«Krass aus der Norm gefallen»? Das Konzept der «schweren Persönlichkeitsstörung» in der Auswahl männlicher Delinquenten für Sozialtherapeutische Anstalten in Nordrhein-Westfalen in den 1970er Jahren

Abstract

Ende der 1960er Jahre entstand während der Großen Strafrechtsreform in Westdeutschland die Sozialtherapeutische Anstalt als dem Strafvollzug und der Psychiatrie zwischengelagerte eigenständige Institution. Sie sollte Straffällige behandeln, denen Gutachter vor Gericht eine «schwere Persönlichkeitsstörung » attestierten. Der Beitrag analysiert, wie dieses Indikationsmerkmal bei der Auswahl männlicher Probanden in zwei nordrhein-westfälischen sozialtherapeutischen Modellanstalten ausgelegt wurde. Die psychisch abnorme Täterpersönlichkeit, so die These, wurde im Verlauf der 1970er Jahre durch psychologische Diagnostik zunehmend entpathologisiert und normalisiert, während gleichzeitig therapeutische Verfahren an das Umfeld des Strafvollzugs angepasst wurden.