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Das Gespräch sei „freimütig und ungezwungen“ verlaufen, eine so „unbeschwerte und unproblematische Diskussion hatte man in Siegmunds Hof noch nicht erlebt.“ Was aus heutiger Sicht wie eine freundliche Randnotiz aus dem Kulturleben klingt, war im damaligen Kontext ein kleinformatiger kulturpolitischer Angriff. Denn der Redaktion der Welt ging es nicht um die publizistische Förderung sozialistischer Autoren – nicht umsonst setzte sie das Adjektiv „sozialistisch“ in distanzierende Anführungsstriche; vielmehr wies sie die Gäste zwischen den Zeilen als Oppositionelle aus, deren persönliches „Trauma“ nach der Zeit der deutschen Besatzung der Stalinismus gewesen sei. Erst seit 1956 – dem Jahr, in dem Nikita Chruschtschow mit seiner Rede auf dem XX. Parteitag der KPdSU den Prozess der Entstalinisierung einläutete – könnten die beiden Schriftsteller mit eigenen Werken hervortreten. Die Bezeichnungen „unideologisch“ und „undogmatisch“ positionierten die tschechoslowakischen Autoren deutlich als Kritiker der regierenden Staatsparteien, denen selbst dogmatische Verhärtung nachgesagt wurde. Nicht zuletzt in der Tschechoslowakei, in der zu dieser Zeit Bewegung und Debatte in die kulturellen Auseinandersetzungen kam, war Dogmatismus das Schlagwort, mit dem sich eine an der literarischen Moderne orientierte Gruppe von Intellektuellen gegen die Überreste der stalinistischen Ära wandte. Für die DDR kann man hier prominent auch an das ebenfalls 1964 bei Rowohlt erschienene Buch Dialektik ohne Dogma? des Chemikers Robert Havemann denken.2","PeriodicalId":441050,"journal":{"name":"Berliner Weltliteraturen","volume":"52 1","pages":"0"},"PeriodicalIF":0.0000,"publicationDate":"2021-08-09","publicationTypes":"Journal Article","fieldsOfStudy":null,"isOpenAccess":false,"openAccessPdf":"","citationCount":"0","resultStr":"{\"title\":\"„In Schwingung versetzt“: Das Internationale Schriftstellerkolloquium 1964 in Ostberlin\",\"authors\":\"Bernadette Grubner\",\"doi\":\"10.1515/9783110733495-006\",\"DOIUrl\":null,\"url\":null,\"abstract\":\"Am 3. Dezember 1964 erschien in der konservativen Tageszeitung Die Welt aus dem Hause Springer in der Rubrik Berlin ein kleiner Artikel mit dem Titel „Frei von Ideologie und Dogma“.1 Es handelte sich um einen Bericht über eine Lesung im Westberliner Studentenheim Siegmunds Hof, die am 1. Dezember stattgefunden hatte. 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„In Schwingung versetzt“: Das Internationale Schriftstellerkolloquium 1964 in Ostberlin
Am 3. Dezember 1964 erschien in der konservativen Tageszeitung Die Welt aus dem Hause Springer in der Rubrik Berlin ein kleiner Artikel mit dem Titel „Frei von Ideologie und Dogma“.1 Es handelte sich um einen Bericht über eine Lesung im Westberliner Studentenheim Siegmunds Hof, die am 1. Dezember stattgefunden hatte. Die Gäste waren die beiden tschechoslowakischen Schriftsteller Ludvík Kundera und Eduard Petiška, die aus neuen Werken lasen, sowie der Übersetzer und Drehbuchautor Juraj Spitzer, der als Literarhistoriker zitiert wird. Der Ton des Artikels in der Welt ist überaus wohlwollend. Das Gespräch sei „freimütig und ungezwungen“ verlaufen, eine so „unbeschwerte und unproblematische Diskussion hatte man in Siegmunds Hof noch nicht erlebt.“ Was aus heutiger Sicht wie eine freundliche Randnotiz aus dem Kulturleben klingt, war im damaligen Kontext ein kleinformatiger kulturpolitischer Angriff. Denn der Redaktion der Welt ging es nicht um die publizistische Förderung sozialistischer Autoren – nicht umsonst setzte sie das Adjektiv „sozialistisch“ in distanzierende Anführungsstriche; vielmehr wies sie die Gäste zwischen den Zeilen als Oppositionelle aus, deren persönliches „Trauma“ nach der Zeit der deutschen Besatzung der Stalinismus gewesen sei. Erst seit 1956 – dem Jahr, in dem Nikita Chruschtschow mit seiner Rede auf dem XX. Parteitag der KPdSU den Prozess der Entstalinisierung einläutete – könnten die beiden Schriftsteller mit eigenen Werken hervortreten. Die Bezeichnungen „unideologisch“ und „undogmatisch“ positionierten die tschechoslowakischen Autoren deutlich als Kritiker der regierenden Staatsparteien, denen selbst dogmatische Verhärtung nachgesagt wurde. Nicht zuletzt in der Tschechoslowakei, in der zu dieser Zeit Bewegung und Debatte in die kulturellen Auseinandersetzungen kam, war Dogmatismus das Schlagwort, mit dem sich eine an der literarischen Moderne orientierte Gruppe von Intellektuellen gegen die Überreste der stalinistischen Ära wandte. Für die DDR kann man hier prominent auch an das ebenfalls 1964 bei Rowohlt erschienene Buch Dialektik ohne Dogma? des Chemikers Robert Havemann denken.2