{"title":"3 Ein neues Pennsylvania. Die Quäkerspeisung in Deutschland 1919–1923","authors":"","doi":"10.1515/9783110675788-005","DOIUrl":null,"url":null,"abstract":"Im November 1919 waren sich die Mitglieder des AFSC sicher: Es war eine erhabene Aufgabe und ein Werk von geschichtlichem Ausmaß, das die Quäker am Ausgangspunkt ihrer Speisungsaktion für hungernde deutsche Kinder erwartete: Ein neues Deutschland bauen zu helfen, ein Deutschland, welches das alte „Evangelium von Blut und Eisen“ (the gospel of blood and iron) hinter sich ließ, sei, so hieß es in einem Memorandum, in seiner Tragweite allenfalls mit den Pionierleistungen der Gründungsväter zu vergleichen. „By word and deed“ das Überleben der neuen Generation in Deutschland zu sichern und Einfluss auf die deutsche Gesellschaft „at its most impressionable period“ auszuüben, sei eine Gelegenheit, die der Gründung Pennsylvanias gleichkomme.1 Rund drei Jahre später konnten sich die Helferinnen und Helfer des AFSC bestätigt fühlen, als sie im Reichsernährungsministerium in Berlin den Danksagungen lauschten, welche die deutsche Regierung und der Reichspräsident Friedrich Ebert ihnen durch einen Vertreter übermitteln ließen. Die Arbeit der Quäker „for the world and especially for Germany“, so hob der Geheime Staatsrat Bose an, sei ein „monument in history of all peoples“. Die Botschaft der Freundschaft und des guten Willens, von welchem es getragen worden sei, „can never be lost“. Viele weitere stimmten zur selben Zeit in den Chor ein: Worte der Dankbarkeit erreichten die „lieben Quäker aus dem fernen Amerika“ aus den Behörden, von Vertretern der Ärzteund der Lehrerschaft, von Kirchenvertretern, den Repräsentanten der politischen Parteien sowie nicht zuletzt von Tausenden von Kindern aus allen Teilen Deutschlands, die in den Genuss der „Quäkerspeisung“ gekommen waren. Zu diesem Zeitpunkt, an dem das amerikanische Kinderspeisungsprogramm für Deutschland seinem Ende zuging, blickte man von Philadelphia aus auf Jahre zurück, in denen das AFSC an der Spitze einer der bis dato größten Hilfsaktionen aller Zeiten gestanden hatte. Von Januar 1920 bis in den Sommer 1922 hatten dessen Vertreter die Aufsicht über die tägliche Verteilung von warmen Mahlzeiten an bis zu eine Million Kinder im ganzen Deutschen Reich innegehabt. Durch die Quäkerspeisung wurde das AFSC zum Gesicht einer US-amerikanischen Hilfsaktion, die Sieger und Besiegte des Ersten Weltkriegs miteinander in Verbindung","PeriodicalId":246013,"journal":{"name":"The Politics of Service","volume":"103 1","pages":"0"},"PeriodicalIF":0.0000,"publicationDate":"2021-11-22","publicationTypes":"Journal Article","fieldsOfStudy":null,"isOpenAccess":false,"openAccessPdf":"","citationCount":"0","resultStr":null,"platform":"Semanticscholar","paperid":null,"PeriodicalName":"The Politics of Service","FirstCategoryId":"1085","ListUrlMain":"https://doi.org/10.1515/9783110675788-005","RegionNum":0,"RegionCategory":null,"ArticlePicture":[],"TitleCN":null,"AbstractTextCN":null,"PMCID":null,"EPubDate":"","PubModel":"","JCR":"","JCRName":"","Score":null,"Total":0}
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Abstract
Im November 1919 waren sich die Mitglieder des AFSC sicher: Es war eine erhabene Aufgabe und ein Werk von geschichtlichem Ausmaß, das die Quäker am Ausgangspunkt ihrer Speisungsaktion für hungernde deutsche Kinder erwartete: Ein neues Deutschland bauen zu helfen, ein Deutschland, welches das alte „Evangelium von Blut und Eisen“ (the gospel of blood and iron) hinter sich ließ, sei, so hieß es in einem Memorandum, in seiner Tragweite allenfalls mit den Pionierleistungen der Gründungsväter zu vergleichen. „By word and deed“ das Überleben der neuen Generation in Deutschland zu sichern und Einfluss auf die deutsche Gesellschaft „at its most impressionable period“ auszuüben, sei eine Gelegenheit, die der Gründung Pennsylvanias gleichkomme.1 Rund drei Jahre später konnten sich die Helferinnen und Helfer des AFSC bestätigt fühlen, als sie im Reichsernährungsministerium in Berlin den Danksagungen lauschten, welche die deutsche Regierung und der Reichspräsident Friedrich Ebert ihnen durch einen Vertreter übermitteln ließen. Die Arbeit der Quäker „for the world and especially for Germany“, so hob der Geheime Staatsrat Bose an, sei ein „monument in history of all peoples“. Die Botschaft der Freundschaft und des guten Willens, von welchem es getragen worden sei, „can never be lost“. Viele weitere stimmten zur selben Zeit in den Chor ein: Worte der Dankbarkeit erreichten die „lieben Quäker aus dem fernen Amerika“ aus den Behörden, von Vertretern der Ärzteund der Lehrerschaft, von Kirchenvertretern, den Repräsentanten der politischen Parteien sowie nicht zuletzt von Tausenden von Kindern aus allen Teilen Deutschlands, die in den Genuss der „Quäkerspeisung“ gekommen waren. Zu diesem Zeitpunkt, an dem das amerikanische Kinderspeisungsprogramm für Deutschland seinem Ende zuging, blickte man von Philadelphia aus auf Jahre zurück, in denen das AFSC an der Spitze einer der bis dato größten Hilfsaktionen aller Zeiten gestanden hatte. Von Januar 1920 bis in den Sommer 1922 hatten dessen Vertreter die Aufsicht über die tägliche Verteilung von warmen Mahlzeiten an bis zu eine Million Kinder im ganzen Deutschen Reich innegehabt. Durch die Quäkerspeisung wurde das AFSC zum Gesicht einer US-amerikanischen Hilfsaktion, die Sieger und Besiegte des Ersten Weltkriegs miteinander in Verbindung