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Abstract
Seit dem Jahr 2015 erreichen hunderttausende Flüchtende vorwiegend aus den Kriegs- und Krisengebieten in Syrien, Afghanistan und Eritrea den deutschsprachigen Raum Europas. Das gesellschaftliche Thema hielt neben der Politik und den Medien auch Einzug in der deutschsprachigen Kinder- und Jugendliteratur mit dem Ziel, das Bewusstsein und Verständnis für geflüchtete Menschen und damit eine inklusive Gesellschaft zu fördern.
Romane, in denen Jugendliche sich auf der Flucht befinden und ihren Weg nach Europa suchen, lassen sich in der Tradition bürgerlicher Abenteuer- und Reiseromane lesen. Zentral ist hierbei allerdings der Perspektivenwechsel von westlichen Abenteurern, die exotische Welten erobern, hin zu jugendlichen Abenteuerheld*innen aus (ehemals) kolonialisierten Gebieten, die sich aktiv den Raum, in dem sie sich bewegen, aneignen und ihn neu definieren. Dadurch wird den flüchtenden Protagonist*innen Handlungsmacht zugeschrieben, die ihnen im Fluchtdiskurs häufig versagt bleibt.
Gleichzeitig sind die Figuren in den untersuchten Romanen von westlichen, deutschsprachigen Autor*innen konstruiert, die selbst keine Flucht erlebten. So ist es kaum vermeidbar, dass altbewährte Stereotype von Flüchtenden und ‚orientalischen‘ Ländern in die Texte einfliessen und so teilweise ungerechtfertigte Bilder zu zementieren. Verstärkend wirkt hierbei die Stimme der Expert*innen: Es scheint, als sprächen die flüchtenden Jugendlichen für sich selbst, wobei ihre Stimme jedoch von den Autor*innen imitiert wird.
Die Figuren überwinden zahlreiche Grenzen geographischer, aber auch sozialer und gesellschaftlicher Art und schaffen es so, Brücken zwischen ihrer Herkunft und ihrer Zukunft zu schlagen.