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Krankheit als Kampf. Die Menschenfresserin (1996) von Valérie Dayre und Wolf Erlbruch
Der vorliegende Beitrag zeigt anhand des 1996 publizierten Bilderbuches Die Menschenfresserin von Valérie Dayre und Wolf Erlbruch die fließenden Grenzen zwischen dem Kranken und Gesunden, Fremden und Eigenen sowie Natur und Kultur auf. Er widmet sich dem kulturgeschichtlich äußerst brisanten Themenfeld der Anthropophagie, die stets dem ‚Anderen‘ in Gestalt des sogenannten Primitiven oder der Hexe zugeschrieben wurde, und verknüpft diese Diskurse mit der Psychoanalyse, die kannibalische Gelüste als Ausdruck einer frühen oralen Phase des Menschen wertet. Mit der Figur einer sowohl seelisch wie körperlich kranken Frau, die ein Kind fressen will, werden Kernfragen des Krankheitsdiskurses berührt: Was ist Krankheit? Ein physisches oder psychisches Phänomen? Ist eine manisch-depressive Menschenfresserin zu fürchten oder zu bemitleiden? Die oft ambivalenten Antworten auf diese Fragen führten bei der Veröffentlichung des Buches zu einem Skandal. Im vorliegenden Beitrag führen sie zu einer Verweigerung linearer Deutung. Das Buch verstößt sowohl inhaltlich als auch ästhetisch gegen die im Bilderbuch geforderte Ästhetik des Einfachen und Naiven. Besonders das Collageprinzip unterstützt dabei die Kraft des Krankheitsbildes, vermeintlich sichere Beziehungsstrukturen aufzulösen. Die ‚kranke‘ Menschenfresserin erscheint als ‚wilde‘ Kriegerin, die sich gegen jede Entwicklungs- und Deutungslogik sperrt und stattdessen auf einen niemals zu tilgenden Urkonflikt des Menschen hinweist: zwischen Mutter und Kind, Ich und Anderem.