Figurenrelationen und Figurencharakterisierung: Interdisziplinarität zwischen Literaturwissenschaft und Korpuslinguistik am Beispiel der Text- und Genreanalyse
{"title":"Figurenrelationen und Figurencharakterisierung: Interdisziplinarität zwischen Literaturwissenschaft und Korpuslinguistik am Beispiel der Text- und Genreanalyse","authors":"M. Andresen, M. Vauth","doi":"10.5771/9783529092770-43","DOIUrl":null,"url":null,"abstract":"Im Rahmen der Digital Humanities hat sich unter anderem die interdisziplinäre Zusammenarbeit von Literaturwissenschaft und Korpusbzw. Computerlinguistik etabliert.1 In diesem Beitrag werden wir am Beispiel des Romans Corpus Delicti der deutschen Autorin Juli Zeh beschreiben,2 inwiefern ein korpuslinguistischer Forschungsbereich – die Koreferenzanalyse – für literaturwissenschaftliche Erkenntnisinteressen genutzt werden kann. Unsere Schwerpunkte sind zwei Aspekte der literaturwissenschaftlichen Textanalyse, die wir in den Kontext der Genreanalyse stellen werden: (1.) Inwiefern kann die Korpuslinguistik die Identifizierung von (genrespezifischen) Figurenkonstellationen sowie (2.) die Figurencharakterisierung und damit auch Identifizierung von (genrespezifischen) Figurentypen unterstützen? Bereits der Paratext von Corpus Delicti indiziert, dass Juli Zehs vierter Roman für genretheoretische Fragen ein vielversprechender Text sein dürfte. Im Klappentext finden die Leser/ innen zwei Auszüge aus der Literaturkritik. In der Süddeutschen Zeitung hat man den Roman als »[n]egative Utopie und Justizdrama, Polit-Thriller und Gesellschaftsstück, handfestes Horrorund hauchzartes Geschwistermärchen« bezeichnet; NDR Kultur spricht von einem »hoch politische[n], verstörende[n] Science-Fiction-Buch«.3 Die sieben Genrezuschreibungen, die der btb-Verlag hier auf einem Buchdeckel untergebracht hat, machen auf einen Aspekt aufmerksam, der in Genretheorien weitestgehend etabliert sein dürfte: In literarischen Texten realisieren sich die Merkmale unterschiedlicher Genres. Das hängt wiederum damit zusammen, dass Genres als diskursiv konstituierte Gebilde4 weder über hinreichende noch über notwendige Texteigenschaften beschrieben werden können. So ist es beispielsweise weder hinreichend noch notwendig für einen Kriminalroman, dass von einem Mord erzählt wird, obwohl in vielen Kriminalgeschichten von einem Mord erzählt wird. Aus diesem Grund steht im Hintergrund unserer Genreanalyse die Annahme,","PeriodicalId":81777,"journal":{"name":"Kultur & Technik : Zeitschrift des Deutschen Museums Munchen","volume":"1 1","pages":""},"PeriodicalIF":0.0000,"publicationDate":"2020-01-01","publicationTypes":"Journal Article","fieldsOfStudy":null,"isOpenAccess":false,"openAccessPdf":"","citationCount":"0","resultStr":null,"platform":"Semanticscholar","paperid":null,"PeriodicalName":"Kultur & Technik : Zeitschrift des Deutschen Museums Munchen","FirstCategoryId":"1085","ListUrlMain":"https://doi.org/10.5771/9783529092770-43","RegionNum":0,"RegionCategory":null,"ArticlePicture":[],"TitleCN":null,"AbstractTextCN":null,"PMCID":null,"EPubDate":"","PubModel":"","JCR":"","JCRName":"","Score":null,"Total":0}
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Abstract
Im Rahmen der Digital Humanities hat sich unter anderem die interdisziplinäre Zusammenarbeit von Literaturwissenschaft und Korpusbzw. Computerlinguistik etabliert.1 In diesem Beitrag werden wir am Beispiel des Romans Corpus Delicti der deutschen Autorin Juli Zeh beschreiben,2 inwiefern ein korpuslinguistischer Forschungsbereich – die Koreferenzanalyse – für literaturwissenschaftliche Erkenntnisinteressen genutzt werden kann. Unsere Schwerpunkte sind zwei Aspekte der literaturwissenschaftlichen Textanalyse, die wir in den Kontext der Genreanalyse stellen werden: (1.) Inwiefern kann die Korpuslinguistik die Identifizierung von (genrespezifischen) Figurenkonstellationen sowie (2.) die Figurencharakterisierung und damit auch Identifizierung von (genrespezifischen) Figurentypen unterstützen? Bereits der Paratext von Corpus Delicti indiziert, dass Juli Zehs vierter Roman für genretheoretische Fragen ein vielversprechender Text sein dürfte. Im Klappentext finden die Leser/ innen zwei Auszüge aus der Literaturkritik. In der Süddeutschen Zeitung hat man den Roman als »[n]egative Utopie und Justizdrama, Polit-Thriller und Gesellschaftsstück, handfestes Horrorund hauchzartes Geschwistermärchen« bezeichnet; NDR Kultur spricht von einem »hoch politische[n], verstörende[n] Science-Fiction-Buch«.3 Die sieben Genrezuschreibungen, die der btb-Verlag hier auf einem Buchdeckel untergebracht hat, machen auf einen Aspekt aufmerksam, der in Genretheorien weitestgehend etabliert sein dürfte: In literarischen Texten realisieren sich die Merkmale unterschiedlicher Genres. Das hängt wiederum damit zusammen, dass Genres als diskursiv konstituierte Gebilde4 weder über hinreichende noch über notwendige Texteigenschaften beschrieben werden können. So ist es beispielsweise weder hinreichend noch notwendig für einen Kriminalroman, dass von einem Mord erzählt wird, obwohl in vielen Kriminalgeschichten von einem Mord erzählt wird. Aus diesem Grund steht im Hintergrund unserer Genreanalyse die Annahme,