationsschrift fragt der Konstanzer Historiker Jörn Happel am Beispiel von Hilgers Lebensgeschichte, wie »Ost-Experten« die Sowjetunion erklärten. Denn aufgrund seiner unmittelbaren Nähe zu den Moskauer und MGZ 78/1 (2019): 258–261 OLDENBOURG