1933年2月:乌韦·维特施托克的《文学的冬天》(书评)

IF 0.2 4区 社会学 Q4 AREA STUDIES German Studies Review Pub Date : 2023-10-01 DOI:10.1353/gsr.2023.a910207
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Innerhalb von sechs Wochen werden die wirkungsmächtigsten Repräsentant*innen der deutschen Literatur der Weimarer Republik vertrieben—man denke an Bertolt Brecht, Alfred Döblin, Lion Feuchtwanger, Oskar Maria Graf, Mascha Kaléko, Else Lasker-Schüler, Heinrich und Thomas Mann, Erika und Klaus Mann, Erich Maria Remarque, Gabriele Tergit, Ernst Toller, Carl Zuckmayer. Das geschieht, weil ein föderativ organisierter Rechtsstaat durch einen zentralistisch strukturierten Terrorapparat ersetzt wird. Nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 unterzeichnet Reichspräsident Hindenburg alle vom \"Führer\" der Nationalsozialisten gewünschten sogenannten Notverordnungen. Der Präsident gibt auch dem Drängen des Kanzlers nach, Neuwahlen fünf Wochen später anzusetzen. Von freien Wahlen kann da schon nicht mehr die Rede sein, weil Hitler die gegnerischen Parteien Parteien (Zentrum, SPD, KPD) massiv im Wahlkampf behindert und für seine NSDAP alle nur denkbaren staatlichen Mittel für propagandistische Zwecke missbraucht. Zudem füllen Industrielle die leeren Kassen der Hitlerpartei. Wittstock schildert den rasanten gesellschaftlich-politischen Umbruch von Tag zu Tag, von Woche zu Woche. Das Bemerkenswerte ist, dass er die Gleichzeitigkeit der erfolgreichen Schachzüge Hitlers und der ständig scheiternden Versuche von Opposition und Widerstand in Erinnerung ruft. In Hitlers Partei gilt das Führerprinzip: seine Stör-, Verfolgungs- und Verhaftungsbefehle werden von SA und SS sofort befolgt. In der Sektion Dichtung der Preußischen Akademie der Künste will ihr Vorsitzender [End Page 503] Heinrich Mann sich nicht zu Loyalitätserklärungen Hitler gegenüber erpressen lassen. Er tritt zurück, überlässt aber dadurch das Schicksal seiner Akademie-Sektion dem Nationalsozialisten Hanns Jost und dem Mitläufer Gottfried Benn. Noch nie ist in der Literaturgeschichte so genau im Zusammenhang beschrieben worden, wie, auf welche Weise, mit welchen Mitteln und bei Berücksichtigung der familiären Verhältnisse fast gleichzeitig Autor*innen oder Verleger, Kritiker*innen und Akademieangehörige die Flucht vor der neuen Diktatur ergreifen. Zuweilen helfen nur rasche Geistesgegenwart oder glückliche Umstände, die Staatsgrenze zu erreichen und ihr Überschreiten zu ermöglichen. Heinrich Mann etwa weiß, dass die deutschen Zollbeamten in Kehl nur lax kontrollieren; Willi Münzenberg erfährt, dass man bei der Reise ins Saarland (damals unter französischer Verwaltung) auf deutscher Seite die Zollschranke quasi ignoriert, weil man die Region als Teil des Deutschen Reiches betrachtet. So entkommen beide Autoren unbehelligt nach Frankreich. Immer wieder ist es—mit seinen Fernverbindungen nach Prag, München, Wien, Zürich und Mailand—der Anhalter Bahnhof in Berlin, von dem aus die Flüchtlinge ihre Reise ins Ungewisse antreten. (So ist es nur richtig, dass man heute—fast achtzig Jahre nach der Zerstörung dieses Verkehrsknotenpunkts—plant, dort ein Exilmuseum zu errichten.) Einige der noch jungen aber bereits bekannten linken Autoren—wie Egon Erwin Kisch und Manès Sperber—sind tschechoslowakische Staatsbürger, werden verhaftet und in die sogenannten \"wilden\" Konzentrationslager gebracht, müssen aber als Ausländer aus der Haft entlassen werden: Man schiebt sie nach Prag ab. Wittstock erwähnt auch die weiteren Exilstationen der Autor*innen, denn schon in wenigen Jahren erweisen sich die Fluchtorte Prag, Salzburg, Wien, Mailand und Paris, Amsterdam, Brüssel, Kopenhagen und (besonders zur Zeit des Hitler-Stalin-Pakts) auch Moskau als Fallen, denen man sobald wie möglich entkommen will, sei es mit dem Ziel London, New York, Jerusalem oder Shanghai. 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Zuweilen helfen nur rasche Geistesgegenwart oder glückliche Umstände, die Staatsgrenze zu erreichen und ihr Überschreiten zu ermöglichen. Heinrich Mann etwa weiß, dass die deutschen Zollbeamten in Kehl nur lax kontrollieren; Willi Münzenberg erfährt, dass man bei der Reise ins Saarland (damals unter französischer Verwaltung) auf deutscher Seite die Zollschranke quasi ignoriert, weil man die Region als Teil des Deutschen Reiches betrachtet. So entkommen beide Autoren unbehelligt nach Frankreich. Immer wieder ist es—mit seinen Fernverbindungen nach Prag, München, Wien, Zürich und Mailand—der Anhalter Bahnhof in Berlin, von dem aus die Flüchtlinge ihre Reise ins Ungewisse antreten. (So ist es nur richtig, dass man heute—fast achtzig Jahre nach der Zerstörung dieses Verkehrsknotenpunkts—plant, dort ein Exilmuseum zu errichten.) 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摘要

peter:二月:使节度过的文具之冬保尔•麦可•吕特斯•1933:文具之冬。太好了!真实的故事霍博肯,纽约日报,2023年普雷斯有利Cloth 29.95美元.书9781509553792 .Uwe witt斯托克在其著作《纳粹统治的前几周希特勒的逃亡》中发表了一项研究,研究结果将会引起许多嗯历史的关注。作者*被放逐到或多或少都是外国作者,而且,这也是一个关于自由民主如何以令人难以置信的速度将其转化为政治反转:恐怖主义独裁的历史教科书。在六个星期内将wirkungsmächtigsten *代表里面的德国魏玛共和国的文学vertrieben-man想到Bertolt布,阿尔弗雷德Döblin狮Feuchtwanger,奥斯卡玛丽亚伯爵,玛莎凯é柯震东换Lasker-Schüler海因里希和托马斯曼埃丽卡和Klaus的丈夫,埃里希·玛利亚",埃Tergit真的很棒,卡尔Zuckmayer .这是因为一种中央集权的恐怖主义机器取代了法制联邦制国家。日希特勒被任命为总理1933年1月,德国总统兴登堡在“纳粹元首”签署了紧急法令。总统还施压要在五周后举行新选举既然希特勒在竞选中大力阻挠敌对政党(中央、社民党、KPD),并利用所有可能的政府资金用于宣传目的,那么就不能说自由选举了。此外,工业装满了希特勒政党的空钱箱。温特斯托克描绘了社会和政治的变化,每天都加速,每周都加速。值得注意的是,他同时也想起了希特勒的成功行动以及反对派和反对派的不断失败努力。希特勒的党首有这样的制度:刺、跟踪和逮捕指令由国家安全局和纳粹立即执行。在普鲁斯艺术学院创设区,它的主席[德门503]格兰特先生不想再被迫效忠希特勒。他辞职了把自己学术部门的命运留给了纳粹党人汉尼斯·佐斯特和随行者戈特弗里德·本恩历史上还从未有人如此精确地叙述,在如何、以什么方式、用什么手段,以及如何同时兼顾家庭关系的情况下,作家、出版商、批评家、学者和学者们都逃离新的独裁政府。有时,我们只能帮助迅速的头脑或碰运气,让边界能够跨越。亨利·曼知道在霍尔海关呆过的只有lax海关人员;威利·明森伯格发现,德国一边在萨尔行进时(当时是法国政府操纵的)几乎忽略了海关壁垒,因为他们认为这是德国帝国的一部分。两个作者都安全地逃到了法国在布拉格、慕尼黑、维也纳、苏黎世和米兰之间的长途线路,难民们从那里开始他们的旅程,到不知名的地方。如今,这是件正确的事——在纽约市交通点被毁近80年后——我们应该在那里建一个旅游博物馆。)一些还年轻但已经熟悉的左Autoren-wie埃贡Erwin Kisch而ès Sperber-sind前捷克斯洛伐克公民,被逮捕并送进所谓的“野蛮人”集中营,却要比外国人被从监狱释放:人们把她叫回布拉格. Wittstock提到也进一步Exilstationen *作者几年里面,因为已经在成为Fluchtorte萨尔茨堡、维也纳、布拉格米兰、巴黎、阿姆斯特丹、布鲁塞尔、哥本哈根和莫斯科(特别是Hitler-Stalin-Pakts)的时间也比下降,那些你想尽快摆脱,无论是以伦敦、纽约、耶路撒冷或上海.在每一章中,关于个别作家逃难的情节,这里都有维特史托的一些资料,这些资料记录了多年来纳粹组织的内战。
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February 1933: The Winter of Literature by Uwe Wittstock (review)
Reviewed by: February 1933: The Winter of Literature by Uwe Wittstock Paul Michael Lützeler February 1933: The Winter of Literature. By Uwe Wittstock. Translated by Daniel Bowles. Hoboken, NJ: Polity Press, 2023. Pp. ix + 278. Cloth $29.95. ISBN 9781509553792. Uwe Wittstock hat mit seinem Buch über die Flucht der Hitlergegner in den ersten Wochen der Naziherrschaft eine Studie veröffentlicht, die bei den zeitgeschichtlich interessierten Mitgliedern der GSA auf großes Interesse stoßen wird. Es geht hier nicht nur um das Schicksal von Autor*innen, die in mehr oder weniger fremde Länder verbannt werden, sondern auch um ein historisches Lehrstück über die unglaublich schnelle Verwandlung einer liberalen Demokratie in ihr politisches Gegenteil: die terroristische Diktatur. Innerhalb von sechs Wochen werden die wirkungsmächtigsten Repräsentant*innen der deutschen Literatur der Weimarer Republik vertrieben—man denke an Bertolt Brecht, Alfred Döblin, Lion Feuchtwanger, Oskar Maria Graf, Mascha Kaléko, Else Lasker-Schüler, Heinrich und Thomas Mann, Erika und Klaus Mann, Erich Maria Remarque, Gabriele Tergit, Ernst Toller, Carl Zuckmayer. Das geschieht, weil ein föderativ organisierter Rechtsstaat durch einen zentralistisch strukturierten Terrorapparat ersetzt wird. Nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 unterzeichnet Reichspräsident Hindenburg alle vom "Führer" der Nationalsozialisten gewünschten sogenannten Notverordnungen. Der Präsident gibt auch dem Drängen des Kanzlers nach, Neuwahlen fünf Wochen später anzusetzen. Von freien Wahlen kann da schon nicht mehr die Rede sein, weil Hitler die gegnerischen Parteien Parteien (Zentrum, SPD, KPD) massiv im Wahlkampf behindert und für seine NSDAP alle nur denkbaren staatlichen Mittel für propagandistische Zwecke missbraucht. Zudem füllen Industrielle die leeren Kassen der Hitlerpartei. Wittstock schildert den rasanten gesellschaftlich-politischen Umbruch von Tag zu Tag, von Woche zu Woche. Das Bemerkenswerte ist, dass er die Gleichzeitigkeit der erfolgreichen Schachzüge Hitlers und der ständig scheiternden Versuche von Opposition und Widerstand in Erinnerung ruft. In Hitlers Partei gilt das Führerprinzip: seine Stör-, Verfolgungs- und Verhaftungsbefehle werden von SA und SS sofort befolgt. In der Sektion Dichtung der Preußischen Akademie der Künste will ihr Vorsitzender [End Page 503] Heinrich Mann sich nicht zu Loyalitätserklärungen Hitler gegenüber erpressen lassen. Er tritt zurück, überlässt aber dadurch das Schicksal seiner Akademie-Sektion dem Nationalsozialisten Hanns Jost und dem Mitläufer Gottfried Benn. Noch nie ist in der Literaturgeschichte so genau im Zusammenhang beschrieben worden, wie, auf welche Weise, mit welchen Mitteln und bei Berücksichtigung der familiären Verhältnisse fast gleichzeitig Autor*innen oder Verleger, Kritiker*innen und Akademieangehörige die Flucht vor der neuen Diktatur ergreifen. Zuweilen helfen nur rasche Geistesgegenwart oder glückliche Umstände, die Staatsgrenze zu erreichen und ihr Überschreiten zu ermöglichen. Heinrich Mann etwa weiß, dass die deutschen Zollbeamten in Kehl nur lax kontrollieren; Willi Münzenberg erfährt, dass man bei der Reise ins Saarland (damals unter französischer Verwaltung) auf deutscher Seite die Zollschranke quasi ignoriert, weil man die Region als Teil des Deutschen Reiches betrachtet. So entkommen beide Autoren unbehelligt nach Frankreich. Immer wieder ist es—mit seinen Fernverbindungen nach Prag, München, Wien, Zürich und Mailand—der Anhalter Bahnhof in Berlin, von dem aus die Flüchtlinge ihre Reise ins Ungewisse antreten. (So ist es nur richtig, dass man heute—fast achtzig Jahre nach der Zerstörung dieses Verkehrsknotenpunkts—plant, dort ein Exilmuseum zu errichten.) Einige der noch jungen aber bereits bekannten linken Autoren—wie Egon Erwin Kisch und Manès Sperber—sind tschechoslowakische Staatsbürger, werden verhaftet und in die sogenannten "wilden" Konzentrationslager gebracht, müssen aber als Ausländer aus der Haft entlassen werden: Man schiebt sie nach Prag ab. Wittstock erwähnt auch die weiteren Exilstationen der Autor*innen, denn schon in wenigen Jahren erweisen sich die Fluchtorte Prag, Salzburg, Wien, Mailand und Paris, Amsterdam, Brüssel, Kopenhagen und (besonders zur Zeit des Hitler-Stalin-Pakts) auch Moskau als Fallen, denen man sobald wie möglich entkommen will, sei es mit dem Ziel London, New York, Jerusalem oder Shanghai. Fast in jedem Kapitel über die Fluchtumstände einzelner Autor*innen hat Wittstock Informationen über die seit Jahren andauernden bürgerkriegsartigen Kämpfe zwischen Nationalsozialisten...
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