{"title":"The amendment of section 64 of the German Criminal Code—potential effects on forensic psychiatric hospitals","authors":"Michael Schwarz, Susanne Stübner","doi":"10.1007/s11757-023-00801-8","DOIUrl":null,"url":null,"abstract":"Zusammenfassung Die Novellierung von § 64 Strafgesetzbuch (StGB) war am 22.06.2023 durch den Deutschen Bundestag angenommen worden und trat am 01.10.2023 in Kraft. Die Frage, welche Änderungen sich in Bezug auf die Zuweisungspraxis und das Ergebnis der Behandlung für forensische Entziehungsanstalten ergeben könnten, beschäftigt Gerichte, forensische Sachverständige, Maßregel- sowie Justizvollzug. Durch die vorliegende Arbeit soll eine erste empirische Annäherung an eine Einschätzung erfolgen. Es wurde eine retrospektive Aktenanalyse durchgeführt mit einer Stichprobe von n = 70 männlichen Patienten, die gemäß § 64 StGB in der Klinik für Forensische Psychiatrie am Bezirksklinikum Ansbach (Bayern) untergebracht gewesen waren und deren Therapie zwischen dem 01.07.2021 und dem 30.06.2022 beendet worden war (Querschnittvollerfassung). Die schriftlichen Gutachten im Erkenntnisverfahren wurden ausgewertet. Des Weiteren erfolgte eine eigene Einschätzung der medizinischen Voraussetzungen zur Anwendung von § 64 StGB in der novellierten Fassung bei denselben Fällen. Es zeigte sich, dass in den schriftlichen Gutachten nur bei knapp der Hälfte der Patienten alle medizinischen Voraussetzungen zur Anwendung von § 64 StGB in der bisherigen Fassung explizit bejaht worden waren. Die medizinischen Voraussetzungen zur Anwendung von § 64 StGB in der novellierten Fassung wurden hingegen nur bei etwa einem Drittel gesehen. Auch wurde ein Zusammenhang zwischen der Bejahung aller und der einzelnen medizinischen Voraussetzungen zur Anwendung von § 64 StGB in der novellierten Fassung und dem Therapie-Outcome erkennbar: Im Hinblick auf einen erfolgreichen Abschluss der Behandlung bzw. eine vorzeitige Erledigung der Maßregel zeigte sich eine bessere Diskriminierungsfähigkeit bei der novellierten im Vergleich zu der bisherigen Fassung. Bei der weiterführenden Interpretation der Ergebnisse ist die Komplexität des Systems mit den inhärenten Paradigmenwechseln zwischen Rechts- und Erfahrungswissenschaften sowie den Einflüssen von Rechtsprechung und letztlich den gesellschaftspolitischen Kontexten zu berücksichtigen. Dennoch deuten die Befunde darauf hin, dass die Novellierung von § 64 StGB die intendierten Auswirkungen sowohl auf die Zuweisungspraxis als auch das Behandlungsergebnis haben könnten.","PeriodicalId":44515,"journal":{"name":"Forensische Psychiatrie Psychologie Kriminologie","volume":"41 1","pages":"0"},"PeriodicalIF":1.2000,"publicationDate":"2023-10-16","publicationTypes":"Journal Article","fieldsOfStudy":null,"isOpenAccess":false,"openAccessPdf":"","citationCount":"0","resultStr":null,"platform":"Semanticscholar","paperid":null,"PeriodicalName":"Forensische Psychiatrie Psychologie Kriminologie","FirstCategoryId":"1085","ListUrlMain":"https://doi.org/10.1007/s11757-023-00801-8","RegionNum":0,"RegionCategory":null,"ArticlePicture":[],"TitleCN":null,"AbstractTextCN":null,"PMCID":null,"EPubDate":"","PubModel":"","JCR":"Q4","JCRName":"PSYCHIATRY","Score":null,"Total":0}
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Abstract
Zusammenfassung Die Novellierung von § 64 Strafgesetzbuch (StGB) war am 22.06.2023 durch den Deutschen Bundestag angenommen worden und trat am 01.10.2023 in Kraft. Die Frage, welche Änderungen sich in Bezug auf die Zuweisungspraxis und das Ergebnis der Behandlung für forensische Entziehungsanstalten ergeben könnten, beschäftigt Gerichte, forensische Sachverständige, Maßregel- sowie Justizvollzug. Durch die vorliegende Arbeit soll eine erste empirische Annäherung an eine Einschätzung erfolgen. Es wurde eine retrospektive Aktenanalyse durchgeführt mit einer Stichprobe von n = 70 männlichen Patienten, die gemäß § 64 StGB in der Klinik für Forensische Psychiatrie am Bezirksklinikum Ansbach (Bayern) untergebracht gewesen waren und deren Therapie zwischen dem 01.07.2021 und dem 30.06.2022 beendet worden war (Querschnittvollerfassung). Die schriftlichen Gutachten im Erkenntnisverfahren wurden ausgewertet. Des Weiteren erfolgte eine eigene Einschätzung der medizinischen Voraussetzungen zur Anwendung von § 64 StGB in der novellierten Fassung bei denselben Fällen. Es zeigte sich, dass in den schriftlichen Gutachten nur bei knapp der Hälfte der Patienten alle medizinischen Voraussetzungen zur Anwendung von § 64 StGB in der bisherigen Fassung explizit bejaht worden waren. Die medizinischen Voraussetzungen zur Anwendung von § 64 StGB in der novellierten Fassung wurden hingegen nur bei etwa einem Drittel gesehen. Auch wurde ein Zusammenhang zwischen der Bejahung aller und der einzelnen medizinischen Voraussetzungen zur Anwendung von § 64 StGB in der novellierten Fassung und dem Therapie-Outcome erkennbar: Im Hinblick auf einen erfolgreichen Abschluss der Behandlung bzw. eine vorzeitige Erledigung der Maßregel zeigte sich eine bessere Diskriminierungsfähigkeit bei der novellierten im Vergleich zu der bisherigen Fassung. Bei der weiterführenden Interpretation der Ergebnisse ist die Komplexität des Systems mit den inhärenten Paradigmenwechseln zwischen Rechts- und Erfahrungswissenschaften sowie den Einflüssen von Rechtsprechung und letztlich den gesellschaftspolitischen Kontexten zu berücksichtigen. Dennoch deuten die Befunde darauf hin, dass die Novellierung von § 64 StGB die intendierten Auswirkungen sowohl auf die Zuweisungspraxis als auch das Behandlungsergebnis haben könnten.
期刊介绍:
Die Forensische Psychiatrie, Psychologie, Kriminologie versteht sich als Forum für die wissenschaftliche Erörterung der Ursachen und Folgen von Straffälligkeit. Im Zentrum steht dabei die Frage, wie die Beziehung ist zwischen Personen, sozialem Umfeld und Delinquenz. Dabei geht es um Strafverfolgung, Begutachtung, Intervention und Prävention.
Die Forensische Psychiatrie, Psychologie, Kriminologie möchte zum interdisziplinären Dialog auffordern zwischen den Rechtswissenschaften auf der einen und den psychiatrisch-psychotherapeutisch-psychologisch-kriminologisch tätigen Disziplinen auf der anderen Seite. Dabei geht es um die Entwicklung und Diskussion neuer Konzepte sowie um die Förderung und Sicherung der Qualität der forensischen Begutachtung, der Täterbehandlung und des strafrechtlichen Umgangs mit delinquent gewordenen Menschen.