Demokratie und Verschwörungstheorien

Q3 Arts and Humanities Zeitschrift fur Praktische Philosophie Pub Date : 2023-03-28 DOI:10.22613/zfpp/9.2.8
Lucas von Ramin
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Abstract

Gegenwärtig wird das Wiedererstarken von Verschwörungstheorien explizit als Gefahr für die westlichen Demokratien begriffen. Einerseits, weil Verschwörungstheoretiker*innen die heutige Demokratie als manipuliert betrachten. Für sie wird Demokratie nur vorgespielt, die eigentlichen Entscheidungen werden an anderer Stelle getroffen. Andererseits, weil die Verbreitung genau jenes Glaubens ein Kernelement von Demokratien verunmöglicht: den fairen Streit um das beste Argument. Dabei stehen Verschwörungstheorien der Idee von Demokratie nicht diametral gegenüber, sondern bedienen sich dieser bisweilen als Inspirationsquelle, beispielsweise wenn das Volk sich gegen die Machenschaften einer korrupten Elite wehren soll. Der Beitrag untersucht deshalb, welche Verbindungen zwischen Verschwörungstheorien und Demokratie bestehen. Gibt es eine undurchdringbare Beziehung zwischen beiden Bereichen, die den Umgang mit ihnen zu einem fortdauernden normativen Problem werden lässt? Jener Beziehung wird auf zwei Wegen nachgegangen. Der eine Weg kann als Postfaktizitätsstrang bezeichnet werden. Die These lautet, dass wissenschaftliche Erkenntnisse, die grob als Poststrukturalismus zusammengefasst werden, ein grundsätzliches Misstrauen gegenüber etablierten epistemischen und politischen Strukturen transportieren. Diese eigentlich demokratische Öffnung ist dann als Einfallstor für absurde Theorien aller Art zu verstehen. Anhand der Theorien radikaler Demokratie wird diskutiert, weshalb gerade die epistemischen Grundlagen der Demokratie Verschwörungstheorien einen berechtigen Platz im demokratischen Diskurs einräumen sollen und wie sie sich wiederum von dem Diskurs abgrenzen lassen. Der Ideologiestrang dagegen betont nicht eine Auflösung von Gewissheit und damit eine relativistische Grundhaltung, sondern die Rückkehr zu ideologisch aufgeladenen Weltbildern, beispielsweise in völkischen Semantiken. Verschwörungstheorien, so lässt es sich in den Analysen Kritischer Theorie nachlesen, kreieren durch Komplexitätsreduzierung ein Verständnis der Welt, in dem sich entgegen aller globaler Vernetzung wirkliche demokratische Selbstbestimmung zurückerobern lässt. Als Elitenkritik antworten sie so auf Entfremdungsprozesse moderner Gesellschaften. Beide Stränge ergeben eine eigentümliche Gemengelage. Während einerseits der Aufstieg von Verschwörungstheorien auf Komplexitätssteigerung und dem damit verbundenen Zusammenbruch traditioneller und epistemischer Autorität zurückgeführt wird, werden Verschwörungstheorien andererseits als bloße Form der Komplexitätsreduktion verstanden. Folgend gilt zu zeigen, wie sich beide Stränge zueinander verhalten, um einerseits die erneute Popularität von Verschwörungstheorien zu verstehen und anderseits der Gefahr einer Instrumentalisierung demokratischer Semantiken etwas entgegenzuhalten. 
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民主与阴谋论
目前,阴谋论的死灰复燃被明确视为对西方民主国家的威胁。一方面,因为阴谋论者认为今天的民主是被操纵的。对他们来说,民主只是假装的,实际的决定是在其他地方做出的。另一方面,因为这种信念的传播使民主的一个核心要素变得不可能:为最佳论点进行公平的斗争。阴谋论与民主理念并非截然相反,但有时会将其作为灵感来源,例如当人民要保护自己免受腐败精英的阴谋时。因此,本文考察了阴谋论与民主之间的联系。这两个领域之间是否存在着无法穿透的关系,使处理它们成为一个持续存在的规范问题?这种关系有两种方式。一种方式可以称为后事实链。论文认为,科学发现,大致概括为后结构主义,传达了对既定认识和政治结构的根本不信任。这种实际上是民主的开放被理解为各种荒谬理论的门户。在激进民主理论的基础上,讨论了为什么民主的认识基础应该赋予阴谋论在民主话语中的合法地位,以及如何将其与话语区分开来。另一方面,意识形态并不强调确定性的消解,因此也不强调相对论的基本态度,而是强调回归意识形态化的世界观,例如种族语义。从批判理论的分析中可以看出,阴谋论通过降低复杂性创造了对世界的理解,在这种理解中,尽管存在所有全球网络,但可以重新获得真正的民主自决权。作为精英批评,他们回应了现代社会的异化过程。两股线形成一种特殊的混合物。阴谋论的兴起一方面归因于复杂性的增加以及传统权威和认识权威的崩溃,另一方面,阴谋论被理解为一种纯粹的复杂性降低形式。以下内容展示了这两个方面是如何相互联系的,一方面是为了理解阴谋论的重新流行,另一方面是抵消民主语义工具化的危险。
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