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Abstract
Auf den ersten Blick scheint das Thema nicht viel mit der Normentheorie zu tun zu haben. Schließlich wird etwa die Frage, ob und inwieweit juristische Personen bestraft werden können, bislang nicht im Kontext der Unterscheidung von primären Verhaltensund sekundären Sanktionsnormen diskutiert. Ein Bezug ergibt sich aus dem Begriff der „Zurechnung“. Denn alle Normen richten sich an Personen, d.h. Subjekte, deren „Handlungen einer Zurechnung fähig sind“.1 Der hierbei angesprochene Begriff der Zurechnung, wie er in einer bis auf Aristoteles zurückreichenden Tradition in der praktischen Philosophie der Aufklärung ausgearbeitet wurde,2 ist streng zu unterscheiden von der heute in der Strafrechtsdogmatik üblichen Verwendung dieses Ausdrucks. So bezeichnet die sog. „objektive Zurechnung“ die Verwirklichung eines unerlaubten Risikos in einem rechtlich missbilligten Erfolg und beschreibt damit nichts anderes als einen unerwünschten Geschehensablauf, in den ein Mensch als potentieller Täter involviert ist, und der daher grundsätzlich Gegenstand von Verhaltensnormen sein kann. Aber die „objektive Zurechnung“ sagt nach ihrem Selbstverständnis nichts darüber aus, ob der Normadressat diesen Geschehensablauf auch hätte vermeiden können, denn das Schuldurteil kommt ja erst nach der Feststellung der Rechtswidrigkeit. Davon abgesehen knüpft sie an ein Verständnis von Kausalität als Äquivalenz aller Bedingungen an, welches etwa die Geburt eines Kindes zugleich als Verursachung seines Todes ansieht, so dass man sich fragen kann, ob es sich überhaupt um einen sinnvollen Begriff handelt.3 I.