{"title":"《发现的缺口》(1889至1979年)","authors":"Johannes-Geert Hagmann","doi":"10.1002/bewi.202300008","DOIUrl":null,"url":null,"abstract":"<p>„Ich muß schließen. Was wird man in 50 Jahren über uns erzählen?“<sup>1</sup> So beendete Walther Gerlach (1889–1979) einen im Jahr 1963 für die <i>Physikalischen Blätter</i> verfassten Aufsatz, in dem er eine kurze Chronologie der Physik in München von der Zeit Joseph von Fraunhofers (1787–1826) bis zu den Arbeiten Max von Laues (1879–1960) skizzierte. Die Beschäftigung mit der Geschichte seines eigenen Fachs, der Physik, aber auch dem Leben der vor ihm porträtierten Persönlichkeiten, gab dem 73-jährigen Wissenschaftler Anlass zur Selbstreflexion: Wie er zum damaligen Zeitpunkt für seine Studien, würden andere sich in Zukunft in seine Arbeit historisch vertiefen und hierzu Quellen heranziehen. Wenn nun nicht nach fünfzig, sondern nach sechzig Jahren der vorliegende Beitrag eine Lücke in Nachlass von Walther Gerlach diskutiert, so muss hier an erster Stelle das ausgeprägte Verständnis Gerlachs für die Mechanismen biographischer Überlieferungen und die Entstehung von Erinnerung hervorgehoben werden, das im Eingangszitat exemplarisch zu Ausdruck kommt.</p><p>Walther Gerlach gehörte zu den profiliertesten Physikern in Deutschland im 20. Jahrhundert. Das nach dem Physiker Otto Stern (1888–1969) und ihm selbst benannte Experiment (Stern-Gerlach-Experiment) zum Nachweis der Richtungsquantelung des Drehimpulses bei Silberatomen von 1922 zählt zu den kanonischen Versuchen der Quantenmechanik<sup>2</sup> und ist auch heute noch unter diesem Namen ein Fixpunkt in der physikalischen Ausbildung an Universitäten weltweit. Während des Zweiten Weltkriegs gelangte Gerlach in die einflussreiche Position des Bevollmächtigten für Physik des Reichsforschungsrats (RFR) mit Beteiligung am deutschen Uranprojekt,<sup>3</sup> nach Ende des Krieges und der Internierung in Farm Hall<sup>4</sup> führte ihn seine Karriere als Hochschullehrer an der Ludwigs-Maximilians-Universität (LMU) München unter anderem in die Ämter des Rektors der LMU (1948–1951), des Gründungspräsidenten der Fraunhofer-Gesellschaft (1949–1951) und des Vize-Präsidenten der Deutschen Forschungsgemeinschaft (1951–1961).<sup>5</sup> In der Nachkriegszeit erlangte Gerlach den Status einer öffentlichen Autorität in wissenschaftlichen und wissenschaftspolitischen Fragen, die Ulrich Herbert treffend mit dem Terminus „public intellectual“ charakterisiert hat.<sup>6</sup> Mit Blick auf seine herausragende Position überrascht es daher nicht, dass es in wissenschaftshistorischen Forschungsprojekten bereits mehrfach Ansätze zur Erarbeitung einer Biographie Gerlachs gegeben hat.<sup>7</sup> Ungeachtet dieser und weiterer Bemühungen liegt jedoch bis heute keine umfassende Darstellung seines Lebens und Wirkens vor.<sup>8</sup></p><p>Zu Gerlachs vielseitigen Tätigkeiten gehörte auch die Beschäftigung mit Themen der Geschichte seiner eigenen Disziplin, die er insbesondere nach seiner Emeritierung im Jahr 1957 intensiv verfolgte. Seine Forschungen zu den Arbeiten Johannes Kepler (1571–1630), aus denen mehrere populärwissenschaftliche Bücher und Artikel hervorgingen, führten ihn auch an das Forschungsinstitut des Deutschen Museums – er nutzte die Ressourcen von Bibliothek und Archiv. Dem Museum war Gerlach seit den 1930er Jahren durch verschiedene Ausschuss- und Gremienarbeiten eng verbunden.<sup>9</sup> Nach dem Tod Gerlachs übergab seine Witwe Ruth Gerlach (1905–1994) den umfangreichen schriftlichen Nachlass ihres Mannes (rund 40.000 Briefe in 321 Schachteln)<sup>10</sup> in mehreren Lieferungen dem Deutschen Museum. Wie der dortige langjährige Archivar Wilhelm Füßl in einem Beitrag für diese Zeitschrift ausgeführt hat, sind Nachlässe trotz ihres oft hohen Quellengehalts als „Reste“ anzusehen, in denen Überlieferungslücken zur Normalität gehören.<sup>11</sup> Unter dem Titel „Übrig bleibt, was übrig bleiben soll“ beschrieb Füßl die Möglichkeit, dass die betreffende Person, ihre Angehörigen oder die einliefernde Institution selektiv in die Vorlass- bzw. Nachlassbildung eingreifen und so das Fremdbild für die zukünftige Deutung mitbestimmen. In seinem Beitrag hob Füßl exemplarisch drei Methoden der Nachlassbildung und die daraus entstehenden Probleme ihrer quellenkritischen Interpretation anhand von Fallbeispielen mit Bezug zur Physikgeschichte hervor: durch Aufteilung und Verkauf von Autographen am Beispiel Ernst Machs (1838–1916), durch selbst vorweggenommene Interpretation von Quellen am Beispiel Philipp Lenards (1862–1947) sowie durch Eingriff und Auswahl am Bespiel Walther Gerlachs.<sup>12</sup> Die Beschäftigung mit den Konstruktionsleistungen von Archiven und musealen Sammlungen sowie eine kritischen Diskussion des Authentizitätsbegriffs stehen auch im Fokus eines unlängst erschienen Tagungsbands aus dem Leibniz-Forschungsverbund „Historische Authentizität“.<sup>13</sup></p><p>Im Jahr 2022 wurde an das hundertjährige Jubiläum des Stern-Gerlach-Experiments zum Nachweis der Richtungsquantelung erinnert. Neben einer durch die Deutsche Physikalische Gesellschaft (DPG), den Physikalischen Verein Frankfurt sowie die Universität Frankfurt ausgerichteten Feier in der Frankfurter Paulskirche am 8. Februar 2022<sup>14</sup> wandten sich im Vorlauf des Jubiläums auch vermehrt Wissenschaftshistoriker:innen der Biographie Gerlachs zu und studierten seinen Nachlass.<sup>15</sup> Im Zuge der Vorbereitungen, und bedingt durch die infolge der Pandemie einschränkte Reisefähigkeit, wandte sich im Sommer 2021 ein Kollege mit der Frage an mich, ob im Nachlass Gerlachs ein Hinweis auf das Schicksal seiner ersten Familie vorhanden sei. Erste Suchen im Nachlass nach Dokumenten zur ersten Ehefrau Gerlachs, Wilhelmine Gerlach (geb. Mezger), sowie der gemeinsamen Tochter Ursula Gerlach blieben erfolglos. Offenbar wünschten es Walther Gerlach oder seine zweite Frau Ruth Gerlach nicht, dass die Geschichte seiner ersten Familie als Teil der Überlieferung seines Lebensbilds erhalten blieb. Unklar blieb zunächst auch, welches Motiv dafür einen Anlass gegeben haben könnte. Das Fundstück bildet in diesem Zusammenhang somit nicht eine Quelle aus dem Nachlass, sondern ihre Abwesenheit: Die Lücke als Fund zu behandeln und ihren Ursachen nachzugehen kann einen Beitrag zur Biographik jenseits von Einzelereignissen leisten. Dass diese Fehlstelle indes nachträglich wiederhergestellt werden kann, folgt aus der Tatsache, dass, anders als vielleicht von den Nachlassordnenden erwartet, an anderer Stelle übrig bleibt, was nicht hätte übrig bleiben sollen – andere Archive beheimaten eine Vielzahl komplementärer Quellen. Üblicherweise werden in einem solchen Fall Briefe an Korrespondent:innen aus den jeweiligen Nachlässen herangezogen. Für die vorliegende Fragestellung erwiesen sich hingegen andere Repositorien als zielführend, darunter insbesondere Gerichtsunterlagen zu ehe- und familienrechtlichen Klagen, Standesamts- sowie Patientenakten verwaltende Archive, die in erheblichem Maße Aufschluss über die privaten Verhältnisse der beteiligten Personen geben können.</p><p>Vorwegnehmen lässt sich aus dieser Rekonstruktion der Lebensgeschichte der Familie Gerlach, dass es sich um schmerzhafte, vielleicht auch mit Scham behaftete Vorgänge handelt, die in Zusammenhang mit Krankheit, Scheidung und Tod stehen und womöglich deshalb im von der Familie übergebenen Nachlass nicht zu finden sind. Sie stehen im Widerspruch zum Selbstbild des erfolgreichen, überlegenen und unverletzlichen Wissenschaftlers, das andere von Walther Gerlach und dieser auch von sich selbst zeichnete. Sind solche Fakten irrelevant, liegen Zusammenhänge wie diese außerhalb des Erkenntnisinteresses von Wissenschaftshistoriker:innen, wenn sie lediglich Aspekte der privaten Familiengeschichte nachzeichnen und vervollständigen? Eine der wesentlichen und wiederkehrenden Forschungsfragen in verschiedenen wissenschaftshistorischen Arbeiten zu Walther Gerlach ist jedenfalls sein Verhältnis zu Politik und Ideologie der Nationalsozialisten. In seinem jüngsten Buch hat sich auch Ulrich Herbert in einem Kapitel mit dem Titel „Der deutsche Professor im Dritten Reich“ dieser Frage gewidmet und kennzeichnet Gerlach nicht als Ideologen, sondern als national-patriotisch gesinnten „loyale[n] Bürger des Dritten Reiches“.<sup>16</sup></p><p>Mit Blick auf seine Lebensgeschichte werden im vorliegenden Beitrag die bisherigen Darstellungen von Gerlachs Verhältnis zum nationalsozialistischen Staat um einen weiteren, persönlichen Aspekt ergänzt, den er selbst (oder seine zweite Frau) aus dem Nachlass tilgte: Walther Gerlach war gleichzeitig Profiteur und Angehöriger eines Opfers der nationalsozialistischen Rassenhygiene und der daraus abgeleiteten Gesetze und Verbrechen. Erst das nationalsozialistische Eherecht von 1938 ermöglichte ihm die Scheidung von seiner ersten Frau und kurz darauf die Wiederheirat mit seiner langjährigen Partnerin Ruth Probst. Die gleichen ideologischen Gesetzesgrundlagen führten jedoch auch zur Legitimierung der Vernichtungspolitik der Nationalsozialisten und zur Durchführung von Krankenmorden, in deren Zuge im Rahmen der sogenannten „Aktion T4“ Gerlachs einzige Tochter Ursula im Jahr 1940 getötet wurde.</p><p>In den folgenden Abschnitten werden zunächst die nicht mehr vorhandenen Informationen zur Biographie von Wilhelmine und Ursula Gerlach anhand von Dokumenten außerhalb des Nachlasses nachgezeichnet und auf diese Weise an ihr Leben erinnert. Die Beschäftigung mit den persönlichen und sensiblen Informationen berührt die Beschäftigung mit allgemeinen Fragen zum postmortalen Persönlichkeitsschutz, der für die genannten Personen gewahrt bleibt. Abschließend erfolgt eine Einordnung, wie mit den bislang fragmentarischen neuen Erkenntnissen in zukünftigen biographischen Projekten verfahren werden kann. Die folgenden Rekonstruktionen der Lücken sollen Anlass geben, an die Notwendigkeit zur Dekonstruktion von vorgegebenen Ordnungslogiken in Nachlässen und den damit verbundenen Selbstzeugnissen zu erinnern.</p><p>Eine erste Annäherung an den Nicht-Fund von Daten im Nachlass zur ersten Ehefrau Wilhelmine Gerlach (geb. Mezger) sowie der gemeinsamen Tochter Ursula Gerlach führt zu den Standesamtsakten im Stadtarchiv München. Personenstandsdaten gehören allgemein zu den besonders geschützten Informationen. Für die Eheleute Ruth Probst und Walther Gerlach wurde anlässlich ihrer Heirat eine Eheaufgebotsakte angelegt.<sup>18</sup> Nach dieser Quelle wurde zunächst die erste Ehe von Walther Gerlach mit Wilhelmine Gerlach rechtskräftig zum 9. März 1939 wegen „Geisteskrankheit der Frau“<sup>19</sup> aufgehoben, was Ruth Probst und Walther Gerlach unter Verkürzung der Aufgebotszeit die Hochzeit im darauffolgenden Monat ermöglichte. Die Standesamtsakte enthält Hinweise auf einen in Tübingen begonnenen und fast zwölf Jahre andauernder Rechtsstreit zwischen den Eheleuten, in dem Walther Gerlach die Aufhebung der Ehe anstrebte, ohne dass sich jedoch aus den Unterlagen ein klares Bild über die Ursachen und Zusammenhänge ergibt. Die Ehezeugen der ersten im Jahr 1917 in Stuttgart geschlossenen Ehe waren die Schwester der Braut sowie der jüngere Bruder des Bräutigams, Werner Gerlach (1891–1963).<sup>20</sup></p><p>Die Aufhebung der ersten Ehe erfolgte nach § 37 des erst im Juli 1938 novellierten Ehegesetzes durch das Oberlandesgericht München, wobei das Urteil nicht überliefert ist.<sup>21</sup> In dem mit „Irrtum über die Umstände, die die Person des anderen Ehegatten betreffen“ überschriebenen Abschnitt des Gesetzestextes stand:</p><p>(1) Ein Ehegatte kann Aufhebung der Ehe begehren, wenn er sich bei der Eheschließung über solche die Person des anderen Ehegatten betreffende Umstände geirrt hat, die ihn bei Kenntnis der Sachlage und bei richtiger Würdigung des Wesens der Ehe von der Eingehung der Ehe abgehalten hätten.<sup>22</sup></p><p>Aus dem Inhalt des Gesetzestextes allein erschließt sich nicht, worauf Walther Gerlach seine Klage hätte begründen können. Tatsächlich wurde die Klage in nächsthöherer Instanz vor dem Reichsgericht in Zivilsachen entschieden: <sup>23</sup> Der Kläger machte geltend, dass es sich bei der 1925 eingetretenen Erkrankung seiner Frau – mutmaßlich eine Schizophrenie – um „eine Erbkrankheit im Sinne des Gesetzes vom 14. Juli 1933 gehandelt habe“.<sup>24</sup></p><p>Auf Grundlage dieser Argumentation urteilte das Gericht zu Gerlachs Gunsten und entgegen früherer Entscheidungen anderer Gerichte, die den Irrtum zum Zeitpunkt der Eheschließung aufgrund des Vorliegens einer späteren, akuten Erkrankung nicht anerkannten.</p><p>Die Gerichtsakten<sup>25</sup> der ersten abgewiesenen Klage Gerlachs am Landgericht Tübingen zur Aufhebung der Ehe geben Aufschluss über die Ursachen des Zerwürfnisses: Von 1925 an war Gerlach Professor in Tübingen, wo er die Nachfolge seines Doktorvaters Friedrich Paschen (1865–1947) übernahm.<sup>26</sup> Im Winter 1925 kam es zu einer schweren Krise, in deren Folge Wilhelmine Gerlach Anfang Dezember versuchte, sich selbst und ihrer von Geburt an geistig behinderten Tochter Ursula in der gemeinsamen Wohnung durch Leuchtgas das Leben zu nehmen.<sup>27</sup> Anschließend verbrachte die Ehefrau mehrere Monate in einer Heilanstalt; das Kind verblieb in der Obhut der Familie des Vaters.<sup>28</sup> Im Jahr 1927 wurde bei Wilhelmine Gerlach eine schizophrene Erkrankung diagnostiziert, für die jedoch eine „Anlage“ zum Zeitpunkt der Hochzeit nicht feststellbar gewesen sei.<sup>29</sup> Folglich wurde Gerlachs erste Klage zur Anfechtung der Ehe nach § 1333 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) im Juni 1927 abgewiesen, und auch weitere Versuche im Anschluss an Gerlachs Berufung nach München im Jahr 1929 scheiterten.<sup>30</sup> Erst die Einordnung des Komplexes von Krankheitsbildern unter dem Sammelbegriff Schizophrenie als Erbkrankheit in der Ideologie der Nationalsozialisten ermöglichte es ihm schließlich, eine Aufhebung der Ehe zu erwirken.</p><p>Für Gerlach bedeutete der Abschluss des Verfahrens auch einen Neustart in ein Leben nach den damals gesellschaftlich anerkannten Regeln und Normen. Durch die Aufhebung der ersten war nun der Weg für eine zweite Ehe, die Ehe mit Ruth Probst, frei geworden. Probst und Gerlach waren seit 1926 ein Paar und lebten unverheiratet zusammen. Dieser Umstand wurde in einer Anzeige gegen Gerlach zum Anlass genommen, seine Position als Hochschullehrer als moralisches Vorbild in Frage zu stellen.<sup>31</sup> In dem gegen ihn geführten Verfahren wurden verschiedene Stellungnahmen von Kollegen eingeholt, die seine besonderen Lebensumstände würdigten und Gerlach gegen die Angriffe verteidigten. So schrieb der Physiker und Kollege aus Gerlachs Frankfurter Zeit Erwin Madelung (1881–1972): „Dass er sich auf seine Weise den Schatten der Erfüllung seiner Sehnsucht nach häuslichem Glück verschafft hat, darf nur der verurteilen, der eine ähnliche Notlage erlebt hat und sie besser zu meistern wusste.“<sup>32</sup> Der Jenaer Physikprofessor Max Wien (1866–1938) zeichnete in seiner Beurteilung die zukünftige Entwicklung bereits voraus: „Es ist zu hoffen, dass unter dem Einfluss der neuen staatlichen Auffassung der Eugenik die Ehe mit seiner erblich belasteten Frau getrennt werden kann und G. so aus seiner misslichen Lage befreit wird.“<sup>33</sup></p><p>Für seine Klagen ließ Walther Gerlach sich in den 1930er Jahren unter anderem durch den Rechtsanwalt Gustav von Scanzoni (1885–1977) vertreten.<sup>34</sup> Scanzoni verfasste später einen ausführlichen Kommentar zum Ehegesetz von 1938, der in mehreren Auflagen erschien.<sup>35</sup> Unbelegt bleibt, ob, wie in Beschwerdeschriften der Familie Wilhelmine Gerlachs angegeben, auch Gutachten des Psychiaters und Rassenhygienikers Hans Luxenburger (1894–1976) sowie des Neurologen Oswald Bumke (1877–1950) im Verfahren eingeholt wurden.<sup>36</sup> Bumke war Nachfolger des Psychiaters Emil Kraepelin (1856–1926) an der Münchner Universität und langjähriger Leiter der Münchner Nervenklinik.<sup>37</sup> Einer seiner beiden Brüder, der Jurist Erwin Bumke (1874–1945), war von 1929 an bis zu seinem Selbstmord am 20. April 1945 Präsident des Reichsgerichts. In den Jahren 1928 und 1929 übte Oswald Bumke das Amt des Rektors der LMU aus; zu dieser Zeit wurde Walther Gerlach nach München berufen. Auch Bumke kommentierte das Ehegesetz von 1938 aus psychiatrischer Erfahrung in einem Ergänzungsband zum <i>Handbuch der Geisteskrankheiten</i>.<sup>38</sup> Darin sprach er sich unter anderem für die Sterilisation schizophren erkrankter Menschen aus, obwohl er zeitgleich das zwingende Vorliegen einer Erbanlage für das Krankheitsbild infrage stellte.<sup>39</sup></p><p>Zwei Jahre nach dem Tod Bumkes veröffentlichte der Verlag Richard Pflaum in München einen Band mit Lebenserinnerungen und Schriften,<sup>40</sup> der seine öffentliche Erinnerung prägen sollte und als Beitrag zur Rehabilitierung quellenkritisch rezipiert werden muss.<sup>41</sup> Das umfangreiche dreißigseitige Vorwort als „Würdigung seiner Persönlichkeit“ zu diesem Band trug Walther Gerlach bei. Darin beschäftigte sich Gerlach einleitend mit der Rolle und Stellung der vorliegenden Erinnerungen als Quellen und leitete aus der Tatsache ihrer posthumen Veröffentlichung ab, dass dadurch die Gefahr der nachträglichen Veränderung des Berichts von Erfahrungen und Erlebnissen ausgeschlossen sei.<sup>42</sup> Seinen Beitrag für den Band schrieb Gerlach „als Kollege, der seit seinem Antrittsbesuch im Sommer 1929 ihm [Bumke] verbunden war und dem Menschen und Berater für Anregung und Hilfe zu unauslöschlicher Dankbarkeit verpflichtet ist“.<sup>43</sup> Die Frage, ob Bumke Gerlach auch in persönlichen Fragen beriet, ist weder durch Dokumente aus dem Nachlass noch durch das Vorwort zu klären. Dass sich die beiden Kollegen menschlich nahestanden, wird von Gerlach jedoch angedeutet: „Menschen dieser Art haben wenig Freunde, […] aber sie sind es, zu denen man in ernster Not geht, denen man sich […] mehr als den Freunden rückhaltlos und hoffnungsheischend anvertraut.“<sup>44</sup></p><p>Festzustellen bleibt, dass die Durchdringung der eugenischen Ideologie der Nationalsozialisten, die ihren Ausdruck unter anderem im Ehegesetz vom 6. Juli 1938 fand, es Walther Gerlach in den gesellschaftlichen, akademischen und juristischen Wirkungsräumen ermöglichte, persönlich von der politischen Entwicklung im Deutschen Reich für seine weitere Lebensplanung zu profitieren. Mit nur geringem zeitlichen Abstand führte die Verfolgung der gleichen ideologischen Interessen und Überzeugungen aber auch zur Legitimierung von Verbrechen gegen kranke Menschen, denen auch das einziges Kind Walther Gerlachs und seiner ersten Ehefrau Wilhelmine zum Opfer fiel.</p><p>Im Juli 2018 veröffentlichte das Bundesarchiv nach langjähriger rechtlicher Abwägung die Namenslisten der rund 30.000 Krankenakten von Opfern der NS-„Euthanasie“,<sup>45</sup> in der die Geburts- und Sterbedaten angegeben sind. Dabei handelt es sich nur um einen Teil der rund 200.000 Opfer aus psychiatrischen Einrichtungen des Dritten Reichs; für die meisten von ihnen sind keine Akten erhalten. Auch wenn im Nachlass Gerlachs fast jede Spur der Tochter fehlt, so ist ihr Schicksal durch eine Patientenakte im Bestand des Bundesarchivs belegt, in der Aufenthalte in verschiedenen Heilanstalten bis zu ihrer Ermordung in einer Tötungsanstalt vermerkt sind.<sup>46</sup></p><p>Ursula Gerlach wurde am 1. Dezember 1918 in Stuttgart geboren. Seit der Geburt war das Kind in seiner geistigen Entwicklung beeinträchtigt und auf Pflege angewiesen. Im Alter von drei Jahren konnte Ursula noch nicht richtig sprechen, wie Walther Gerlach am Rande eines Berichtes über seinen wissenschaftlichen Durchbruch zum Stern-Gerlach-Experiment in einem Brief von November 1921 bemerkte: „Urselkind macht nun recht schöne Fortschritte. Sie spricht viel, zwar immer noch gänzlich chinesisch, aber es müssen alles gute Witze sein, denn sie lacht schrecklich darüber!“<sup>47</sup> Diese Textstelle, in der Gerlach über seine Tochter schreibt, stammt aus einer Nachlieferung zum Nachlass und gehört damit nicht zu den Dokumenten, die Ruth Gerlach an das Archiv übergeben hatte. Dokumente wie beispielsweise eine Geburtsurkunde oder Fotografien seiner ersten Frau und seiner Tochter sind im Nachlass nicht überliefert.</p><p>Nach der Krise vom Dezember 1925 befand sich das Kind zunächst in der Obhut des Vaters und seiner Tante Lina Niederhäuser (1877–?). Von Februar 1926 an erhielt Ursula an drei Tagen in der Woche jeweils zwei Stunden Privatunterricht einer hierfür angestellten Erzieherin, wie im Zuge eines Vormundschaftsverfahrens festgehalten wurde.<sup>48</sup> Über dessen Ausgang und die genauen Lebensumstände in der Folge ist nichts bekannt. Aus der Patientenakte von Ursula Gerlach geht hervor, dass sie sich seit Dezember 1932 im St. Gertrudisheim in Rosenharz befand.<sup>49</sup> Im Oktober 1937 wurde sie in die Württembergische Heilanstalt Weißenau aufgenommen und dort zunächst im Neubau untergebracht. Die angeborene geistige Behinderung der jungen Frau wurde in der Akte von den behandelnden Ärzten<sup>50</sup> als „Erbkrankheit“ mit Verweis auf die Krankengeschichte ihrer Mutter eingestuft.<sup>51</sup> Ende September 1939 wurde sie „wegen Benötigung ihres Platzes“ in die Frauen-Abteilung E verlegt; der letzte Eintrag in ihrer Akte ist auf den 1. August 1940 datiert, dem 51. Geburtstag ihres Vaters.<sup>52</sup> Es ist davon auszugehen, dass sie an diesem Tag in die Tötungsanstalt Grafeneck gebracht und im Rahmen der sogenannten „Aktion T4“ am gleichen Tag ermordet wurde.<sup>53</sup></p><p>Der Familie seiner ersten Frau war der Tod von Ursula Gerlach und der Todesort Ende 1943 bekannt.<sup>54</sup> Wie und wann Walther Gerlach vom Tod seiner Tochter erfahren hat, ist im Nachlass nicht überliefert, auch nicht, welche Todesursache ihm genannt wurde. Im von Ruth Gerlach übergebenen Nachlass sind jedenfalls keine Dokumente mit direkten Bezügen zur Tochter zu finden. Allerdings findet sich in handschriftlichen Briefen Walther Gerlachs an Ruth Gerlach aus der Zeit von 1940 bis 1944 – ebenfalls Teil einer späteren Nachlieferung – eine Andeutung, die als Nachricht über den Tod der Tochter verstanden werden kann:</p><p>[…] ich fand deinen Brief beim Heimkommen, hatte die Ahnung daß etwas drin stehe und machte ihn noch mit Hut und Mantel auf. […] es ist mir arg, obwohl ich so manchmal es gewünscht habe, nicht mehr an dieses fürchterliche Leben denken zu müssen. Wir haben ja nie drüber gesprochen, und es war gut so, denn jeder wußte vom andern, daß er immer wieder bedrückt daran denkt. […] Ich bin nun der Ansicht, daß man es durch Scanzoni der Mutter mitteilen lassen muß.<sup>55</sup></p><p>Wie Paul-Otto Schmidt-Michel und Thomas Müller in einem Artikel zum Umgang von Angehörigen der Opfer der „Aktion T4“ darlegten, fielen die Reaktionen von Betroffenen sehr unterschiedlich aus: Neben Fällen von Protest war die Angst vor Stigmatisierung der Familie als kranker „Erbträger“ eine sehr verbreitete Reaktion.<sup>56</sup> Es ist daher nicht überraschend, dass in vielen Familien über das Schicksal von Angehörigen sowohl unmittelbar zum Zeitpunkt der Geschehnisse als auch lange über das Ende der Zeit des Nationalsozialismus hinaus geschwiegen wurde. Das erfahrene Trauma blieb für die Familien weiterbestehen.</p><p>Dass zu Gerlachs Familie in dieser Hinsicht eine große Lücke im Nachlass existiert, kann, wie bereits Wilhelm Füßl ausgeführt hat, nur schwerlich als Zufall gewertet werden. Walther Gerlach war durch seine publizistische und wissenschaftshistorische Tätigkeit in der Nachkriegszeit sowohl mit der Arbeit mit Nachlässen als auch mit den Mechanismen öffentlicher Erinnerung vertraut und konnte diese selbstreflexiv auf die eigene Überlieferung übertragen. Dass keine Dokumente an seine erste Ehe und seine Tochter erinnern, ist, so darf vermutet werden, mit großer Wahrscheinlichkeit erwünscht – ob durch Selektion der Überlieferung durch Walther Gerlach selbst oder durch seine zweite Ehefrau Ruth. Diese Facette seiner Biographie sollte privat bleiben und sich zumindest aus der Analyse seiner persönlichen Dokumente nicht erschließen. Mit Blick auf das eingangs geschilderte Erkenntnisinteresse – die Frage nach der Position Gerlachs zur Ideologie und Politik der Nationalsozialisten – müssen sich Biograph:innen jedoch über ein vorgezeichnetes Selbstbild hinwegsetzen und wie im vorliegenden Fall mit Parallelüberlieferungen arbeiten. Gleichzeitig berührt die historische Forschung immer auch den sensiblen Bereich des Persönlichkeitsschutzes sowie die Belange von Angehörigen die über das zur Lebenszeit gültige Recht auf informationelle Selbstbestimmung hinausgehen.</p><p>Noch im Jahr 2015 wurde die Diskussion über die Nutzung psychiatrischer Krankenakten, insbesondere verbunden mit der Namensnennung von Opfern, als Quellen historischer Forschung kontrovers und intensiv geführt, wie Philipp Rauh in einem Beitrag zur Frühjahrestagung 2015 der Fachgruppe der Hochschulen und wissenschaftlichen Institutionen im Verband Deutscher Archivarinnen und Archivare feststellte.<sup>57</sup> 2018 entschloss sich das Bundesarchiv dazu, die Erschließungsdaten mit Namen, Geburts- und Sterbedaten der ermittelbaren Opfer von Krankenmorden in der NS-Zeit zu veröffentlichen.<sup>58</sup> Über die Namensnennung hinaus bleiben jedoch im Zusammenhang mit der Nutzung psychiatrischer Krankenakten für die historische Forschung zwei gesetzliche Anforderungen bestehen: die Einhaltung der Grundsätze des postmortalen Persönlichkeitsschutzes sowie die Wahrung schutzwürdiger Belange Dritter, hier insbesondere der Angehörigen. Sie können mit dem im Grundgesetz verankerten Recht der Wissenschaftsfreiheit kollidieren.<sup>59</sup> Zur Begründung des posthumen Persönlichkeitsschutzes führt die Rechtsprechung mit Verweis auf das Grundgesetz an, dass zur Auslebung der freien Entfaltung der Persönlichkeit zu Lebenszeiten das Vertrauen darauf bestehen müsse, dass „das Bild des Lebens und Wirkens eines Verstorbenen für eine Zeitlang vor unangemessener Verzerrung“ bewahrt wird.<sup>60</sup> Nicht explizit festgelegt ist dabei jedoch die Dauer, auf die sich „eine Zeitlang“ bezieht. Im vielleicht bekanntesten Urteil zum postmortalen Persönlichkeitsschutz, der sogenannten Mephisto-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 24. Februar 1971 (AZ.: 1 BvR 435/68),<sup>61</sup> wurde lediglich festgestellt, dass das Rechtsschutzbedürfnis in dem Maß schwinde, in dem die Erinnerung an den Verstorbenen verblasse und im Laufe der Zeit auch das Interesse an der Nichtverfälschung des Lebensbildes abnehme.<sup>62</sup></p><p>Eine Festlegung zu „Intensität und Dauer der Schutzwirkung“<sup>63</sup> ist pauschal nicht möglich und bedarf einer Einzelfallbetrachtung ebenso wie des Ausgleichs zwischen der Freiheit der Wissenschaft und dem Schutz der Persönlichkeit über den Tod hinaus.</p><p>Im Zusammenhang mit den psychiatrischen Krankenakten wurde als Hemmnis zur deren historischer Auswertung in der Vergangenheit häufig das Argument ins Feld geführt, dass jenseits von gesetzlichen Schutzfristen die schutzwürdigen Belange Dritter, insbesondere der Angehörigen, durch die Veröffentlichung von Daten verletzt sein könnten, da sie sich einer anhaltenden familiären Stigmatisierung ausgesetzt sehen könnten.<sup>64</sup> Wie Philipp Rauh überzeugend ausgeführt hat, bewirkt eine solche Interpretation letztlich nur eine Perpetuierung rassenideologischer Stigmata und widerspricht dem Gedanken der Möglichkeit zur angemessenen Würdigung der Opfer der NS-Diktatur.<sup>65</sup> Auch diesen Bedenken wurde mit der Entscheidung des Bundesarchivs Rechnung getragen, ungeachtet der nach wie vor erforderlichen individuellen und historisch sensiblen Auseinandersetzung mit der Fallgeschichte und den in den Akten enthaltenen medizinischen Daten im Kontext ihrer Zeit.</p><p>Stehen die Normen des postmortalen Persönlichkeitsschutzes sowie die schutzwürdigen Belange von Angehörigen der Offenlegung der in diesem Beitrag ausgewählten Facette der Familiengeschichte von Walther Gerlach entgegen? Dies ist zu verneinen, denn neben dem Erkenntnisinteresse der Forschung entspricht keine der genannten Tatsachen einer Herabwürdigung einzelner Personen oder ihres historischen Ansehens – dies gilt sowohl für Walther als auch für Wilhelmine und Ursula Gerlach. Insbesondere für die Tochter sind die namentliche Nennung sowie das chronologische Nachzeichnen ihres Schicksals eine Möglichkeit, ihre Geschichte als Opfer der Verbrechen der Nationalsozialisten nachzuzeichnen und dem Vergessen – nicht zuletzt auch in den Überlieferungen ihres Vaters – entgegenzuwirken.</p><p>Der Status der Quellen wird nicht nur von dem bestimmt, was da ist, sondern in viel größerem Ausmaß von demjenigen, was nicht da ist. Eine Quelle kann außerdem das sein, was nicht da ist, obwohl es da ist: das Verdrängte, das unter dem Strich Stehende, das aus der Matrix der Überlieferung Ausgeschiedene […].<sup>66</sup></p><p>Die Lücke im Nachlass zur Familiengeschichte Walther Gerlachs zu deuten fällt angesichts des Fehlens überlieferter Motive schwer: War das Löschen eine Form von Verdrängung schmerzhafter Erinnerungen, sowohl hinsichtlich der langjährigen gerichtlichen Auseinandersetzung als auch hinsichtlich der Trauer über den Verlust des eigenen Kindes? War die Selektion Ausdruck für das Fortwirken eines gesellschaftlichen Stigmas, das mit psychischer Erkrankung und geistiger Behinderung von Angehörigen einherging? Kam es zur Fehlstelle aus Scham über die Art und Weise, wie die Begründung zum abschließenden Urteil im Verfahren der Eheanfechtung zustande kam? Oder liegt diese Lücke womöglich begründet im Wunsch nach der Selbstbestimmung über die Erinnerung als Person des öffentlichen Lebens?</p><p>Auch wenn Antworten auf diese Fragen ausbleiben, lässt sich aus der vorangegangen Rekonstruktion eine biographische Facette aufzeigen, zu der sich kaum andere direkte Aussagen in den Quellen finden: Mit Blick auf sein Eheleben erlangte Walther Gerlach durch aus Ideologie abgeleitete Politik und Gesetzgebung der Nationalsozialisten einen persönlichen Vorteil. Zeitgleich jedoch wurde seine Familie Opfer der gleichen rassenideologischen Motive und der daraus folgenden Verbrechen der NS-Diktatur. Darüber hinaus lässt sich aus der skizzierten Rekonstruktion auch ein Appell zur Dekonstruktion der scheinbaren Ordnung des Nachlasses und des Selbstzeugnisses ableiten: Wer den nächsten, aus wissenschaftshistorischer Sicht ohne Zweifel sehr erstrebenswerten Versuch unternehmen wird, eine Biographie Walther Gerlachs zu schreiben und parallel zu ihr wichtige wissenschaftshistorische und wissenschaftspolitische Entwicklungen in Deutschland im 20. Jahrhundert nachzuzeichnen, wird ohne die Arbeit mit Parallelüberlieferungen jenseits des Nachlasses kein treffendes Porträt erzielen. Am vorliegenden ausgewählten und eng eingegrenzten Beispiel zeigt sich, dass trotz seines bedeutenden Umfangs und seiner guten Erschließung der Nachlass Walther Gerlachs auf Lücken und Widersprüche hin quellenkritisch rezipiert werden muss. „Der Naturwissenschaftler […] hat das hohe Recht, frei mit der Überlieferung zu schalten und zu walten, sie zu beachten, sie zu verwerfen“,<sup>67</sup> hatte Gerlach einst unter Berufung auf die Freiheit der Forschung für seine eigene Disziplin gefordert. So fällt die Antwort auf die eingangs gestellte Frage, was „man in 50 Jahren über uns erzählen“ wird und die jeder auch sich selbst stellen kann, unbestimmt aus: womöglich etwas Anderes als das in diesem Augenblick Vorausgedachte.</p>","PeriodicalId":55388,"journal":{"name":"Berichte zur Wissenschaftsgeschichte","volume":"46 4","pages":"320-335"},"PeriodicalIF":0.6000,"publicationDate":"2023-11-13","publicationTypes":"Journal Article","fieldsOfStudy":null,"isOpenAccess":false,"openAccessPdf":"https://onlinelibrary.wiley.com/doi/epdf/10.1002/bewi.202300008","citationCount":"0","resultStr":"{\"title\":\"Die Lücke als Fund: Über eine Fehlstelle zur Familiengeschichte im Nachlass von Walther Gerlach (1889–1979)**\",\"authors\":\"Johannes-Geert Hagmann\",\"doi\":\"10.1002/bewi.202300008\",\"DOIUrl\":null,\"url\":null,\"abstract\":\"<p>„Ich muß schließen. 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Wenn nun nicht nach fünfzig, sondern nach sechzig Jahren der vorliegende Beitrag eine Lücke in Nachlass von Walther Gerlach diskutiert, so muss hier an erster Stelle das ausgeprägte Verständnis Gerlachs für die Mechanismen biographischer Überlieferungen und die Entstehung von Erinnerung hervorgehoben werden, das im Eingangszitat exemplarisch zu Ausdruck kommt.</p><p>Walther Gerlach gehörte zu den profiliertesten Physikern in Deutschland im 20. Jahrhundert. Das nach dem Physiker Otto Stern (1888–1969) und ihm selbst benannte Experiment (Stern-Gerlach-Experiment) zum Nachweis der Richtungsquantelung des Drehimpulses bei Silberatomen von 1922 zählt zu den kanonischen Versuchen der Quantenmechanik<sup>2</sup> und ist auch heute noch unter diesem Namen ein Fixpunkt in der physikalischen Ausbildung an Universitäten weltweit. Während des Zweiten Weltkriegs gelangte Gerlach in die einflussreiche Position des Bevollmächtigten für Physik des Reichsforschungsrats (RFR) mit Beteiligung am deutschen Uranprojekt,<sup>3</sup> nach Ende des Krieges und der Internierung in Farm Hall<sup>4</sup> führte ihn seine Karriere als Hochschullehrer an der Ludwigs-Maximilians-Universität (LMU) München unter anderem in die Ämter des Rektors der LMU (1948–1951), des Gründungspräsidenten der Fraunhofer-Gesellschaft (1949–1951) und des Vize-Präsidenten der Deutschen Forschungsgemeinschaft (1951–1961).<sup>5</sup> In der Nachkriegszeit erlangte Gerlach den Status einer öffentlichen Autorität in wissenschaftlichen und wissenschaftspolitischen Fragen, die Ulrich Herbert treffend mit dem Terminus „public intellectual“ charakterisiert hat.<sup>6</sup> Mit Blick auf seine herausragende Position überrascht es daher nicht, dass es in wissenschaftshistorischen Forschungsprojekten bereits mehrfach Ansätze zur Erarbeitung einer Biographie Gerlachs gegeben hat.<sup>7</sup> Ungeachtet dieser und weiterer Bemühungen liegt jedoch bis heute keine umfassende Darstellung seines Lebens und Wirkens vor.<sup>8</sup></p><p>Zu Gerlachs vielseitigen Tätigkeiten gehörte auch die Beschäftigung mit Themen der Geschichte seiner eigenen Disziplin, die er insbesondere nach seiner Emeritierung im Jahr 1957 intensiv verfolgte. Seine Forschungen zu den Arbeiten Johannes Kepler (1571–1630), aus denen mehrere populärwissenschaftliche Bücher und Artikel hervorgingen, führten ihn auch an das Forschungsinstitut des Deutschen Museums – er nutzte die Ressourcen von Bibliothek und Archiv. Dem Museum war Gerlach seit den 1930er Jahren durch verschiedene Ausschuss- und Gremienarbeiten eng verbunden.<sup>9</sup> Nach dem Tod Gerlachs übergab seine Witwe Ruth Gerlach (1905–1994) den umfangreichen schriftlichen Nachlass ihres Mannes (rund 40.000 Briefe in 321 Schachteln)<sup>10</sup> in mehreren Lieferungen dem Deutschen Museum. Wie der dortige langjährige Archivar Wilhelm Füßl in einem Beitrag für diese Zeitschrift ausgeführt hat, sind Nachlässe trotz ihres oft hohen Quellengehalts als „Reste“ anzusehen, in denen Überlieferungslücken zur Normalität gehören.<sup>11</sup> Unter dem Titel „Übrig bleibt, was übrig bleiben soll“ beschrieb Füßl die Möglichkeit, dass die betreffende Person, ihre Angehörigen oder die einliefernde Institution selektiv in die Vorlass- bzw. Nachlassbildung eingreifen und so das Fremdbild für die zukünftige Deutung mitbestimmen. In seinem Beitrag hob Füßl exemplarisch drei Methoden der Nachlassbildung und die daraus entstehenden Probleme ihrer quellenkritischen Interpretation anhand von Fallbeispielen mit Bezug zur Physikgeschichte hervor: durch Aufteilung und Verkauf von Autographen am Beispiel Ernst Machs (1838–1916), durch selbst vorweggenommene Interpretation von Quellen am Beispiel Philipp Lenards (1862–1947) sowie durch Eingriff und Auswahl am Bespiel Walther Gerlachs.<sup>12</sup> Die Beschäftigung mit den Konstruktionsleistungen von Archiven und musealen Sammlungen sowie eine kritischen Diskussion des Authentizitätsbegriffs stehen auch im Fokus eines unlängst erschienen Tagungsbands aus dem Leibniz-Forschungsverbund „Historische Authentizität“.<sup>13</sup></p><p>Im Jahr 2022 wurde an das hundertjährige Jubiläum des Stern-Gerlach-Experiments zum Nachweis der Richtungsquantelung erinnert. Neben einer durch die Deutsche Physikalische Gesellschaft (DPG), den Physikalischen Verein Frankfurt sowie die Universität Frankfurt ausgerichteten Feier in der Frankfurter Paulskirche am 8. Februar 2022<sup>14</sup> wandten sich im Vorlauf des Jubiläums auch vermehrt Wissenschaftshistoriker:innen der Biographie Gerlachs zu und studierten seinen Nachlass.<sup>15</sup> Im Zuge der Vorbereitungen, und bedingt durch die infolge der Pandemie einschränkte Reisefähigkeit, wandte sich im Sommer 2021 ein Kollege mit der Frage an mich, ob im Nachlass Gerlachs ein Hinweis auf das Schicksal seiner ersten Familie vorhanden sei. Erste Suchen im Nachlass nach Dokumenten zur ersten Ehefrau Gerlachs, Wilhelmine Gerlach (geb. Mezger), sowie der gemeinsamen Tochter Ursula Gerlach blieben erfolglos. Offenbar wünschten es Walther Gerlach oder seine zweite Frau Ruth Gerlach nicht, dass die Geschichte seiner ersten Familie als Teil der Überlieferung seines Lebensbilds erhalten blieb. Unklar blieb zunächst auch, welches Motiv dafür einen Anlass gegeben haben könnte. Das Fundstück bildet in diesem Zusammenhang somit nicht eine Quelle aus dem Nachlass, sondern ihre Abwesenheit: Die Lücke als Fund zu behandeln und ihren Ursachen nachzugehen kann einen Beitrag zur Biographik jenseits von Einzelereignissen leisten. Dass diese Fehlstelle indes nachträglich wiederhergestellt werden kann, folgt aus der Tatsache, dass, anders als vielleicht von den Nachlassordnenden erwartet, an anderer Stelle übrig bleibt, was nicht hätte übrig bleiben sollen – andere Archive beheimaten eine Vielzahl komplementärer Quellen. Üblicherweise werden in einem solchen Fall Briefe an Korrespondent:innen aus den jeweiligen Nachlässen herangezogen. Für die vorliegende Fragestellung erwiesen sich hingegen andere Repositorien als zielführend, darunter insbesondere Gerichtsunterlagen zu ehe- und familienrechtlichen Klagen, Standesamts- sowie Patientenakten verwaltende Archive, die in erheblichem Maße Aufschluss über die privaten Verhältnisse der beteiligten Personen geben können.</p><p>Vorwegnehmen lässt sich aus dieser Rekonstruktion der Lebensgeschichte der Familie Gerlach, dass es sich um schmerzhafte, vielleicht auch mit Scham behaftete Vorgänge handelt, die in Zusammenhang mit Krankheit, Scheidung und Tod stehen und womöglich deshalb im von der Familie übergebenen Nachlass nicht zu finden sind. Sie stehen im Widerspruch zum Selbstbild des erfolgreichen, überlegenen und unverletzlichen Wissenschaftlers, das andere von Walther Gerlach und dieser auch von sich selbst zeichnete. Sind solche Fakten irrelevant, liegen Zusammenhänge wie diese außerhalb des Erkenntnisinteresses von Wissenschaftshistoriker:innen, wenn sie lediglich Aspekte der privaten Familiengeschichte nachzeichnen und vervollständigen? Eine der wesentlichen und wiederkehrenden Forschungsfragen in verschiedenen wissenschaftshistorischen Arbeiten zu Walther Gerlach ist jedenfalls sein Verhältnis zu Politik und Ideologie der Nationalsozialisten. In seinem jüngsten Buch hat sich auch Ulrich Herbert in einem Kapitel mit dem Titel „Der deutsche Professor im Dritten Reich“ dieser Frage gewidmet und kennzeichnet Gerlach nicht als Ideologen, sondern als national-patriotisch gesinnten „loyale[n] Bürger des Dritten Reiches“.<sup>16</sup></p><p>Mit Blick auf seine Lebensgeschichte werden im vorliegenden Beitrag die bisherigen Darstellungen von Gerlachs Verhältnis zum nationalsozialistischen Staat um einen weiteren, persönlichen Aspekt ergänzt, den er selbst (oder seine zweite Frau) aus dem Nachlass tilgte: Walther Gerlach war gleichzeitig Profiteur und Angehöriger eines Opfers der nationalsozialistischen Rassenhygiene und der daraus abgeleiteten Gesetze und Verbrechen. Erst das nationalsozialistische Eherecht von 1938 ermöglichte ihm die Scheidung von seiner ersten Frau und kurz darauf die Wiederheirat mit seiner langjährigen Partnerin Ruth Probst. Die gleichen ideologischen Gesetzesgrundlagen führten jedoch auch zur Legitimierung der Vernichtungspolitik der Nationalsozialisten und zur Durchführung von Krankenmorden, in deren Zuge im Rahmen der sogenannten „Aktion T4“ Gerlachs einzige Tochter Ursula im Jahr 1940 getötet wurde.</p><p>In den folgenden Abschnitten werden zunächst die nicht mehr vorhandenen Informationen zur Biographie von Wilhelmine und Ursula Gerlach anhand von Dokumenten außerhalb des Nachlasses nachgezeichnet und auf diese Weise an ihr Leben erinnert. Die Beschäftigung mit den persönlichen und sensiblen Informationen berührt die Beschäftigung mit allgemeinen Fragen zum postmortalen Persönlichkeitsschutz, der für die genannten Personen gewahrt bleibt. Abschließend erfolgt eine Einordnung, wie mit den bislang fragmentarischen neuen Erkenntnissen in zukünftigen biographischen Projekten verfahren werden kann. Die folgenden Rekonstruktionen der Lücken sollen Anlass geben, an die Notwendigkeit zur Dekonstruktion von vorgegebenen Ordnungslogiken in Nachlässen und den damit verbundenen Selbstzeugnissen zu erinnern.</p><p>Eine erste Annäherung an den Nicht-Fund von Daten im Nachlass zur ersten Ehefrau Wilhelmine Gerlach (geb. Mezger) sowie der gemeinsamen Tochter Ursula Gerlach führt zu den Standesamtsakten im Stadtarchiv München. Personenstandsdaten gehören allgemein zu den besonders geschützten Informationen. Für die Eheleute Ruth Probst und Walther Gerlach wurde anlässlich ihrer Heirat eine Eheaufgebotsakte angelegt.<sup>18</sup> Nach dieser Quelle wurde zunächst die erste Ehe von Walther Gerlach mit Wilhelmine Gerlach rechtskräftig zum 9. März 1939 wegen „Geisteskrankheit der Frau“<sup>19</sup> aufgehoben, was Ruth Probst und Walther Gerlach unter Verkürzung der Aufgebotszeit die Hochzeit im darauffolgenden Monat ermöglichte. Die Standesamtsakte enthält Hinweise auf einen in Tübingen begonnenen und fast zwölf Jahre andauernder Rechtsstreit zwischen den Eheleuten, in dem Walther Gerlach die Aufhebung der Ehe anstrebte, ohne dass sich jedoch aus den Unterlagen ein klares Bild über die Ursachen und Zusammenhänge ergibt. Die Ehezeugen der ersten im Jahr 1917 in Stuttgart geschlossenen Ehe waren die Schwester der Braut sowie der jüngere Bruder des Bräutigams, Werner Gerlach (1891–1963).<sup>20</sup></p><p>Die Aufhebung der ersten Ehe erfolgte nach § 37 des erst im Juli 1938 novellierten Ehegesetzes durch das Oberlandesgericht München, wobei das Urteil nicht überliefert ist.<sup>21</sup> In dem mit „Irrtum über die Umstände, die die Person des anderen Ehegatten betreffen“ überschriebenen Abschnitt des Gesetzestextes stand:</p><p>(1) Ein Ehegatte kann Aufhebung der Ehe begehren, wenn er sich bei der Eheschließung über solche die Person des anderen Ehegatten betreffende Umstände geirrt hat, die ihn bei Kenntnis der Sachlage und bei richtiger Würdigung des Wesens der Ehe von der Eingehung der Ehe abgehalten hätten.<sup>22</sup></p><p>Aus dem Inhalt des Gesetzestextes allein erschließt sich nicht, worauf Walther Gerlach seine Klage hätte begründen können. Tatsächlich wurde die Klage in nächsthöherer Instanz vor dem Reichsgericht in Zivilsachen entschieden: <sup>23</sup> Der Kläger machte geltend, dass es sich bei der 1925 eingetretenen Erkrankung seiner Frau – mutmaßlich eine Schizophrenie – um „eine Erbkrankheit im Sinne des Gesetzes vom 14. Juli 1933 gehandelt habe“.<sup>24</sup></p><p>Auf Grundlage dieser Argumentation urteilte das Gericht zu Gerlachs Gunsten und entgegen früherer Entscheidungen anderer Gerichte, die den Irrtum zum Zeitpunkt der Eheschließung aufgrund des Vorliegens einer späteren, akuten Erkrankung nicht anerkannten.</p><p>Die Gerichtsakten<sup>25</sup> der ersten abgewiesenen Klage Gerlachs am Landgericht Tübingen zur Aufhebung der Ehe geben Aufschluss über die Ursachen des Zerwürfnisses: Von 1925 an war Gerlach Professor in Tübingen, wo er die Nachfolge seines Doktorvaters Friedrich Paschen (1865–1947) übernahm.<sup>26</sup> Im Winter 1925 kam es zu einer schweren Krise, in deren Folge Wilhelmine Gerlach Anfang Dezember versuchte, sich selbst und ihrer von Geburt an geistig behinderten Tochter Ursula in der gemeinsamen Wohnung durch Leuchtgas das Leben zu nehmen.<sup>27</sup> Anschließend verbrachte die Ehefrau mehrere Monate in einer Heilanstalt; das Kind verblieb in der Obhut der Familie des Vaters.<sup>28</sup> Im Jahr 1927 wurde bei Wilhelmine Gerlach eine schizophrene Erkrankung diagnostiziert, für die jedoch eine „Anlage“ zum Zeitpunkt der Hochzeit nicht feststellbar gewesen sei.<sup>29</sup> Folglich wurde Gerlachs erste Klage zur Anfechtung der Ehe nach § 1333 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) im Juni 1927 abgewiesen, und auch weitere Versuche im Anschluss an Gerlachs Berufung nach München im Jahr 1929 scheiterten.<sup>30</sup> Erst die Einordnung des Komplexes von Krankheitsbildern unter dem Sammelbegriff Schizophrenie als Erbkrankheit in der Ideologie der Nationalsozialisten ermöglichte es ihm schließlich, eine Aufhebung der Ehe zu erwirken.</p><p>Für Gerlach bedeutete der Abschluss des Verfahrens auch einen Neustart in ein Leben nach den damals gesellschaftlich anerkannten Regeln und Normen. Durch die Aufhebung der ersten war nun der Weg für eine zweite Ehe, die Ehe mit Ruth Probst, frei geworden. Probst und Gerlach waren seit 1926 ein Paar und lebten unverheiratet zusammen. Dieser Umstand wurde in einer Anzeige gegen Gerlach zum Anlass genommen, seine Position als Hochschullehrer als moralisches Vorbild in Frage zu stellen.<sup>31</sup> In dem gegen ihn geführten Verfahren wurden verschiedene Stellungnahmen von Kollegen eingeholt, die seine besonderen Lebensumstände würdigten und Gerlach gegen die Angriffe verteidigten. So schrieb der Physiker und Kollege aus Gerlachs Frankfurter Zeit Erwin Madelung (1881–1972): „Dass er sich auf seine Weise den Schatten der Erfüllung seiner Sehnsucht nach häuslichem Glück verschafft hat, darf nur der verurteilen, der eine ähnliche Notlage erlebt hat und sie besser zu meistern wusste.“<sup>32</sup> Der Jenaer Physikprofessor Max Wien (1866–1938) zeichnete in seiner Beurteilung die zukünftige Entwicklung bereits voraus: „Es ist zu hoffen, dass unter dem Einfluss der neuen staatlichen Auffassung der Eugenik die Ehe mit seiner erblich belasteten Frau getrennt werden kann und G. so aus seiner misslichen Lage befreit wird.“<sup>33</sup></p><p>Für seine Klagen ließ Walther Gerlach sich in den 1930er Jahren unter anderem durch den Rechtsanwalt Gustav von Scanzoni (1885–1977) vertreten.<sup>34</sup> Scanzoni verfasste später einen ausführlichen Kommentar zum Ehegesetz von 1938, der in mehreren Auflagen erschien.<sup>35</sup> Unbelegt bleibt, ob, wie in Beschwerdeschriften der Familie Wilhelmine Gerlachs angegeben, auch Gutachten des Psychiaters und Rassenhygienikers Hans Luxenburger (1894–1976) sowie des Neurologen Oswald Bumke (1877–1950) im Verfahren eingeholt wurden.<sup>36</sup> Bumke war Nachfolger des Psychiaters Emil Kraepelin (1856–1926) an der Münchner Universität und langjähriger Leiter der Münchner Nervenklinik.<sup>37</sup> Einer seiner beiden Brüder, der Jurist Erwin Bumke (1874–1945), war von 1929 an bis zu seinem Selbstmord am 20. April 1945 Präsident des Reichsgerichts. In den Jahren 1928 und 1929 übte Oswald Bumke das Amt des Rektors der LMU aus; zu dieser Zeit wurde Walther Gerlach nach München berufen. Auch Bumke kommentierte das Ehegesetz von 1938 aus psychiatrischer Erfahrung in einem Ergänzungsband zum <i>Handbuch der Geisteskrankheiten</i>.<sup>38</sup> Darin sprach er sich unter anderem für die Sterilisation schizophren erkrankter Menschen aus, obwohl er zeitgleich das zwingende Vorliegen einer Erbanlage für das Krankheitsbild infrage stellte.<sup>39</sup></p><p>Zwei Jahre nach dem Tod Bumkes veröffentlichte der Verlag Richard Pflaum in München einen Band mit Lebenserinnerungen und Schriften,<sup>40</sup> der seine öffentliche Erinnerung prägen sollte und als Beitrag zur Rehabilitierung quellenkritisch rezipiert werden muss.<sup>41</sup> Das umfangreiche dreißigseitige Vorwort als „Würdigung seiner Persönlichkeit“ zu diesem Band trug Walther Gerlach bei. Darin beschäftigte sich Gerlach einleitend mit der Rolle und Stellung der vorliegenden Erinnerungen als Quellen und leitete aus der Tatsache ihrer posthumen Veröffentlichung ab, dass dadurch die Gefahr der nachträglichen Veränderung des Berichts von Erfahrungen und Erlebnissen ausgeschlossen sei.<sup>42</sup> Seinen Beitrag für den Band schrieb Gerlach „als Kollege, der seit seinem Antrittsbesuch im Sommer 1929 ihm [Bumke] verbunden war und dem Menschen und Berater für Anregung und Hilfe zu unauslöschlicher Dankbarkeit verpflichtet ist“.<sup>43</sup> Die Frage, ob Bumke Gerlach auch in persönlichen Fragen beriet, ist weder durch Dokumente aus dem Nachlass noch durch das Vorwort zu klären. Dass sich die beiden Kollegen menschlich nahestanden, wird von Gerlach jedoch angedeutet: „Menschen dieser Art haben wenig Freunde, […] aber sie sind es, zu denen man in ernster Not geht, denen man sich […] mehr als den Freunden rückhaltlos und hoffnungsheischend anvertraut.“<sup>44</sup></p><p>Festzustellen bleibt, dass die Durchdringung der eugenischen Ideologie der Nationalsozialisten, die ihren Ausdruck unter anderem im Ehegesetz vom 6. Juli 1938 fand, es Walther Gerlach in den gesellschaftlichen, akademischen und juristischen Wirkungsräumen ermöglichte, persönlich von der politischen Entwicklung im Deutschen Reich für seine weitere Lebensplanung zu profitieren. Mit nur geringem zeitlichen Abstand führte die Verfolgung der gleichen ideologischen Interessen und Überzeugungen aber auch zur Legitimierung von Verbrechen gegen kranke Menschen, denen auch das einziges Kind Walther Gerlachs und seiner ersten Ehefrau Wilhelmine zum Opfer fiel.</p><p>Im Juli 2018 veröffentlichte das Bundesarchiv nach langjähriger rechtlicher Abwägung die Namenslisten der rund 30.000 Krankenakten von Opfern der NS-„Euthanasie“,<sup>45</sup> in der die Geburts- und Sterbedaten angegeben sind. Dabei handelt es sich nur um einen Teil der rund 200.000 Opfer aus psychiatrischen Einrichtungen des Dritten Reichs; für die meisten von ihnen sind keine Akten erhalten. Auch wenn im Nachlass Gerlachs fast jede Spur der Tochter fehlt, so ist ihr Schicksal durch eine Patientenakte im Bestand des Bundesarchivs belegt, in der Aufenthalte in verschiedenen Heilanstalten bis zu ihrer Ermordung in einer Tötungsanstalt vermerkt sind.<sup>46</sup></p><p>Ursula Gerlach wurde am 1. Dezember 1918 in Stuttgart geboren. Seit der Geburt war das Kind in seiner geistigen Entwicklung beeinträchtigt und auf Pflege angewiesen. Im Alter von drei Jahren konnte Ursula noch nicht richtig sprechen, wie Walther Gerlach am Rande eines Berichtes über seinen wissenschaftlichen Durchbruch zum Stern-Gerlach-Experiment in einem Brief von November 1921 bemerkte: „Urselkind macht nun recht schöne Fortschritte. Sie spricht viel, zwar immer noch gänzlich chinesisch, aber es müssen alles gute Witze sein, denn sie lacht schrecklich darüber!“<sup>47</sup> Diese Textstelle, in der Gerlach über seine Tochter schreibt, stammt aus einer Nachlieferung zum Nachlass und gehört damit nicht zu den Dokumenten, die Ruth Gerlach an das Archiv übergeben hatte. Dokumente wie beispielsweise eine Geburtsurkunde oder Fotografien seiner ersten Frau und seiner Tochter sind im Nachlass nicht überliefert.</p><p>Nach der Krise vom Dezember 1925 befand sich das Kind zunächst in der Obhut des Vaters und seiner Tante Lina Niederhäuser (1877–?). Von Februar 1926 an erhielt Ursula an drei Tagen in der Woche jeweils zwei Stunden Privatunterricht einer hierfür angestellten Erzieherin, wie im Zuge eines Vormundschaftsverfahrens festgehalten wurde.<sup>48</sup> Über dessen Ausgang und die genauen Lebensumstände in der Folge ist nichts bekannt. Aus der Patientenakte von Ursula Gerlach geht hervor, dass sie sich seit Dezember 1932 im St. Gertrudisheim in Rosenharz befand.<sup>49</sup> Im Oktober 1937 wurde sie in die Württembergische Heilanstalt Weißenau aufgenommen und dort zunächst im Neubau untergebracht. Die angeborene geistige Behinderung der jungen Frau wurde in der Akte von den behandelnden Ärzten<sup>50</sup> als „Erbkrankheit“ mit Verweis auf die Krankengeschichte ihrer Mutter eingestuft.<sup>51</sup> Ende September 1939 wurde sie „wegen Benötigung ihres Platzes“ in die Frauen-Abteilung E verlegt; der letzte Eintrag in ihrer Akte ist auf den 1. August 1940 datiert, dem 51. Geburtstag ihres Vaters.<sup>52</sup> Es ist davon auszugehen, dass sie an diesem Tag in die Tötungsanstalt Grafeneck gebracht und im Rahmen der sogenannten „Aktion T4“ am gleichen Tag ermordet wurde.<sup>53</sup></p><p>Der Familie seiner ersten Frau war der Tod von Ursula Gerlach und der Todesort Ende 1943 bekannt.<sup>54</sup> Wie und wann Walther Gerlach vom Tod seiner Tochter erfahren hat, ist im Nachlass nicht überliefert, auch nicht, welche Todesursache ihm genannt wurde. Im von Ruth Gerlach übergebenen Nachlass sind jedenfalls keine Dokumente mit direkten Bezügen zur Tochter zu finden. Allerdings findet sich in handschriftlichen Briefen Walther Gerlachs an Ruth Gerlach aus der Zeit von 1940 bis 1944 – ebenfalls Teil einer späteren Nachlieferung – eine Andeutung, die als Nachricht über den Tod der Tochter verstanden werden kann:</p><p>[…] ich fand deinen Brief beim Heimkommen, hatte die Ahnung daß etwas drin stehe und machte ihn noch mit Hut und Mantel auf. […] es ist mir arg, obwohl ich so manchmal es gewünscht habe, nicht mehr an dieses fürchterliche Leben denken zu müssen. Wir haben ja nie drüber gesprochen, und es war gut so, denn jeder wußte vom andern, daß er immer wieder bedrückt daran denkt. […] Ich bin nun der Ansicht, daß man es durch Scanzoni der Mutter mitteilen lassen muß.<sup>55</sup></p><p>Wie Paul-Otto Schmidt-Michel und Thomas Müller in einem Artikel zum Umgang von Angehörigen der Opfer der „Aktion T4“ darlegten, fielen die Reaktionen von Betroffenen sehr unterschiedlich aus: Neben Fällen von Protest war die Angst vor Stigmatisierung der Familie als kranker „Erbträger“ eine sehr verbreitete Reaktion.<sup>56</sup> Es ist daher nicht überraschend, dass in vielen Familien über das Schicksal von Angehörigen sowohl unmittelbar zum Zeitpunkt der Geschehnisse als auch lange über das Ende der Zeit des Nationalsozialismus hinaus geschwiegen wurde. Das erfahrene Trauma blieb für die Familien weiterbestehen.</p><p>Dass zu Gerlachs Familie in dieser Hinsicht eine große Lücke im Nachlass existiert, kann, wie bereits Wilhelm Füßl ausgeführt hat, nur schwerlich als Zufall gewertet werden. Walther Gerlach war durch seine publizistische und wissenschaftshistorische Tätigkeit in der Nachkriegszeit sowohl mit der Arbeit mit Nachlässen als auch mit den Mechanismen öffentlicher Erinnerung vertraut und konnte diese selbstreflexiv auf die eigene Überlieferung übertragen. Dass keine Dokumente an seine erste Ehe und seine Tochter erinnern, ist, so darf vermutet werden, mit großer Wahrscheinlichkeit erwünscht – ob durch Selektion der Überlieferung durch Walther Gerlach selbst oder durch seine zweite Ehefrau Ruth. Diese Facette seiner Biographie sollte privat bleiben und sich zumindest aus der Analyse seiner persönlichen Dokumente nicht erschließen. Mit Blick auf das eingangs geschilderte Erkenntnisinteresse – die Frage nach der Position Gerlachs zur Ideologie und Politik der Nationalsozialisten – müssen sich Biograph:innen jedoch über ein vorgezeichnetes Selbstbild hinwegsetzen und wie im vorliegenden Fall mit Parallelüberlieferungen arbeiten. Gleichzeitig berührt die historische Forschung immer auch den sensiblen Bereich des Persönlichkeitsschutzes sowie die Belange von Angehörigen die über das zur Lebenszeit gültige Recht auf informationelle Selbstbestimmung hinausgehen.</p><p>Noch im Jahr 2015 wurde die Diskussion über die Nutzung psychiatrischer Krankenakten, insbesondere verbunden mit der Namensnennung von Opfern, als Quellen historischer Forschung kontrovers und intensiv geführt, wie Philipp Rauh in einem Beitrag zur Frühjahrestagung 2015 der Fachgruppe der Hochschulen und wissenschaftlichen Institutionen im Verband Deutscher Archivarinnen und Archivare feststellte.<sup>57</sup> 2018 entschloss sich das Bundesarchiv dazu, die Erschließungsdaten mit Namen, Geburts- und Sterbedaten der ermittelbaren Opfer von Krankenmorden in der NS-Zeit zu veröffentlichen.<sup>58</sup> Über die Namensnennung hinaus bleiben jedoch im Zusammenhang mit der Nutzung psychiatrischer Krankenakten für die historische Forschung zwei gesetzliche Anforderungen bestehen: die Einhaltung der Grundsätze des postmortalen Persönlichkeitsschutzes sowie die Wahrung schutzwürdiger Belange Dritter, hier insbesondere der Angehörigen. Sie können mit dem im Grundgesetz verankerten Recht der Wissenschaftsfreiheit kollidieren.<sup>59</sup> Zur Begründung des posthumen Persönlichkeitsschutzes führt die Rechtsprechung mit Verweis auf das Grundgesetz an, dass zur Auslebung der freien Entfaltung der Persönlichkeit zu Lebenszeiten das Vertrauen darauf bestehen müsse, dass „das Bild des Lebens und Wirkens eines Verstorbenen für eine Zeitlang vor unangemessener Verzerrung“ bewahrt wird.<sup>60</sup> Nicht explizit festgelegt ist dabei jedoch die Dauer, auf die sich „eine Zeitlang“ bezieht. Im vielleicht bekanntesten Urteil zum postmortalen Persönlichkeitsschutz, der sogenannten Mephisto-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 24. Februar 1971 (AZ.: 1 BvR 435/68),<sup>61</sup> wurde lediglich festgestellt, dass das Rechtsschutzbedürfnis in dem Maß schwinde, in dem die Erinnerung an den Verstorbenen verblasse und im Laufe der Zeit auch das Interesse an der Nichtverfälschung des Lebensbildes abnehme.<sup>62</sup></p><p>Eine Festlegung zu „Intensität und Dauer der Schutzwirkung“<sup>63</sup> ist pauschal nicht möglich und bedarf einer Einzelfallbetrachtung ebenso wie des Ausgleichs zwischen der Freiheit der Wissenschaft und dem Schutz der Persönlichkeit über den Tod hinaus.</p><p>Im Zusammenhang mit den psychiatrischen Krankenakten wurde als Hemmnis zur deren historischer Auswertung in der Vergangenheit häufig das Argument ins Feld geführt, dass jenseits von gesetzlichen Schutzfristen die schutzwürdigen Belange Dritter, insbesondere der Angehörigen, durch die Veröffentlichung von Daten verletzt sein könnten, da sie sich einer anhaltenden familiären Stigmatisierung ausgesetzt sehen könnten.<sup>64</sup> Wie Philipp Rauh überzeugend ausgeführt hat, bewirkt eine solche Interpretation letztlich nur eine Perpetuierung rassenideologischer Stigmata und widerspricht dem Gedanken der Möglichkeit zur angemessenen Würdigung der Opfer der NS-Diktatur.<sup>65</sup> Auch diesen Bedenken wurde mit der Entscheidung des Bundesarchivs Rechnung getragen, ungeachtet der nach wie vor erforderlichen individuellen und historisch sensiblen Auseinandersetzung mit der Fallgeschichte und den in den Akten enthaltenen medizinischen Daten im Kontext ihrer Zeit.</p><p>Stehen die Normen des postmortalen Persönlichkeitsschutzes sowie die schutzwürdigen Belange von Angehörigen der Offenlegung der in diesem Beitrag ausgewählten Facette der Familiengeschichte von Walther Gerlach entgegen? Dies ist zu verneinen, denn neben dem Erkenntnisinteresse der Forschung entspricht keine der genannten Tatsachen einer Herabwürdigung einzelner Personen oder ihres historischen Ansehens – dies gilt sowohl für Walther als auch für Wilhelmine und Ursula Gerlach. Insbesondere für die Tochter sind die namentliche Nennung sowie das chronologische Nachzeichnen ihres Schicksals eine Möglichkeit, ihre Geschichte als Opfer der Verbrechen der Nationalsozialisten nachzuzeichnen und dem Vergessen – nicht zuletzt auch in den Überlieferungen ihres Vaters – entgegenzuwirken.</p><p>Der Status der Quellen wird nicht nur von dem bestimmt, was da ist, sondern in viel größerem Ausmaß von demjenigen, was nicht da ist. Eine Quelle kann außerdem das sein, was nicht da ist, obwohl es da ist: das Verdrängte, das unter dem Strich Stehende, das aus der Matrix der Überlieferung Ausgeschiedene […].<sup>66</sup></p><p>Die Lücke im Nachlass zur Familiengeschichte Walther Gerlachs zu deuten fällt angesichts des Fehlens überlieferter Motive schwer: War das Löschen eine Form von Verdrängung schmerzhafter Erinnerungen, sowohl hinsichtlich der langjährigen gerichtlichen Auseinandersetzung als auch hinsichtlich der Trauer über den Verlust des eigenen Kindes? War die Selektion Ausdruck für das Fortwirken eines gesellschaftlichen Stigmas, das mit psychischer Erkrankung und geistiger Behinderung von Angehörigen einherging? Kam es zur Fehlstelle aus Scham über die Art und Weise, wie die Begründung zum abschließenden Urteil im Verfahren der Eheanfechtung zustande kam? Oder liegt diese Lücke womöglich begründet im Wunsch nach der Selbstbestimmung über die Erinnerung als Person des öffentlichen Lebens?</p><p>Auch wenn Antworten auf diese Fragen ausbleiben, lässt sich aus der vorangegangen Rekonstruktion eine biographische Facette aufzeigen, zu der sich kaum andere direkte Aussagen in den Quellen finden: Mit Blick auf sein Eheleben erlangte Walther Gerlach durch aus Ideologie abgeleitete Politik und Gesetzgebung der Nationalsozialisten einen persönlichen Vorteil. Zeitgleich jedoch wurde seine Familie Opfer der gleichen rassenideologischen Motive und der daraus folgenden Verbrechen der NS-Diktatur. Darüber hinaus lässt sich aus der skizzierten Rekonstruktion auch ein Appell zur Dekonstruktion der scheinbaren Ordnung des Nachlasses und des Selbstzeugnisses ableiten: Wer den nächsten, aus wissenschaftshistorischer Sicht ohne Zweifel sehr erstrebenswerten Versuch unternehmen wird, eine Biographie Walther Gerlachs zu schreiben und parallel zu ihr wichtige wissenschaftshistorische und wissenschaftspolitische Entwicklungen in Deutschland im 20. Jahrhundert nachzuzeichnen, wird ohne die Arbeit mit Parallelüberlieferungen jenseits des Nachlasses kein treffendes Porträt erzielen. Am vorliegenden ausgewählten und eng eingegrenzten Beispiel zeigt sich, dass trotz seines bedeutenden Umfangs und seiner guten Erschließung der Nachlass Walther Gerlachs auf Lücken und Widersprüche hin quellenkritisch rezipiert werden muss. „Der Naturwissenschaftler […] hat das hohe Recht, frei mit der Überlieferung zu schalten und zu walten, sie zu beachten, sie zu verwerfen“,<sup>67</sup> hatte Gerlach einst unter Berufung auf die Freiheit der Forschung für seine eigene Disziplin gefordert. So fällt die Antwort auf die eingangs gestellte Frage, was „man in 50 Jahren über uns erzählen“ wird und die jeder auch sich selbst stellen kann, unbestimmt aus: womöglich etwas Anderes als das in diesem Augenblick Vorausgedachte.</p>\",\"PeriodicalId\":55388,\"journal\":{\"name\":\"Berichte zur Wissenschaftsgeschichte\",\"volume\":\"46 4\",\"pages\":\"320-335\"},\"PeriodicalIF\":0.6000,\"publicationDate\":\"2023-11-13\",\"publicationTypes\":\"Journal Article\",\"fieldsOfStudy\":null,\"isOpenAccess\":false,\"openAccessPdf\":\"https://onlinelibrary.wiley.com/doi/epdf/10.1002/bewi.202300008\",\"citationCount\":\"0\",\"resultStr\":null,\"platform\":\"Semanticscholar\",\"paperid\":null,\"PeriodicalName\":\"Berichte zur Wissenschaftsgeschichte\",\"FirstCategoryId\":\"98\",\"ListUrlMain\":\"https://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1002/bewi.202300008\",\"RegionNum\":2,\"RegionCategory\":\"哲学\",\"ArticlePicture\":[],\"TitleCN\":null,\"AbstractTextCN\":null,\"PMCID\":null,\"EPubDate\":\"\",\"PubModel\":\"\",\"JCR\":\"Q2\",\"JCRName\":\"HISTORY & PHILOSOPHY OF SCIENCE\",\"Score\":null,\"Total\":0}","platform":"Semanticscholar","paperid":null,"PeriodicalName":"Berichte zur Wissenschaftsgeschichte","FirstCategoryId":"98","ListUrlMain":"https://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1002/bewi.202300008","RegionNum":2,"RegionCategory":"哲学","ArticlePicture":[],"TitleCN":null,"AbstractTextCN":null,"PMCID":null,"EPubDate":"","PubModel":"","JCR":"Q2","JCRName":"HISTORY & PHILOSOPHY OF SCIENCE","Score":null,"Total":0}
Die Lücke als Fund: Über eine Fehlstelle zur Familiengeschichte im Nachlass von Walther Gerlach (1889–1979)**
„Ich muß schließen. Was wird man in 50 Jahren über uns erzählen?“1 So beendete Walther Gerlach (1889–1979) einen im Jahr 1963 für die Physikalischen Blätter verfassten Aufsatz, in dem er eine kurze Chronologie der Physik in München von der Zeit Joseph von Fraunhofers (1787–1826) bis zu den Arbeiten Max von Laues (1879–1960) skizzierte. Die Beschäftigung mit der Geschichte seines eigenen Fachs, der Physik, aber auch dem Leben der vor ihm porträtierten Persönlichkeiten, gab dem 73-jährigen Wissenschaftler Anlass zur Selbstreflexion: Wie er zum damaligen Zeitpunkt für seine Studien, würden andere sich in Zukunft in seine Arbeit historisch vertiefen und hierzu Quellen heranziehen. Wenn nun nicht nach fünfzig, sondern nach sechzig Jahren der vorliegende Beitrag eine Lücke in Nachlass von Walther Gerlach diskutiert, so muss hier an erster Stelle das ausgeprägte Verständnis Gerlachs für die Mechanismen biographischer Überlieferungen und die Entstehung von Erinnerung hervorgehoben werden, das im Eingangszitat exemplarisch zu Ausdruck kommt.
Walther Gerlach gehörte zu den profiliertesten Physikern in Deutschland im 20. Jahrhundert. Das nach dem Physiker Otto Stern (1888–1969) und ihm selbst benannte Experiment (Stern-Gerlach-Experiment) zum Nachweis der Richtungsquantelung des Drehimpulses bei Silberatomen von 1922 zählt zu den kanonischen Versuchen der Quantenmechanik2 und ist auch heute noch unter diesem Namen ein Fixpunkt in der physikalischen Ausbildung an Universitäten weltweit. Während des Zweiten Weltkriegs gelangte Gerlach in die einflussreiche Position des Bevollmächtigten für Physik des Reichsforschungsrats (RFR) mit Beteiligung am deutschen Uranprojekt,3 nach Ende des Krieges und der Internierung in Farm Hall4 führte ihn seine Karriere als Hochschullehrer an der Ludwigs-Maximilians-Universität (LMU) München unter anderem in die Ämter des Rektors der LMU (1948–1951), des Gründungspräsidenten der Fraunhofer-Gesellschaft (1949–1951) und des Vize-Präsidenten der Deutschen Forschungsgemeinschaft (1951–1961).5 In der Nachkriegszeit erlangte Gerlach den Status einer öffentlichen Autorität in wissenschaftlichen und wissenschaftspolitischen Fragen, die Ulrich Herbert treffend mit dem Terminus „public intellectual“ charakterisiert hat.6 Mit Blick auf seine herausragende Position überrascht es daher nicht, dass es in wissenschaftshistorischen Forschungsprojekten bereits mehrfach Ansätze zur Erarbeitung einer Biographie Gerlachs gegeben hat.7 Ungeachtet dieser und weiterer Bemühungen liegt jedoch bis heute keine umfassende Darstellung seines Lebens und Wirkens vor.8
Zu Gerlachs vielseitigen Tätigkeiten gehörte auch die Beschäftigung mit Themen der Geschichte seiner eigenen Disziplin, die er insbesondere nach seiner Emeritierung im Jahr 1957 intensiv verfolgte. Seine Forschungen zu den Arbeiten Johannes Kepler (1571–1630), aus denen mehrere populärwissenschaftliche Bücher und Artikel hervorgingen, führten ihn auch an das Forschungsinstitut des Deutschen Museums – er nutzte die Ressourcen von Bibliothek und Archiv. Dem Museum war Gerlach seit den 1930er Jahren durch verschiedene Ausschuss- und Gremienarbeiten eng verbunden.9 Nach dem Tod Gerlachs übergab seine Witwe Ruth Gerlach (1905–1994) den umfangreichen schriftlichen Nachlass ihres Mannes (rund 40.000 Briefe in 321 Schachteln)10 in mehreren Lieferungen dem Deutschen Museum. Wie der dortige langjährige Archivar Wilhelm Füßl in einem Beitrag für diese Zeitschrift ausgeführt hat, sind Nachlässe trotz ihres oft hohen Quellengehalts als „Reste“ anzusehen, in denen Überlieferungslücken zur Normalität gehören.11 Unter dem Titel „Übrig bleibt, was übrig bleiben soll“ beschrieb Füßl die Möglichkeit, dass die betreffende Person, ihre Angehörigen oder die einliefernde Institution selektiv in die Vorlass- bzw. Nachlassbildung eingreifen und so das Fremdbild für die zukünftige Deutung mitbestimmen. In seinem Beitrag hob Füßl exemplarisch drei Methoden der Nachlassbildung und die daraus entstehenden Probleme ihrer quellenkritischen Interpretation anhand von Fallbeispielen mit Bezug zur Physikgeschichte hervor: durch Aufteilung und Verkauf von Autographen am Beispiel Ernst Machs (1838–1916), durch selbst vorweggenommene Interpretation von Quellen am Beispiel Philipp Lenards (1862–1947) sowie durch Eingriff und Auswahl am Bespiel Walther Gerlachs.12 Die Beschäftigung mit den Konstruktionsleistungen von Archiven und musealen Sammlungen sowie eine kritischen Diskussion des Authentizitätsbegriffs stehen auch im Fokus eines unlängst erschienen Tagungsbands aus dem Leibniz-Forschungsverbund „Historische Authentizität“.13
Im Jahr 2022 wurde an das hundertjährige Jubiläum des Stern-Gerlach-Experiments zum Nachweis der Richtungsquantelung erinnert. Neben einer durch die Deutsche Physikalische Gesellschaft (DPG), den Physikalischen Verein Frankfurt sowie die Universität Frankfurt ausgerichteten Feier in der Frankfurter Paulskirche am 8. Februar 202214 wandten sich im Vorlauf des Jubiläums auch vermehrt Wissenschaftshistoriker:innen der Biographie Gerlachs zu und studierten seinen Nachlass.15 Im Zuge der Vorbereitungen, und bedingt durch die infolge der Pandemie einschränkte Reisefähigkeit, wandte sich im Sommer 2021 ein Kollege mit der Frage an mich, ob im Nachlass Gerlachs ein Hinweis auf das Schicksal seiner ersten Familie vorhanden sei. Erste Suchen im Nachlass nach Dokumenten zur ersten Ehefrau Gerlachs, Wilhelmine Gerlach (geb. Mezger), sowie der gemeinsamen Tochter Ursula Gerlach blieben erfolglos. Offenbar wünschten es Walther Gerlach oder seine zweite Frau Ruth Gerlach nicht, dass die Geschichte seiner ersten Familie als Teil der Überlieferung seines Lebensbilds erhalten blieb. Unklar blieb zunächst auch, welches Motiv dafür einen Anlass gegeben haben könnte. Das Fundstück bildet in diesem Zusammenhang somit nicht eine Quelle aus dem Nachlass, sondern ihre Abwesenheit: Die Lücke als Fund zu behandeln und ihren Ursachen nachzugehen kann einen Beitrag zur Biographik jenseits von Einzelereignissen leisten. Dass diese Fehlstelle indes nachträglich wiederhergestellt werden kann, folgt aus der Tatsache, dass, anders als vielleicht von den Nachlassordnenden erwartet, an anderer Stelle übrig bleibt, was nicht hätte übrig bleiben sollen – andere Archive beheimaten eine Vielzahl komplementärer Quellen. Üblicherweise werden in einem solchen Fall Briefe an Korrespondent:innen aus den jeweiligen Nachlässen herangezogen. Für die vorliegende Fragestellung erwiesen sich hingegen andere Repositorien als zielführend, darunter insbesondere Gerichtsunterlagen zu ehe- und familienrechtlichen Klagen, Standesamts- sowie Patientenakten verwaltende Archive, die in erheblichem Maße Aufschluss über die privaten Verhältnisse der beteiligten Personen geben können.
Vorwegnehmen lässt sich aus dieser Rekonstruktion der Lebensgeschichte der Familie Gerlach, dass es sich um schmerzhafte, vielleicht auch mit Scham behaftete Vorgänge handelt, die in Zusammenhang mit Krankheit, Scheidung und Tod stehen und womöglich deshalb im von der Familie übergebenen Nachlass nicht zu finden sind. Sie stehen im Widerspruch zum Selbstbild des erfolgreichen, überlegenen und unverletzlichen Wissenschaftlers, das andere von Walther Gerlach und dieser auch von sich selbst zeichnete. Sind solche Fakten irrelevant, liegen Zusammenhänge wie diese außerhalb des Erkenntnisinteresses von Wissenschaftshistoriker:innen, wenn sie lediglich Aspekte der privaten Familiengeschichte nachzeichnen und vervollständigen? Eine der wesentlichen und wiederkehrenden Forschungsfragen in verschiedenen wissenschaftshistorischen Arbeiten zu Walther Gerlach ist jedenfalls sein Verhältnis zu Politik und Ideologie der Nationalsozialisten. In seinem jüngsten Buch hat sich auch Ulrich Herbert in einem Kapitel mit dem Titel „Der deutsche Professor im Dritten Reich“ dieser Frage gewidmet und kennzeichnet Gerlach nicht als Ideologen, sondern als national-patriotisch gesinnten „loyale[n] Bürger des Dritten Reiches“.16
Mit Blick auf seine Lebensgeschichte werden im vorliegenden Beitrag die bisherigen Darstellungen von Gerlachs Verhältnis zum nationalsozialistischen Staat um einen weiteren, persönlichen Aspekt ergänzt, den er selbst (oder seine zweite Frau) aus dem Nachlass tilgte: Walther Gerlach war gleichzeitig Profiteur und Angehöriger eines Opfers der nationalsozialistischen Rassenhygiene und der daraus abgeleiteten Gesetze und Verbrechen. Erst das nationalsozialistische Eherecht von 1938 ermöglichte ihm die Scheidung von seiner ersten Frau und kurz darauf die Wiederheirat mit seiner langjährigen Partnerin Ruth Probst. Die gleichen ideologischen Gesetzesgrundlagen führten jedoch auch zur Legitimierung der Vernichtungspolitik der Nationalsozialisten und zur Durchführung von Krankenmorden, in deren Zuge im Rahmen der sogenannten „Aktion T4“ Gerlachs einzige Tochter Ursula im Jahr 1940 getötet wurde.
In den folgenden Abschnitten werden zunächst die nicht mehr vorhandenen Informationen zur Biographie von Wilhelmine und Ursula Gerlach anhand von Dokumenten außerhalb des Nachlasses nachgezeichnet und auf diese Weise an ihr Leben erinnert. Die Beschäftigung mit den persönlichen und sensiblen Informationen berührt die Beschäftigung mit allgemeinen Fragen zum postmortalen Persönlichkeitsschutz, der für die genannten Personen gewahrt bleibt. Abschließend erfolgt eine Einordnung, wie mit den bislang fragmentarischen neuen Erkenntnissen in zukünftigen biographischen Projekten verfahren werden kann. Die folgenden Rekonstruktionen der Lücken sollen Anlass geben, an die Notwendigkeit zur Dekonstruktion von vorgegebenen Ordnungslogiken in Nachlässen und den damit verbundenen Selbstzeugnissen zu erinnern.
Eine erste Annäherung an den Nicht-Fund von Daten im Nachlass zur ersten Ehefrau Wilhelmine Gerlach (geb. Mezger) sowie der gemeinsamen Tochter Ursula Gerlach führt zu den Standesamtsakten im Stadtarchiv München. Personenstandsdaten gehören allgemein zu den besonders geschützten Informationen. Für die Eheleute Ruth Probst und Walther Gerlach wurde anlässlich ihrer Heirat eine Eheaufgebotsakte angelegt.18 Nach dieser Quelle wurde zunächst die erste Ehe von Walther Gerlach mit Wilhelmine Gerlach rechtskräftig zum 9. März 1939 wegen „Geisteskrankheit der Frau“19 aufgehoben, was Ruth Probst und Walther Gerlach unter Verkürzung der Aufgebotszeit die Hochzeit im darauffolgenden Monat ermöglichte. Die Standesamtsakte enthält Hinweise auf einen in Tübingen begonnenen und fast zwölf Jahre andauernder Rechtsstreit zwischen den Eheleuten, in dem Walther Gerlach die Aufhebung der Ehe anstrebte, ohne dass sich jedoch aus den Unterlagen ein klares Bild über die Ursachen und Zusammenhänge ergibt. Die Ehezeugen der ersten im Jahr 1917 in Stuttgart geschlossenen Ehe waren die Schwester der Braut sowie der jüngere Bruder des Bräutigams, Werner Gerlach (1891–1963).20
Die Aufhebung der ersten Ehe erfolgte nach § 37 des erst im Juli 1938 novellierten Ehegesetzes durch das Oberlandesgericht München, wobei das Urteil nicht überliefert ist.21 In dem mit „Irrtum über die Umstände, die die Person des anderen Ehegatten betreffen“ überschriebenen Abschnitt des Gesetzestextes stand:
(1) Ein Ehegatte kann Aufhebung der Ehe begehren, wenn er sich bei der Eheschließung über solche die Person des anderen Ehegatten betreffende Umstände geirrt hat, die ihn bei Kenntnis der Sachlage und bei richtiger Würdigung des Wesens der Ehe von der Eingehung der Ehe abgehalten hätten.22
Aus dem Inhalt des Gesetzestextes allein erschließt sich nicht, worauf Walther Gerlach seine Klage hätte begründen können. Tatsächlich wurde die Klage in nächsthöherer Instanz vor dem Reichsgericht in Zivilsachen entschieden: 23 Der Kläger machte geltend, dass es sich bei der 1925 eingetretenen Erkrankung seiner Frau – mutmaßlich eine Schizophrenie – um „eine Erbkrankheit im Sinne des Gesetzes vom 14. Juli 1933 gehandelt habe“.24
Auf Grundlage dieser Argumentation urteilte das Gericht zu Gerlachs Gunsten und entgegen früherer Entscheidungen anderer Gerichte, die den Irrtum zum Zeitpunkt der Eheschließung aufgrund des Vorliegens einer späteren, akuten Erkrankung nicht anerkannten.
Die Gerichtsakten25 der ersten abgewiesenen Klage Gerlachs am Landgericht Tübingen zur Aufhebung der Ehe geben Aufschluss über die Ursachen des Zerwürfnisses: Von 1925 an war Gerlach Professor in Tübingen, wo er die Nachfolge seines Doktorvaters Friedrich Paschen (1865–1947) übernahm.26 Im Winter 1925 kam es zu einer schweren Krise, in deren Folge Wilhelmine Gerlach Anfang Dezember versuchte, sich selbst und ihrer von Geburt an geistig behinderten Tochter Ursula in der gemeinsamen Wohnung durch Leuchtgas das Leben zu nehmen.27 Anschließend verbrachte die Ehefrau mehrere Monate in einer Heilanstalt; das Kind verblieb in der Obhut der Familie des Vaters.28 Im Jahr 1927 wurde bei Wilhelmine Gerlach eine schizophrene Erkrankung diagnostiziert, für die jedoch eine „Anlage“ zum Zeitpunkt der Hochzeit nicht feststellbar gewesen sei.29 Folglich wurde Gerlachs erste Klage zur Anfechtung der Ehe nach § 1333 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) im Juni 1927 abgewiesen, und auch weitere Versuche im Anschluss an Gerlachs Berufung nach München im Jahr 1929 scheiterten.30 Erst die Einordnung des Komplexes von Krankheitsbildern unter dem Sammelbegriff Schizophrenie als Erbkrankheit in der Ideologie der Nationalsozialisten ermöglichte es ihm schließlich, eine Aufhebung der Ehe zu erwirken.
Für Gerlach bedeutete der Abschluss des Verfahrens auch einen Neustart in ein Leben nach den damals gesellschaftlich anerkannten Regeln und Normen. Durch die Aufhebung der ersten war nun der Weg für eine zweite Ehe, die Ehe mit Ruth Probst, frei geworden. Probst und Gerlach waren seit 1926 ein Paar und lebten unverheiratet zusammen. Dieser Umstand wurde in einer Anzeige gegen Gerlach zum Anlass genommen, seine Position als Hochschullehrer als moralisches Vorbild in Frage zu stellen.31 In dem gegen ihn geführten Verfahren wurden verschiedene Stellungnahmen von Kollegen eingeholt, die seine besonderen Lebensumstände würdigten und Gerlach gegen die Angriffe verteidigten. So schrieb der Physiker und Kollege aus Gerlachs Frankfurter Zeit Erwin Madelung (1881–1972): „Dass er sich auf seine Weise den Schatten der Erfüllung seiner Sehnsucht nach häuslichem Glück verschafft hat, darf nur der verurteilen, der eine ähnliche Notlage erlebt hat und sie besser zu meistern wusste.“32 Der Jenaer Physikprofessor Max Wien (1866–1938) zeichnete in seiner Beurteilung die zukünftige Entwicklung bereits voraus: „Es ist zu hoffen, dass unter dem Einfluss der neuen staatlichen Auffassung der Eugenik die Ehe mit seiner erblich belasteten Frau getrennt werden kann und G. so aus seiner misslichen Lage befreit wird.“33
Für seine Klagen ließ Walther Gerlach sich in den 1930er Jahren unter anderem durch den Rechtsanwalt Gustav von Scanzoni (1885–1977) vertreten.34 Scanzoni verfasste später einen ausführlichen Kommentar zum Ehegesetz von 1938, der in mehreren Auflagen erschien.35 Unbelegt bleibt, ob, wie in Beschwerdeschriften der Familie Wilhelmine Gerlachs angegeben, auch Gutachten des Psychiaters und Rassenhygienikers Hans Luxenburger (1894–1976) sowie des Neurologen Oswald Bumke (1877–1950) im Verfahren eingeholt wurden.36 Bumke war Nachfolger des Psychiaters Emil Kraepelin (1856–1926) an der Münchner Universität und langjähriger Leiter der Münchner Nervenklinik.37 Einer seiner beiden Brüder, der Jurist Erwin Bumke (1874–1945), war von 1929 an bis zu seinem Selbstmord am 20. April 1945 Präsident des Reichsgerichts. In den Jahren 1928 und 1929 übte Oswald Bumke das Amt des Rektors der LMU aus; zu dieser Zeit wurde Walther Gerlach nach München berufen. Auch Bumke kommentierte das Ehegesetz von 1938 aus psychiatrischer Erfahrung in einem Ergänzungsband zum Handbuch der Geisteskrankheiten.38 Darin sprach er sich unter anderem für die Sterilisation schizophren erkrankter Menschen aus, obwohl er zeitgleich das zwingende Vorliegen einer Erbanlage für das Krankheitsbild infrage stellte.39
Zwei Jahre nach dem Tod Bumkes veröffentlichte der Verlag Richard Pflaum in München einen Band mit Lebenserinnerungen und Schriften,40 der seine öffentliche Erinnerung prägen sollte und als Beitrag zur Rehabilitierung quellenkritisch rezipiert werden muss.41 Das umfangreiche dreißigseitige Vorwort als „Würdigung seiner Persönlichkeit“ zu diesem Band trug Walther Gerlach bei. Darin beschäftigte sich Gerlach einleitend mit der Rolle und Stellung der vorliegenden Erinnerungen als Quellen und leitete aus der Tatsache ihrer posthumen Veröffentlichung ab, dass dadurch die Gefahr der nachträglichen Veränderung des Berichts von Erfahrungen und Erlebnissen ausgeschlossen sei.42 Seinen Beitrag für den Band schrieb Gerlach „als Kollege, der seit seinem Antrittsbesuch im Sommer 1929 ihm [Bumke] verbunden war und dem Menschen und Berater für Anregung und Hilfe zu unauslöschlicher Dankbarkeit verpflichtet ist“.43 Die Frage, ob Bumke Gerlach auch in persönlichen Fragen beriet, ist weder durch Dokumente aus dem Nachlass noch durch das Vorwort zu klären. Dass sich die beiden Kollegen menschlich nahestanden, wird von Gerlach jedoch angedeutet: „Menschen dieser Art haben wenig Freunde, […] aber sie sind es, zu denen man in ernster Not geht, denen man sich […] mehr als den Freunden rückhaltlos und hoffnungsheischend anvertraut.“44
Festzustellen bleibt, dass die Durchdringung der eugenischen Ideologie der Nationalsozialisten, die ihren Ausdruck unter anderem im Ehegesetz vom 6. Juli 1938 fand, es Walther Gerlach in den gesellschaftlichen, akademischen und juristischen Wirkungsräumen ermöglichte, persönlich von der politischen Entwicklung im Deutschen Reich für seine weitere Lebensplanung zu profitieren. Mit nur geringem zeitlichen Abstand führte die Verfolgung der gleichen ideologischen Interessen und Überzeugungen aber auch zur Legitimierung von Verbrechen gegen kranke Menschen, denen auch das einziges Kind Walther Gerlachs und seiner ersten Ehefrau Wilhelmine zum Opfer fiel.
Im Juli 2018 veröffentlichte das Bundesarchiv nach langjähriger rechtlicher Abwägung die Namenslisten der rund 30.000 Krankenakten von Opfern der NS-„Euthanasie“,45 in der die Geburts- und Sterbedaten angegeben sind. Dabei handelt es sich nur um einen Teil der rund 200.000 Opfer aus psychiatrischen Einrichtungen des Dritten Reichs; für die meisten von ihnen sind keine Akten erhalten. Auch wenn im Nachlass Gerlachs fast jede Spur der Tochter fehlt, so ist ihr Schicksal durch eine Patientenakte im Bestand des Bundesarchivs belegt, in der Aufenthalte in verschiedenen Heilanstalten bis zu ihrer Ermordung in einer Tötungsanstalt vermerkt sind.46
Ursula Gerlach wurde am 1. Dezember 1918 in Stuttgart geboren. Seit der Geburt war das Kind in seiner geistigen Entwicklung beeinträchtigt und auf Pflege angewiesen. Im Alter von drei Jahren konnte Ursula noch nicht richtig sprechen, wie Walther Gerlach am Rande eines Berichtes über seinen wissenschaftlichen Durchbruch zum Stern-Gerlach-Experiment in einem Brief von November 1921 bemerkte: „Urselkind macht nun recht schöne Fortschritte. Sie spricht viel, zwar immer noch gänzlich chinesisch, aber es müssen alles gute Witze sein, denn sie lacht schrecklich darüber!“47 Diese Textstelle, in der Gerlach über seine Tochter schreibt, stammt aus einer Nachlieferung zum Nachlass und gehört damit nicht zu den Dokumenten, die Ruth Gerlach an das Archiv übergeben hatte. Dokumente wie beispielsweise eine Geburtsurkunde oder Fotografien seiner ersten Frau und seiner Tochter sind im Nachlass nicht überliefert.
Nach der Krise vom Dezember 1925 befand sich das Kind zunächst in der Obhut des Vaters und seiner Tante Lina Niederhäuser (1877–?). Von Februar 1926 an erhielt Ursula an drei Tagen in der Woche jeweils zwei Stunden Privatunterricht einer hierfür angestellten Erzieherin, wie im Zuge eines Vormundschaftsverfahrens festgehalten wurde.48 Über dessen Ausgang und die genauen Lebensumstände in der Folge ist nichts bekannt. Aus der Patientenakte von Ursula Gerlach geht hervor, dass sie sich seit Dezember 1932 im St. Gertrudisheim in Rosenharz befand.49 Im Oktober 1937 wurde sie in die Württembergische Heilanstalt Weißenau aufgenommen und dort zunächst im Neubau untergebracht. Die angeborene geistige Behinderung der jungen Frau wurde in der Akte von den behandelnden Ärzten50 als „Erbkrankheit“ mit Verweis auf die Krankengeschichte ihrer Mutter eingestuft.51 Ende September 1939 wurde sie „wegen Benötigung ihres Platzes“ in die Frauen-Abteilung E verlegt; der letzte Eintrag in ihrer Akte ist auf den 1. August 1940 datiert, dem 51. Geburtstag ihres Vaters.52 Es ist davon auszugehen, dass sie an diesem Tag in die Tötungsanstalt Grafeneck gebracht und im Rahmen der sogenannten „Aktion T4“ am gleichen Tag ermordet wurde.53
Der Familie seiner ersten Frau war der Tod von Ursula Gerlach und der Todesort Ende 1943 bekannt.54 Wie und wann Walther Gerlach vom Tod seiner Tochter erfahren hat, ist im Nachlass nicht überliefert, auch nicht, welche Todesursache ihm genannt wurde. Im von Ruth Gerlach übergebenen Nachlass sind jedenfalls keine Dokumente mit direkten Bezügen zur Tochter zu finden. Allerdings findet sich in handschriftlichen Briefen Walther Gerlachs an Ruth Gerlach aus der Zeit von 1940 bis 1944 – ebenfalls Teil einer späteren Nachlieferung – eine Andeutung, die als Nachricht über den Tod der Tochter verstanden werden kann:
[…] ich fand deinen Brief beim Heimkommen, hatte die Ahnung daß etwas drin stehe und machte ihn noch mit Hut und Mantel auf. […] es ist mir arg, obwohl ich so manchmal es gewünscht habe, nicht mehr an dieses fürchterliche Leben denken zu müssen. Wir haben ja nie drüber gesprochen, und es war gut so, denn jeder wußte vom andern, daß er immer wieder bedrückt daran denkt. […] Ich bin nun der Ansicht, daß man es durch Scanzoni der Mutter mitteilen lassen muß.55
Wie Paul-Otto Schmidt-Michel und Thomas Müller in einem Artikel zum Umgang von Angehörigen der Opfer der „Aktion T4“ darlegten, fielen die Reaktionen von Betroffenen sehr unterschiedlich aus: Neben Fällen von Protest war die Angst vor Stigmatisierung der Familie als kranker „Erbträger“ eine sehr verbreitete Reaktion.56 Es ist daher nicht überraschend, dass in vielen Familien über das Schicksal von Angehörigen sowohl unmittelbar zum Zeitpunkt der Geschehnisse als auch lange über das Ende der Zeit des Nationalsozialismus hinaus geschwiegen wurde. Das erfahrene Trauma blieb für die Familien weiterbestehen.
Dass zu Gerlachs Familie in dieser Hinsicht eine große Lücke im Nachlass existiert, kann, wie bereits Wilhelm Füßl ausgeführt hat, nur schwerlich als Zufall gewertet werden. Walther Gerlach war durch seine publizistische und wissenschaftshistorische Tätigkeit in der Nachkriegszeit sowohl mit der Arbeit mit Nachlässen als auch mit den Mechanismen öffentlicher Erinnerung vertraut und konnte diese selbstreflexiv auf die eigene Überlieferung übertragen. Dass keine Dokumente an seine erste Ehe und seine Tochter erinnern, ist, so darf vermutet werden, mit großer Wahrscheinlichkeit erwünscht – ob durch Selektion der Überlieferung durch Walther Gerlach selbst oder durch seine zweite Ehefrau Ruth. Diese Facette seiner Biographie sollte privat bleiben und sich zumindest aus der Analyse seiner persönlichen Dokumente nicht erschließen. Mit Blick auf das eingangs geschilderte Erkenntnisinteresse – die Frage nach der Position Gerlachs zur Ideologie und Politik der Nationalsozialisten – müssen sich Biograph:innen jedoch über ein vorgezeichnetes Selbstbild hinwegsetzen und wie im vorliegenden Fall mit Parallelüberlieferungen arbeiten. Gleichzeitig berührt die historische Forschung immer auch den sensiblen Bereich des Persönlichkeitsschutzes sowie die Belange von Angehörigen die über das zur Lebenszeit gültige Recht auf informationelle Selbstbestimmung hinausgehen.
Noch im Jahr 2015 wurde die Diskussion über die Nutzung psychiatrischer Krankenakten, insbesondere verbunden mit der Namensnennung von Opfern, als Quellen historischer Forschung kontrovers und intensiv geführt, wie Philipp Rauh in einem Beitrag zur Frühjahrestagung 2015 der Fachgruppe der Hochschulen und wissenschaftlichen Institutionen im Verband Deutscher Archivarinnen und Archivare feststellte.57 2018 entschloss sich das Bundesarchiv dazu, die Erschließungsdaten mit Namen, Geburts- und Sterbedaten der ermittelbaren Opfer von Krankenmorden in der NS-Zeit zu veröffentlichen.58 Über die Namensnennung hinaus bleiben jedoch im Zusammenhang mit der Nutzung psychiatrischer Krankenakten für die historische Forschung zwei gesetzliche Anforderungen bestehen: die Einhaltung der Grundsätze des postmortalen Persönlichkeitsschutzes sowie die Wahrung schutzwürdiger Belange Dritter, hier insbesondere der Angehörigen. Sie können mit dem im Grundgesetz verankerten Recht der Wissenschaftsfreiheit kollidieren.59 Zur Begründung des posthumen Persönlichkeitsschutzes führt die Rechtsprechung mit Verweis auf das Grundgesetz an, dass zur Auslebung der freien Entfaltung der Persönlichkeit zu Lebenszeiten das Vertrauen darauf bestehen müsse, dass „das Bild des Lebens und Wirkens eines Verstorbenen für eine Zeitlang vor unangemessener Verzerrung“ bewahrt wird.60 Nicht explizit festgelegt ist dabei jedoch die Dauer, auf die sich „eine Zeitlang“ bezieht. Im vielleicht bekanntesten Urteil zum postmortalen Persönlichkeitsschutz, der sogenannten Mephisto-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 24. Februar 1971 (AZ.: 1 BvR 435/68),61 wurde lediglich festgestellt, dass das Rechtsschutzbedürfnis in dem Maß schwinde, in dem die Erinnerung an den Verstorbenen verblasse und im Laufe der Zeit auch das Interesse an der Nichtverfälschung des Lebensbildes abnehme.62
Eine Festlegung zu „Intensität und Dauer der Schutzwirkung“63 ist pauschal nicht möglich und bedarf einer Einzelfallbetrachtung ebenso wie des Ausgleichs zwischen der Freiheit der Wissenschaft und dem Schutz der Persönlichkeit über den Tod hinaus.
Im Zusammenhang mit den psychiatrischen Krankenakten wurde als Hemmnis zur deren historischer Auswertung in der Vergangenheit häufig das Argument ins Feld geführt, dass jenseits von gesetzlichen Schutzfristen die schutzwürdigen Belange Dritter, insbesondere der Angehörigen, durch die Veröffentlichung von Daten verletzt sein könnten, da sie sich einer anhaltenden familiären Stigmatisierung ausgesetzt sehen könnten.64 Wie Philipp Rauh überzeugend ausgeführt hat, bewirkt eine solche Interpretation letztlich nur eine Perpetuierung rassenideologischer Stigmata und widerspricht dem Gedanken der Möglichkeit zur angemessenen Würdigung der Opfer der NS-Diktatur.65 Auch diesen Bedenken wurde mit der Entscheidung des Bundesarchivs Rechnung getragen, ungeachtet der nach wie vor erforderlichen individuellen und historisch sensiblen Auseinandersetzung mit der Fallgeschichte und den in den Akten enthaltenen medizinischen Daten im Kontext ihrer Zeit.
Stehen die Normen des postmortalen Persönlichkeitsschutzes sowie die schutzwürdigen Belange von Angehörigen der Offenlegung der in diesem Beitrag ausgewählten Facette der Familiengeschichte von Walther Gerlach entgegen? Dies ist zu verneinen, denn neben dem Erkenntnisinteresse der Forschung entspricht keine der genannten Tatsachen einer Herabwürdigung einzelner Personen oder ihres historischen Ansehens – dies gilt sowohl für Walther als auch für Wilhelmine und Ursula Gerlach. Insbesondere für die Tochter sind die namentliche Nennung sowie das chronologische Nachzeichnen ihres Schicksals eine Möglichkeit, ihre Geschichte als Opfer der Verbrechen der Nationalsozialisten nachzuzeichnen und dem Vergessen – nicht zuletzt auch in den Überlieferungen ihres Vaters – entgegenzuwirken.
Der Status der Quellen wird nicht nur von dem bestimmt, was da ist, sondern in viel größerem Ausmaß von demjenigen, was nicht da ist. Eine Quelle kann außerdem das sein, was nicht da ist, obwohl es da ist: das Verdrängte, das unter dem Strich Stehende, das aus der Matrix der Überlieferung Ausgeschiedene […].66
Die Lücke im Nachlass zur Familiengeschichte Walther Gerlachs zu deuten fällt angesichts des Fehlens überlieferter Motive schwer: War das Löschen eine Form von Verdrängung schmerzhafter Erinnerungen, sowohl hinsichtlich der langjährigen gerichtlichen Auseinandersetzung als auch hinsichtlich der Trauer über den Verlust des eigenen Kindes? War die Selektion Ausdruck für das Fortwirken eines gesellschaftlichen Stigmas, das mit psychischer Erkrankung und geistiger Behinderung von Angehörigen einherging? Kam es zur Fehlstelle aus Scham über die Art und Weise, wie die Begründung zum abschließenden Urteil im Verfahren der Eheanfechtung zustande kam? Oder liegt diese Lücke womöglich begründet im Wunsch nach der Selbstbestimmung über die Erinnerung als Person des öffentlichen Lebens?
Auch wenn Antworten auf diese Fragen ausbleiben, lässt sich aus der vorangegangen Rekonstruktion eine biographische Facette aufzeigen, zu der sich kaum andere direkte Aussagen in den Quellen finden: Mit Blick auf sein Eheleben erlangte Walther Gerlach durch aus Ideologie abgeleitete Politik und Gesetzgebung der Nationalsozialisten einen persönlichen Vorteil. Zeitgleich jedoch wurde seine Familie Opfer der gleichen rassenideologischen Motive und der daraus folgenden Verbrechen der NS-Diktatur. Darüber hinaus lässt sich aus der skizzierten Rekonstruktion auch ein Appell zur Dekonstruktion der scheinbaren Ordnung des Nachlasses und des Selbstzeugnisses ableiten: Wer den nächsten, aus wissenschaftshistorischer Sicht ohne Zweifel sehr erstrebenswerten Versuch unternehmen wird, eine Biographie Walther Gerlachs zu schreiben und parallel zu ihr wichtige wissenschaftshistorische und wissenschaftspolitische Entwicklungen in Deutschland im 20. Jahrhundert nachzuzeichnen, wird ohne die Arbeit mit Parallelüberlieferungen jenseits des Nachlasses kein treffendes Porträt erzielen. Am vorliegenden ausgewählten und eng eingegrenzten Beispiel zeigt sich, dass trotz seines bedeutenden Umfangs und seiner guten Erschließung der Nachlass Walther Gerlachs auf Lücken und Widersprüche hin quellenkritisch rezipiert werden muss. „Der Naturwissenschaftler […] hat das hohe Recht, frei mit der Überlieferung zu schalten und zu walten, sie zu beachten, sie zu verwerfen“,67 hatte Gerlach einst unter Berufung auf die Freiheit der Forschung für seine eigene Disziplin gefordert. So fällt die Antwort auf die eingangs gestellte Frage, was „man in 50 Jahren über uns erzählen“ wird und die jeder auch sich selbst stellen kann, unbestimmt aus: womöglich etwas Anderes als das in diesem Augenblick Vorausgedachte.
期刊介绍:
Die Geschichte der Wissenschaften ist in erster Linie eine Geschichte der Ideen und Entdeckungen, oft genug aber auch der Moden, Irrtümer und Missverständnisse. Sie hängt eng mit der Entwicklung kultureller und zivilisatorischer Leistungen zusammen und bleibt von der politischen Geschichte keineswegs unberührt.