Diabetesremission assoziiert mit optimierter Behandlung der Hidradenitis suppurativa

IF 5.5 4区 医学 Q1 DERMATOLOGY Journal Der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft Pub Date : 2024-10-11 DOI:10.1111/ddg.15490_g
Nessr Abu Rached, Johannes W. Dietrich, Lennart Ocker, Daniel R. Quast, Eggert Stockfleth, Falk G. Bechara
{"title":"Diabetesremission assoziiert mit optimierter Behandlung der Hidradenitis suppurativa","authors":"Nessr Abu Rached,&nbsp;Johannes W. Dietrich,&nbsp;Lennart Ocker,&nbsp;Daniel R. Quast,&nbsp;Eggert Stockfleth,&nbsp;Falk G. Bechara","doi":"10.1111/ddg.15490_g","DOIUrl":null,"url":null,"abstract":"<p>Sehr geehrte Herausgeber,</p><p>Ein 50-jähriger männlicher Patient (BMI 26,6 kg/m<sup>2</sup>) wurde mit schwerer Hidradenitis suppurativa (HS), die vorwiegend den Anogenitalbereich betraf, und damit assoziiertem genitalen Lymphödem (<i>Hurley III, International Hidradenitis Suppurativa Severity Score System</i> [IHS4] 79, SAHS 12) (Abbildung 1a) in unserem Zentrum vorgestellt. Er hatte einen schlecht eingestellten Diabetes (HbA1c: 87 mmol/mol [10,1%]), der 2 Jahre vor der ersten Vorstellung diagnostiziert wurde. Der Diabetes mellitus wurde von seinem Hausarzt nur mit Sitagliptin einmal täglich behandelt. Die Konsultation eines Diabetologen wurde vom Patienten abgelehnt. Der überweisende Dermatologe hatte 9 Monate vor der ersten Vorstellung in unserem Zentrum Adalimumab zur Behandlung der HS eingeleitet. Weitere vorbestehende Begleiterkrankungen waren nicht bekannt.</p><p>Eine konservative HS-Behandlung mit lokalen Antiseptika, lokaler und systemischer Antibiose sowie einer Doppelantibiose mit Clindamycin und Rifampicin blieb erfolglos. Laborchemisch zeigten sich erhöhte Werte vom C-reaktivem Protein (110,4 mg/dl; Referenzbereich &lt; 5 mg/dl) und Haptoglobin (237 mg/dl; Referenzbereich 30–200 mg/dl), die bekanntermaßen mit dem Schweregrad der HS korrelieren. Daraufhin wurde eine <i>Off-Label</i>-Therapie mit Ertapenem (1 g pro Tag) über 6 Wochen eingeleitet. Unter dieser antibiotischen Therapie normalisierten sich die Entzündungsmarker schnell. Der Patient unterzog sich im Anschluss einer chirurgischen Behandlung aller Fistelgänge (Abbildung 1). Die chirurgische Behandlung umfasste die präoperative Sondierung aller Fistelgänge. In schwierigen Arealen wurden die Fistelgänge intraoperativ sondiert. Die Fistelgänge und Narben wurden vollständig mit dem Skalpell entfernt. Nach der optimierten HS-Behandlung sank das glykosylierte Hämoglobin auf 50 mmol/mol (6,7%) und das Schmerzempfinden von 8 auf 2 (numerische Bewertungsskala). Die Flüssigkeitssekretion und der Geruch der HS-Fisteln nahmen deutlich ab. Der HbA1c-Wert sank nach 12 Wochen auf nahezu physiologische Werte (48 mmol/mol [6,5%]) (Abbildung  2). Die antidiabetische Therapie wurde 20 Wochen nach dem Krankenhausaufenthalt abgesetzt. Nach 24 Wochen lag der HbA1c-Wert im Normalbereich (37 mmol/mol [5,5%]). In den 18 Wochen nach der Operation traten keine weiteren HS-Schübe und aktive Läsionen auf. Auch 36 Wochen nach dem Krankenhausaufenthalt und 16 Wochen nach Absetzen der antidiabetischen Medikation lag der HbA1c-Wert im Normalbereich (40 mmol/mol [5,8%]), was auf eine vollständige Remission des Diabetes mellitus hinweist. Die HS war auch nach 36 Wochen stabil (IHS4 0, Hurley 0, SAHS 1). Darüber hinaus lag der Nüchternblutzucker vor der optimierten HS-Behandlung bei 189 mg/dl. Nach der optimierten Behandlung sank der Wert auf 101 mg/dl in Woche 36.</p><p>Die Hidradenitis suppurativa ist eine chronisch entzündliche Erkrankung, die häufig mit dem metabolischen Syndrom und Diabetes mellitus Typ 2 einhergeht.<span><sup>1</sup></span> Im vorliegenden Fall normalisierten sich die Plasmaglukosekonzentrationen nach Optimierung der HS-Therapie. Der präsentierte Fall erfüllte vollständig die Kriterien einer Diabetesremission.<span><sup>2</sup></span> Unseres Wissens wurde dieser Zusammenhang zwischen Diabetes mellitus und HS-Therapie noch nie beschrieben. Die Mechanismen, die dieser Beobachtung zugrunde liegen, bleiben spekulativ. Es ist bekannt, dass Entzündungen und entzündliche Zytokine Insulinresistenz und Hyperglykämie fördern und es wird vermutet, dass Entzündungen zur Entwicklung von Typ-2-Diabetes beitragen.<span><sup>3-6</sup></span> Entzündliche Zytokine, die von T-Lymphozyten, Monozyten und Makrophagen freigesetzt werden, interagieren mit den Pankreasinseln und können zur Dysfunktion der β-Zellen führen.<span><sup>7</sup></span> Bei der HS sind die proinflammatorischen Zytokine TNF-α, Interleukin-6 und Interleukin-1β stark erhöht.<span><sup>8</sup></span> Erhöhte Plasmaglukosespiegel sind ebenfalls ein gut beschriebenes Phänomen bei Parodontalerkrankungen und es wird berichtet, dass ihre Behandlung nach drei Monaten zu einer Senkung des HbA1c um fast 0,5% führt.<span><sup>9</sup></span> Aus diesem Grund ist das Ausmaß der in diesem Fall beobachteten HbA1c-Senkung umso erstaunlicher. Angesichts der hohen Prävalenz von Adipositas und Diabetes mellitus bei HS-Patienten könnte dies durchaus das im Vergleich zu anderen entzündlichen Dermatosen (wie bespielsweise der Psoriasis vulgaris) deutlich erhöhte Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und die geringere Lebenserwartung von HS-Patienten erklären.<span><sup>1, 10</sup></span> Daher wird möglicherweise die Bedeutung von Diabetes mellitus bei HS-Patienten unterschätzt. Ein weiterer Effekt könnte mit der hypoglykämischen Wirkung von Ertapenem zusammenhängen, die eine direkte (<i>off-target</i>) Wirkung auf den Stoffwechsel haben könnte. Hypoglykämie wird als seltene Nebenwirkung von Ertapenem beschrieben.<span><sup>11</sup></span></p><p>Der vorliegende Fall zeigt, dass eine wirksame HS-Behandlung zur Remission des Typ-2-Diabetes führen kann. Obwohl weitere Studien erforderlich sind, um die vorliegenden Beobachtungen zu bestätigen, sollten sich Kliniker dieses Phänomens bewusst sein und eine genaue Überwachung des Blutzuckerspiegels (und sogar eine Deeskalation der antidiabetischen Therapie) bei Patienten mit HS in Betracht ziehen. Darüber hinaus sollte bei Patienten mit HS und schlecht eingestelltem Diabetes mellitus eine aggressive und wirksame Behandlung der HS in Erwägung gezogen werden.</p><p>Open access Veröffentlichung ermöglicht und organisiert durch Projekt DEAL.</p><p>F.G.B. hat Honorare erhalten für die Teilnahme an Beratungsgremien, an klinischen Studien und/oder als Redner von AbbVie Inc., AbbVie Deutschland GmbH &amp; Co. KG, Boehringer Ingelheim Pharma GmbH &amp; Co. KG, Novartis Pharma GmbH, UCB Pharma, Incyte Corporation und JanssenCilag GmbH, MoonLake. D.R.Q. hat einen von Sanofi gesponserten Forschungspreis erhalten; er hat Honorare für Vorträge, Präsentationen und Bildungsveranstaltungen von Eli Lilly &amp; Co. und Novo Nordisk erhalten und wurde für die Teilnahme an Tagungen und/oder Reisen von Eli Lilly &amp; Co. und Cook Medical unterstützt. J.W.D. erhielt Mittel und persönliche Honorare für die Teilnahme an Beratungsgremien von Novo Nordisk, VitalAire, Abbott, Medtronic, Oviva, Egetis Therapeutics, myhomecare, aidhere, Ascensia Diabetes Care, Sanofi-Henning, Hexal AG, Bristol-Myers Squibb, und Pfizer und ist Miteigentümer der geistigen Eigentumsrechte für das Patent „<i>System and Method for Deriving Parameters for Homeostatic Feedback Control of an Individual</i>“ (Singapore Institute for Clinical Sciences, Biomedical Sciences Institutes, Application Number 201208940–5, WIPO number WO/2014/088516). E.S. hat Vortragshonorare von Almirall, Leo, Pierre Favre und Philips erhalten. Alle anderen Autoren erklären, dass keine Interessenkonflikte bestehen.</p>","PeriodicalId":14758,"journal":{"name":"Journal Der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft","volume":"22 10","pages":"1427-1429"},"PeriodicalIF":5.5000,"publicationDate":"2024-10-11","publicationTypes":"Journal Article","fieldsOfStudy":null,"isOpenAccess":false,"openAccessPdf":"https://onlinelibrary.wiley.com/doi/epdf/10.1111/ddg.15490_g","citationCount":"0","resultStr":null,"platform":"Semanticscholar","paperid":null,"PeriodicalName":"Journal Der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft","FirstCategoryId":"3","ListUrlMain":"https://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/ddg.15490_g","RegionNum":4,"RegionCategory":"医学","ArticlePicture":[],"TitleCN":null,"AbstractTextCN":null,"PMCID":null,"EPubDate":"","PubModel":"","JCR":"Q1","JCRName":"DERMATOLOGY","Score":null,"Total":0}
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Abstract

Sehr geehrte Herausgeber,

Ein 50-jähriger männlicher Patient (BMI 26,6 kg/m2) wurde mit schwerer Hidradenitis suppurativa (HS), die vorwiegend den Anogenitalbereich betraf, und damit assoziiertem genitalen Lymphödem (Hurley III, International Hidradenitis Suppurativa Severity Score System [IHS4] 79, SAHS 12) (Abbildung 1a) in unserem Zentrum vorgestellt. Er hatte einen schlecht eingestellten Diabetes (HbA1c: 87 mmol/mol [10,1%]), der 2 Jahre vor der ersten Vorstellung diagnostiziert wurde. Der Diabetes mellitus wurde von seinem Hausarzt nur mit Sitagliptin einmal täglich behandelt. Die Konsultation eines Diabetologen wurde vom Patienten abgelehnt. Der überweisende Dermatologe hatte 9 Monate vor der ersten Vorstellung in unserem Zentrum Adalimumab zur Behandlung der HS eingeleitet. Weitere vorbestehende Begleiterkrankungen waren nicht bekannt.

Eine konservative HS-Behandlung mit lokalen Antiseptika, lokaler und systemischer Antibiose sowie einer Doppelantibiose mit Clindamycin und Rifampicin blieb erfolglos. Laborchemisch zeigten sich erhöhte Werte vom C-reaktivem Protein (110,4 mg/dl; Referenzbereich < 5 mg/dl) und Haptoglobin (237 mg/dl; Referenzbereich 30–200 mg/dl), die bekanntermaßen mit dem Schweregrad der HS korrelieren. Daraufhin wurde eine Off-Label-Therapie mit Ertapenem (1 g pro Tag) über 6 Wochen eingeleitet. Unter dieser antibiotischen Therapie normalisierten sich die Entzündungsmarker schnell. Der Patient unterzog sich im Anschluss einer chirurgischen Behandlung aller Fistelgänge (Abbildung 1). Die chirurgische Behandlung umfasste die präoperative Sondierung aller Fistelgänge. In schwierigen Arealen wurden die Fistelgänge intraoperativ sondiert. Die Fistelgänge und Narben wurden vollständig mit dem Skalpell entfernt. Nach der optimierten HS-Behandlung sank das glykosylierte Hämoglobin auf 50 mmol/mol (6,7%) und das Schmerzempfinden von 8 auf 2 (numerische Bewertungsskala). Die Flüssigkeitssekretion und der Geruch der HS-Fisteln nahmen deutlich ab. Der HbA1c-Wert sank nach 12 Wochen auf nahezu physiologische Werte (48 mmol/mol [6,5%]) (Abbildung  2). Die antidiabetische Therapie wurde 20 Wochen nach dem Krankenhausaufenthalt abgesetzt. Nach 24 Wochen lag der HbA1c-Wert im Normalbereich (37 mmol/mol [5,5%]). In den 18 Wochen nach der Operation traten keine weiteren HS-Schübe und aktive Läsionen auf. Auch 36 Wochen nach dem Krankenhausaufenthalt und 16 Wochen nach Absetzen der antidiabetischen Medikation lag der HbA1c-Wert im Normalbereich (40 mmol/mol [5,8%]), was auf eine vollständige Remission des Diabetes mellitus hinweist. Die HS war auch nach 36 Wochen stabil (IHS4 0, Hurley 0, SAHS 1). Darüber hinaus lag der Nüchternblutzucker vor der optimierten HS-Behandlung bei 189 mg/dl. Nach der optimierten Behandlung sank der Wert auf 101 mg/dl in Woche 36.

Die Hidradenitis suppurativa ist eine chronisch entzündliche Erkrankung, die häufig mit dem metabolischen Syndrom und Diabetes mellitus Typ 2 einhergeht.1 Im vorliegenden Fall normalisierten sich die Plasmaglukosekonzentrationen nach Optimierung der HS-Therapie. Der präsentierte Fall erfüllte vollständig die Kriterien einer Diabetesremission.2 Unseres Wissens wurde dieser Zusammenhang zwischen Diabetes mellitus und HS-Therapie noch nie beschrieben. Die Mechanismen, die dieser Beobachtung zugrunde liegen, bleiben spekulativ. Es ist bekannt, dass Entzündungen und entzündliche Zytokine Insulinresistenz und Hyperglykämie fördern und es wird vermutet, dass Entzündungen zur Entwicklung von Typ-2-Diabetes beitragen.3-6 Entzündliche Zytokine, die von T-Lymphozyten, Monozyten und Makrophagen freigesetzt werden, interagieren mit den Pankreasinseln und können zur Dysfunktion der β-Zellen führen.7 Bei der HS sind die proinflammatorischen Zytokine TNF-α, Interleukin-6 und Interleukin-1β stark erhöht.8 Erhöhte Plasmaglukosespiegel sind ebenfalls ein gut beschriebenes Phänomen bei Parodontalerkrankungen und es wird berichtet, dass ihre Behandlung nach drei Monaten zu einer Senkung des HbA1c um fast 0,5% führt.9 Aus diesem Grund ist das Ausmaß der in diesem Fall beobachteten HbA1c-Senkung umso erstaunlicher. Angesichts der hohen Prävalenz von Adipositas und Diabetes mellitus bei HS-Patienten könnte dies durchaus das im Vergleich zu anderen entzündlichen Dermatosen (wie bespielsweise der Psoriasis vulgaris) deutlich erhöhte Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und die geringere Lebenserwartung von HS-Patienten erklären.1, 10 Daher wird möglicherweise die Bedeutung von Diabetes mellitus bei HS-Patienten unterschätzt. Ein weiterer Effekt könnte mit der hypoglykämischen Wirkung von Ertapenem zusammenhängen, die eine direkte (off-target) Wirkung auf den Stoffwechsel haben könnte. Hypoglykämie wird als seltene Nebenwirkung von Ertapenem beschrieben.11

Der vorliegende Fall zeigt, dass eine wirksame HS-Behandlung zur Remission des Typ-2-Diabetes führen kann. Obwohl weitere Studien erforderlich sind, um die vorliegenden Beobachtungen zu bestätigen, sollten sich Kliniker dieses Phänomens bewusst sein und eine genaue Überwachung des Blutzuckerspiegels (und sogar eine Deeskalation der antidiabetischen Therapie) bei Patienten mit HS in Betracht ziehen. Darüber hinaus sollte bei Patienten mit HS und schlecht eingestelltem Diabetes mellitus eine aggressive und wirksame Behandlung der HS in Erwägung gezogen werden.

Open access Veröffentlichung ermöglicht und organisiert durch Projekt DEAL.

F.G.B. hat Honorare erhalten für die Teilnahme an Beratungsgremien, an klinischen Studien und/oder als Redner von AbbVie Inc., AbbVie Deutschland GmbH & Co. KG, Boehringer Ingelheim Pharma GmbH & Co. KG, Novartis Pharma GmbH, UCB Pharma, Incyte Corporation und JanssenCilag GmbH, MoonLake. D.R.Q. hat einen von Sanofi gesponserten Forschungspreis erhalten; er hat Honorare für Vorträge, Präsentationen und Bildungsveranstaltungen von Eli Lilly & Co. und Novo Nordisk erhalten und wurde für die Teilnahme an Tagungen und/oder Reisen von Eli Lilly & Co. und Cook Medical unterstützt. J.W.D. erhielt Mittel und persönliche Honorare für die Teilnahme an Beratungsgremien von Novo Nordisk, VitalAire, Abbott, Medtronic, Oviva, Egetis Therapeutics, myhomecare, aidhere, Ascensia Diabetes Care, Sanofi-Henning, Hexal AG, Bristol-Myers Squibb, und Pfizer und ist Miteigentümer der geistigen Eigentumsrechte für das Patent „System and Method for Deriving Parameters for Homeostatic Feedback Control of an Individual“ (Singapore Institute for Clinical Sciences, Biomedical Sciences Institutes, Application Number 201208940–5, WIPO number WO/2014/088516). E.S. hat Vortragshonorare von Almirall, Leo, Pierre Favre und Philips erhalten. Alle anderen Autoren erklären, dass keine Interessenkonflikte bestehen.

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