{"title":"„Bis zu 8 Monate unschuldig in U-Haft“. Vermutete Medieneinflüsse in Schweizer Programmklagen 1984–2016","authors":"Stefan Gürtler, Ruedi Käch, R. Niederer","doi":"10.5771/1615-634x-2019-4-396","DOIUrl":null,"url":null,"abstract":"Das als «Einfluss des vermuteten Medieneinflusses» (Influence of Presumed Media Influence - IPMI) bekannte Wahrnehmungs- und Handlungsphänomen ist empirisch gut belegt, wird aber hauptsächlich in Publikumsbefragungen nachgewiesen. Es bleibt offen, ob es nur deshalb auftritt, weil Rezipienten danach gefragt werden. Ebenso werden in diesen Studien eher pauschale Wahrnehmungen und Handlungsabsichten festgehalten, nicht aber konkrete Handlungen. Eine Möglichkeit, reale Fälle dieses Phänomens zu studieren, bieten Programmbeschwerden. Wenn Rezipienten einen übermäßigen medialen Einfluss auf die Meinungsbildung feststellen (Wahrnehmungskomponente), können sie dagegen Rechtsmittel ergreifen (Handlungskomponente). In der vorliegenden Untersuchung wurden alle Schweizer Programmbeschwerden gegen elektronische Medien (Radio, TV) aus den Jahren 1984 bis 2016 auf IPMI als Auslöser für die Klage untersucht - was auf ein Viertel der Fälle zutrifft. Untersuchungsgegenstand sind nicht die Klageschriften, sondern die Entscheide. Dank einheitlicher Struktur und Terminologie können sie maschinell ausgewertet werden. Die festgestellten Wahrnehmungsphänomene zeigen ein differenziertes Bild von Laienvorstellungen zu Wirkungsbereichen und -kreisen von Medienberichterstattung: Das Publikum beanstandet vor allem kognitive (Fehlinformation, Behinderung der Willensbildung) und affektive Wirkungen (Missachten von Werten und Gefühlen des Publikums). Kritisiert werden die Sendungen großer TV-Anstalten, was die vermutete Medienreichweite als moderierende Variable des IPMI bestätigt. Überdurchschnittlich häufig betroffen sind die Unterhaltungsprogramme dieser Sender, an denen ein wertkonservatives Publikum über Jahre hinweg Anstoß nimmt.","PeriodicalId":36375,"journal":{"name":"Medien und Kommunikationswissenschaft","volume":"1 1","pages":""},"PeriodicalIF":0.0000,"publicationDate":"2019-01-01","publicationTypes":"Journal Article","fieldsOfStudy":null,"isOpenAccess":false,"openAccessPdf":"","citationCount":"0","resultStr":null,"platform":"Semanticscholar","paperid":null,"PeriodicalName":"Medien und Kommunikationswissenschaft","FirstCategoryId":"1085","ListUrlMain":"https://doi.org/10.5771/1615-634x-2019-4-396","RegionNum":0,"RegionCategory":null,"ArticlePicture":[],"TitleCN":null,"AbstractTextCN":null,"PMCID":null,"EPubDate":"","PubModel":"","JCR":"Q2","JCRName":"Arts and Humanities","Score":null,"Total":0}
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Abstract
Das als «Einfluss des vermuteten Medieneinflusses» (Influence of Presumed Media Influence - IPMI) bekannte Wahrnehmungs- und Handlungsphänomen ist empirisch gut belegt, wird aber hauptsächlich in Publikumsbefragungen nachgewiesen. Es bleibt offen, ob es nur deshalb auftritt, weil Rezipienten danach gefragt werden. Ebenso werden in diesen Studien eher pauschale Wahrnehmungen und Handlungsabsichten festgehalten, nicht aber konkrete Handlungen. Eine Möglichkeit, reale Fälle dieses Phänomens zu studieren, bieten Programmbeschwerden. Wenn Rezipienten einen übermäßigen medialen Einfluss auf die Meinungsbildung feststellen (Wahrnehmungskomponente), können sie dagegen Rechtsmittel ergreifen (Handlungskomponente). In der vorliegenden Untersuchung wurden alle Schweizer Programmbeschwerden gegen elektronische Medien (Radio, TV) aus den Jahren 1984 bis 2016 auf IPMI als Auslöser für die Klage untersucht - was auf ein Viertel der Fälle zutrifft. Untersuchungsgegenstand sind nicht die Klageschriften, sondern die Entscheide. Dank einheitlicher Struktur und Terminologie können sie maschinell ausgewertet werden. Die festgestellten Wahrnehmungsphänomene zeigen ein differenziertes Bild von Laienvorstellungen zu Wirkungsbereichen und -kreisen von Medienberichterstattung: Das Publikum beanstandet vor allem kognitive (Fehlinformation, Behinderung der Willensbildung) und affektive Wirkungen (Missachten von Werten und Gefühlen des Publikums). Kritisiert werden die Sendungen großer TV-Anstalten, was die vermutete Medienreichweite als moderierende Variable des IPMI bestätigt. Überdurchschnittlich häufig betroffen sind die Unterhaltungsprogramme dieser Sender, an denen ein wertkonservatives Publikum über Jahre hinweg Anstoß nimmt.