{"title":"言论自由民主伦理的基本特征","authors":"M. Frick","doi":"10.22613/zfpp/9.2.11","DOIUrl":null,"url":null,"abstract":"Die Frage moralischer und/oder rechtlicher Grenzen der Meinungsfreiheit, der Grenzen des Sagbaren und Tolerierbaren, stellt zunehmend eine gesellschaftliche und politische Metadebatte dar, in der Versuche, komplexe Phänomene des Aushandelns von Grenzen des Zulässigen bzw. Notwendigen semantisch zu fixieren, von erheblichem Lagerdenken zeugen. Wer von „Politischer Korrektheit“, „Cancel Culture“, „Meinungsdiktatur“ oder „Kontaktschuld“ spricht, steht klar auf der einen Seite, so scheint es; wer von „Diskriminierung“, „Rassismus“, „Hassrede“ oder „weißen Privilegien“ spricht, auf der anderen. Vor dem Hintergrund solch verfestigter Diskursbahnen stellt die Frage, ob wir alles tolerieren müssen, was andere sagen, eine Erwägungsaufgabe dar, die nur mit einem Schritt zurück überhaupt adressierbar ist, will man nicht mit dem Jargon der einen Seite die Anliegen der anderen ausschließen und damit den ungeprüften Eindruck befördern, es handle sich hier tatsächlich um eine unversöhnliche Polarisierung, der die Philosophie nichts hinzuzufügen habe, außer vielleicht ein Lamento oder eine moralische Geste. Der Umweg, über den ich im Folgenden die von dieser Schwerpunktausgabe gestellte Frage behandeln möchte, führt zunächst zu einer Analyse der Ansprüche, die plurale Demokratien an ihre Mitglieder stellen. Diese sind nicht nur grundsätzlich hoch, sondern mitunter auch in sich konfliktträchtig. Konkret betrifft dies die Anforderung an Mitglieder demokratischer Gemeinwesen, sowohl bürgerliche Toleranz zu üben als auch diskursives Engagement als Vorbedingung qualitätsvoller demokratischer Meinungsbildung und Entscheidungsfindung an den Tag zu legen. Die jeweils ‚richtige Mitte‘ lässt sich dann am besten finden, wenn die Risiken zweier Extreme bewusstgemacht werden, die daran geknüpft sind, dass einerseits ein zu hohes Maß an ziviler Toleranz zulasten diskursiven Engagements geht und andererseits ein Mangel an bürgerlicher Toleranz diskursives Engagement gefährdet. Entlang dieser beiden Formen einer verhängnisvollen Dysbalance des demokratischen Ethos möchte ich Grundzüge einer demokratischen Ethik der freien Rede und freien Widerrede herausarbeiten und Implikationen für Grenzen von Meinungsfreiheit bzw. Kritik beleuchten. ","PeriodicalId":53352,"journal":{"name":"Zeitschrift fur Praktische Philosophie","volume":null,"pages":null},"PeriodicalIF":0.0000,"publicationDate":"2023-03-28","publicationTypes":"Journal Article","fieldsOfStudy":null,"isOpenAccess":false,"openAccessPdf":"","citationCount":"0","resultStr":"{\"title\":\"Grundzüge einer demokratischen Ethik der freien (Wider-)Rede\",\"authors\":\"M. Frick\",\"doi\":\"10.22613/zfpp/9.2.11\",\"DOIUrl\":null,\"url\":null,\"abstract\":\"Die Frage moralischer und/oder rechtlicher Grenzen der Meinungsfreiheit, der Grenzen des Sagbaren und Tolerierbaren, stellt zunehmend eine gesellschaftliche und politische Metadebatte dar, in der Versuche, komplexe Phänomene des Aushandelns von Grenzen des Zulässigen bzw. Notwendigen semantisch zu fixieren, von erheblichem Lagerdenken zeugen. Wer von „Politischer Korrektheit“, „Cancel Culture“, „Meinungsdiktatur“ oder „Kontaktschuld“ spricht, steht klar auf der einen Seite, so scheint es; wer von „Diskriminierung“, „Rassismus“, „Hassrede“ oder „weißen Privilegien“ spricht, auf der anderen. Vor dem Hintergrund solch verfestigter Diskursbahnen stellt die Frage, ob wir alles tolerieren müssen, was andere sagen, eine Erwägungsaufgabe dar, die nur mit einem Schritt zurück überhaupt adressierbar ist, will man nicht mit dem Jargon der einen Seite die Anliegen der anderen ausschließen und damit den ungeprüften Eindruck befördern, es handle sich hier tatsächlich um eine unversöhnliche Polarisierung, der die Philosophie nichts hinzuzufügen habe, außer vielleicht ein Lamento oder eine moralische Geste. Der Umweg, über den ich im Folgenden die von dieser Schwerpunktausgabe gestellte Frage behandeln möchte, führt zunächst zu einer Analyse der Ansprüche, die plurale Demokratien an ihre Mitglieder stellen. Diese sind nicht nur grundsätzlich hoch, sondern mitunter auch in sich konfliktträchtig. Konkret betrifft dies die Anforderung an Mitglieder demokratischer Gemeinwesen, sowohl bürgerliche Toleranz zu üben als auch diskursives Engagement als Vorbedingung qualitätsvoller demokratischer Meinungsbildung und Entscheidungsfindung an den Tag zu legen. Die jeweils ‚richtige Mitte‘ lässt sich dann am besten finden, wenn die Risiken zweier Extreme bewusstgemacht werden, die daran geknüpft sind, dass einerseits ein zu hohes Maß an ziviler Toleranz zulasten diskursiven Engagements geht und andererseits ein Mangel an bürgerlicher Toleranz diskursives Engagement gefährdet. Entlang dieser beiden Formen einer verhängnisvollen Dysbalance des demokratischen Ethos möchte ich Grundzüge einer demokratischen Ethik der freien Rede und freien Widerrede herausarbeiten und Implikationen für Grenzen von Meinungsfreiheit bzw. Kritik beleuchten. \",\"PeriodicalId\":53352,\"journal\":{\"name\":\"Zeitschrift fur Praktische Philosophie\",\"volume\":null,\"pages\":null},\"PeriodicalIF\":0.0000,\"publicationDate\":\"2023-03-28\",\"publicationTypes\":\"Journal Article\",\"fieldsOfStudy\":null,\"isOpenAccess\":false,\"openAccessPdf\":\"\",\"citationCount\":\"0\",\"resultStr\":null,\"platform\":\"Semanticscholar\",\"paperid\":null,\"PeriodicalName\":\"Zeitschrift fur Praktische Philosophie\",\"FirstCategoryId\":\"1085\",\"ListUrlMain\":\"https://doi.org/10.22613/zfpp/9.2.11\",\"RegionNum\":0,\"RegionCategory\":null,\"ArticlePicture\":[],\"TitleCN\":null,\"AbstractTextCN\":null,\"PMCID\":null,\"EPubDate\":\"\",\"PubModel\":\"\",\"JCR\":\"Q3\",\"JCRName\":\"Arts and Humanities\",\"Score\":null,\"Total\":0}","platform":"Semanticscholar","paperid":null,"PeriodicalName":"Zeitschrift fur Praktische Philosophie","FirstCategoryId":"1085","ListUrlMain":"https://doi.org/10.22613/zfpp/9.2.11","RegionNum":0,"RegionCategory":null,"ArticlePicture":[],"TitleCN":null,"AbstractTextCN":null,"PMCID":null,"EPubDate":"","PubModel":"","JCR":"Q3","JCRName":"Arts and Humanities","Score":null,"Total":0}
Grundzüge einer demokratischen Ethik der freien (Wider-)Rede
Die Frage moralischer und/oder rechtlicher Grenzen der Meinungsfreiheit, der Grenzen des Sagbaren und Tolerierbaren, stellt zunehmend eine gesellschaftliche und politische Metadebatte dar, in der Versuche, komplexe Phänomene des Aushandelns von Grenzen des Zulässigen bzw. Notwendigen semantisch zu fixieren, von erheblichem Lagerdenken zeugen. Wer von „Politischer Korrektheit“, „Cancel Culture“, „Meinungsdiktatur“ oder „Kontaktschuld“ spricht, steht klar auf der einen Seite, so scheint es; wer von „Diskriminierung“, „Rassismus“, „Hassrede“ oder „weißen Privilegien“ spricht, auf der anderen. Vor dem Hintergrund solch verfestigter Diskursbahnen stellt die Frage, ob wir alles tolerieren müssen, was andere sagen, eine Erwägungsaufgabe dar, die nur mit einem Schritt zurück überhaupt adressierbar ist, will man nicht mit dem Jargon der einen Seite die Anliegen der anderen ausschließen und damit den ungeprüften Eindruck befördern, es handle sich hier tatsächlich um eine unversöhnliche Polarisierung, der die Philosophie nichts hinzuzufügen habe, außer vielleicht ein Lamento oder eine moralische Geste. Der Umweg, über den ich im Folgenden die von dieser Schwerpunktausgabe gestellte Frage behandeln möchte, führt zunächst zu einer Analyse der Ansprüche, die plurale Demokratien an ihre Mitglieder stellen. Diese sind nicht nur grundsätzlich hoch, sondern mitunter auch in sich konfliktträchtig. Konkret betrifft dies die Anforderung an Mitglieder demokratischer Gemeinwesen, sowohl bürgerliche Toleranz zu üben als auch diskursives Engagement als Vorbedingung qualitätsvoller demokratischer Meinungsbildung und Entscheidungsfindung an den Tag zu legen. Die jeweils ‚richtige Mitte‘ lässt sich dann am besten finden, wenn die Risiken zweier Extreme bewusstgemacht werden, die daran geknüpft sind, dass einerseits ein zu hohes Maß an ziviler Toleranz zulasten diskursiven Engagements geht und andererseits ein Mangel an bürgerlicher Toleranz diskursives Engagement gefährdet. Entlang dieser beiden Formen einer verhängnisvollen Dysbalance des demokratischen Ethos möchte ich Grundzüge einer demokratischen Ethik der freien Rede und freien Widerrede herausarbeiten und Implikationen für Grenzen von Meinungsfreiheit bzw. Kritik beleuchten.