Pub Date : 1900-01-01DOI: 10.5771/9783956505164-183
A. Wilke
Zweifellos spielt Musik in vielen, vielleicht allen religiösen Traditionen und Kulturen der Welt eine fundamentale Rolle, aber wie wir ebenfalls wissen, war das Verhältnis zwischen Religion und Musik nicht immer ganz einfach, teilweise skeptisch bis ablehnend, oft hoch ambivalent, z. B. im alten China oder in der islamischen Welt. Im hinduistischen Indien ist dies anders. Wohl keine andere große Religionskultur oder sogenannte „Weltreligion“ hat ein so ungebrochenes und geradezu symbiotisches Verhältnis zur Musik entwickelt wie der klassische Hinduismus. Dies ist nicht zuletzt einer ausgesprochen klangzentrierten Lebenswelt zu verdanken und einer außergewöhnlich hohen Wertschätzung des Klanglichen, welche die vielen Hindu-Traditionen quer durch die Jahrhunderte wie ein rotes Band verbindet.1 Diese hohe Wertschätzung beginnt damit, dass religiöse Texte in der gelebten Praxis kaum still gelesen oder nur reflektiert, sondern auch vokalisiert, deklamiert, rezitiert, gesungen und sogar getanzt werden, dass der übliche devotionale Text eine Lieddichtung ist, und dass es eine Reihe musizierender und tanzender Gottheiten gibt, wie die Göttin Sarasvatī und die großen Götter Śiva und Kṛṣṇa, mit denen vielfältige religiöse Vorstellungen von Klang und Musik zur Darstellung kommen. Der erste Teil dieses Artikels soll in diese kulturelle Matrix einführen, für die es typisch ist, dass Sprache, Musik und Bewusstsein/Lebendigkeit als untrennbare Einheit wahrgenommen werden. Im zweiten Teil wird das indische Musikverständnis detaillierter reflektiert. Hierzu gehört nicht nur, dass sich Musik (saṅgīta) klassischerweise dadurch definiert, Emotionen auszulösen und Freude, Verzückung und Absorption herbeizuführen. Vielmehr wird Musik auch mit dem Nāda-Brahman („Klangbrahman“) assoziiert, der Idee eines klanglichen absoluten göttlichen Seins, das die Welt durchdringt und in der Musik, insbesondere der Rāga-Musik, unmittelbar sinnlich und emotional erfahrbar ist. In gewisser Hinsicht ist das komplexe Nāda-Brahman-Konzept Kulminationsund Höhepunkt der indischen Klangzentriertheit. Musik wird hier zum Schlüssel des Weltganzen und eine besonders angenehme Form von Yoga.
{"title":"Klang der Welt und Yoga für jedermann – Religion und Musik in Indien","authors":"A. Wilke","doi":"10.5771/9783956505164-183","DOIUrl":"https://doi.org/10.5771/9783956505164-183","url":null,"abstract":"Zweifellos spielt Musik in vielen, vielleicht allen religiösen Traditionen und Kulturen der Welt eine fundamentale Rolle, aber wie wir ebenfalls wissen, war das Verhältnis zwischen Religion und Musik nicht immer ganz einfach, teilweise skeptisch bis ablehnend, oft hoch ambivalent, z. B. im alten China oder in der islamischen Welt. Im hinduistischen Indien ist dies anders. Wohl keine andere große Religionskultur oder sogenannte „Weltreligion“ hat ein so ungebrochenes und geradezu symbiotisches Verhältnis zur Musik entwickelt wie der klassische Hinduismus. Dies ist nicht zuletzt einer ausgesprochen klangzentrierten Lebenswelt zu verdanken und einer außergewöhnlich hohen Wertschätzung des Klanglichen, welche die vielen Hindu-Traditionen quer durch die Jahrhunderte wie ein rotes Band verbindet.1 Diese hohe Wertschätzung beginnt damit, dass religiöse Texte in der gelebten Praxis kaum still gelesen oder nur reflektiert, sondern auch vokalisiert, deklamiert, rezitiert, gesungen und sogar getanzt werden, dass der übliche devotionale Text eine Lieddichtung ist, und dass es eine Reihe musizierender und tanzender Gottheiten gibt, wie die Göttin Sarasvatī und die großen Götter Śiva und Kṛṣṇa, mit denen vielfältige religiöse Vorstellungen von Klang und Musik zur Darstellung kommen. Der erste Teil dieses Artikels soll in diese kulturelle Matrix einführen, für die es typisch ist, dass Sprache, Musik und Bewusstsein/Lebendigkeit als untrennbare Einheit wahrgenommen werden. Im zweiten Teil wird das indische Musikverständnis detaillierter reflektiert. Hierzu gehört nicht nur, dass sich Musik (saṅgīta) klassischerweise dadurch definiert, Emotionen auszulösen und Freude, Verzückung und Absorption herbeizuführen. Vielmehr wird Musik auch mit dem Nāda-Brahman („Klangbrahman“) assoziiert, der Idee eines klanglichen absoluten göttlichen Seins, das die Welt durchdringt und in der Musik, insbesondere der Rāga-Musik, unmittelbar sinnlich und emotional erfahrbar ist. In gewisser Hinsicht ist das komplexe Nāda-Brahman-Konzept Kulminationsund Höhepunkt der indischen Klangzentriertheit. Musik wird hier zum Schlüssel des Weltganzen und eine besonders angenehme Form von Yoga.","PeriodicalId":410966,"journal":{"name":"Musik und Religion","volume":"35 1","pages":"0"},"PeriodicalIF":0.0,"publicationDate":"1900-01-01","publicationTypes":"Journal Article","fieldsOfStudy":null,"isOpenAccess":false,"openAccessPdf":"","citationCount":null,"resultStr":null,"platform":"Semanticscholar","paperid":"122713780","PeriodicalName":null,"FirstCategoryId":null,"ListUrlMain":null,"RegionNum":0,"RegionCategory":"","ArticlePicture":[],"TitleCN":null,"AbstractTextCN":null,"PMCID":"","EPubDate":null,"PubModel":null,"JCR":null,"JCRName":null,"Score":null,"Total":0}
Pub Date : 1900-01-01DOI: 10.5771/9783956505164-129
Wolfgang Rathert
{"title":"Swing low, sweet chariot? Gospel und Spiritual zwischen Religion und Politik","authors":"Wolfgang Rathert","doi":"10.5771/9783956505164-129","DOIUrl":"https://doi.org/10.5771/9783956505164-129","url":null,"abstract":"","PeriodicalId":410966,"journal":{"name":"Musik und Religion","volume":"15 1","pages":"0"},"PeriodicalIF":0.0,"publicationDate":"1900-01-01","publicationTypes":"Journal Article","fieldsOfStudy":null,"isOpenAccess":false,"openAccessPdf":"","citationCount":null,"resultStr":null,"platform":"Semanticscholar","paperid":"114819711","PeriodicalName":null,"FirstCategoryId":null,"ListUrlMain":null,"RegionNum":0,"RegionCategory":"","ArticlePicture":[],"TitleCN":null,"AbstractTextCN":null,"PMCID":"","EPubDate":null,"PubModel":null,"JCR":null,"JCRName":null,"Score":null,"Total":0}
Pub Date : 1900-01-01DOI: 10.5771/9783956505164-143
Rebekka Sandmeier
The Missionary must have a house. I would on no account allow it to be regarded as a matter of indifference, how or in what kind of dwelling a Missionary should live; nor let it be imagined for a moment, that there is any merit of making oneself miserable in one’s external position; or that untidiness or slovenliness in the dwelling, diet or person, is any thing proper to be seen at a Mission-Station. The Missionary comes among [indigenous] people; and whilst not shrinking from any amount of self-denial, which his work may re-quire, he must not sink to them; nor think that he is exercising any great Christian virtue, when he can boast that he has learnt to live as they. He must be their example in every-thing that is of good report. In his dwelling, his person, his diet, they must be taught to look to him as their superior. 23
{"title":"Missionsstationen im südlichen Afrika – Fluch oder Segen für die musikalische Praxis?","authors":"Rebekka Sandmeier","doi":"10.5771/9783956505164-143","DOIUrl":"https://doi.org/10.5771/9783956505164-143","url":null,"abstract":"The Missionary must have a house. I would on no account allow it to be regarded as a matter of indifference, how or in what kind of dwelling a Missionary should live; nor let it be imagined for a moment, that there is any merit of making oneself miserable in one’s external position; or that untidiness or slovenliness in the dwelling, diet or person, is any thing proper to be seen at a Mission-Station. The Missionary comes among [indigenous] people; and whilst not shrinking from any amount of self-denial, which his work may re-quire, he must not sink to them; nor think that he is exercising any great Christian virtue, when he can boast that he has learnt to live as they. He must be their example in every-thing that is of good report. In his dwelling, his person, his diet, they must be taught to look to him as their superior. 23","PeriodicalId":410966,"journal":{"name":"Musik und Religion","volume":"27 1","pages":"0"},"PeriodicalIF":0.0,"publicationDate":"1900-01-01","publicationTypes":"Journal Article","fieldsOfStudy":null,"isOpenAccess":false,"openAccessPdf":"","citationCount":null,"resultStr":null,"platform":"Semanticscholar","paperid":"129350712","PeriodicalName":null,"FirstCategoryId":null,"ListUrlMain":null,"RegionNum":0,"RegionCategory":"","ArticlePicture":[],"TitleCN":null,"AbstractTextCN":null,"PMCID":"","EPubDate":null,"PubModel":null,"JCR":null,"JCRName":null,"Score":null,"Total":0}
Pub Date : 1900-01-01DOI: 10.5771/9783956505164-235
Verena Grüter
{"title":"Musik in interreligiösen Begegnungen. Religionstheologie und ästhetische Wende","authors":"Verena Grüter","doi":"10.5771/9783956505164-235","DOIUrl":"https://doi.org/10.5771/9783956505164-235","url":null,"abstract":"","PeriodicalId":410966,"journal":{"name":"Musik und Religion","volume":"7 1","pages":"0"},"PeriodicalIF":0.0,"publicationDate":"1900-01-01","publicationTypes":"Journal Article","fieldsOfStudy":null,"isOpenAccess":false,"openAccessPdf":"","citationCount":null,"resultStr":null,"platform":"Semanticscholar","paperid":"121972305","PeriodicalName":null,"FirstCategoryId":null,"ListUrlMain":null,"RegionNum":0,"RegionCategory":"","ArticlePicture":[],"TitleCN":null,"AbstractTextCN":null,"PMCID":"","EPubDate":null,"PubModel":null,"JCR":null,"JCRName":null,"Score":null,"Total":0}
Pub Date : 1900-01-01DOI: 10.5771/9783956505164-163
Bernhard Bleibinger
Die Messe, zelebriert von Kardinal Marx und Bischöfen aus Afrika, war längst vorbei, aber noch immer wurde im Münchener Dom auf die Musik der African Marimba Band des Music Departments der University of Fort Hare getanzt und gesungen. Wie zuvor im Gottesdienst, spielte die Gruppe um Jonathan Ncozana mit der Unterstützung von Dave Dargie und seiner Frau Moni an jenem Sonntag im Oktober 2013 indigene Kirchenmusik der amaXhosa aus der Eastern Cape Province in Südafrika. Das spontan aus dem Schlussgesang entstandene Kirchenkonzert musste allerdings nach einer halben Stunde unterbrochen werden, da Raum und Zeit für die nächste Sonntagsmesse benötigt wurden. Kirchenmusik, wie ich Dave Dargie des Öfteren sagen hörte, sollte die Herzen der Gemeinde berühren und sie zur aktiven Teilnahme am Gottesdienst einladen, sie soll verständlich sein und zur Befreiung der Menschen beitragen. Singen und Rhythmus (teils auch instrumentales Spiel), die Kernelemente der aktiven Teilnahme, sind typische Bestandteile in der Musik der Xhosa, die, wie viele andere afrikanische Musiken, als „Gemeinschaftsmusik“ beschrieben werden könnte. Ihr Gebrauch im katholischen Gottesdienst hängt teils mit den Beschlüssen des zweiten Vatikanischen Konzils und teils mit Dargies Wirken im Eastern Cape zusammen. Entscheidende und richtungsweisende Impulse kamen dabei auch von zwei aus Deutschland stammenden Bischöfen, die die Verwendung indigener Musik in der Liturgie im Zuge des zweiten Vatikanums förderten und Dargie bei seiner Arbeit unterstützten. Im folgenden Beitrag werde ich mich nach einer kurzen Einführung in die Eastern Cape Provinz mit Dargies Vita und Schaffen in Zusammenhang mit dem zweiten Vatikanum widmen. Dabei werde ich versuchen, auch Standpunkte der Kirche einfließen zu lassen. Am Ende folgt eine kurze Beschreibung zu Dargies Tätigkeit als Leiter von Workshops sowie als Katalysator und Mitgestalter der indigenen Kirchenmusik in Südafrika.
{"title":"Indigene Musik im katholischen Gottesdienst. Dave Dargie, Ntsikana und das Zweite Vatikanische Konzil","authors":"Bernhard Bleibinger","doi":"10.5771/9783956505164-163","DOIUrl":"https://doi.org/10.5771/9783956505164-163","url":null,"abstract":"Die Messe, zelebriert von Kardinal Marx und Bischöfen aus Afrika, war längst vorbei, aber noch immer wurde im Münchener Dom auf die Musik der African Marimba Band des Music Departments der University of Fort Hare getanzt und gesungen. Wie zuvor im Gottesdienst, spielte die Gruppe um Jonathan Ncozana mit der Unterstützung von Dave Dargie und seiner Frau Moni an jenem Sonntag im Oktober 2013 indigene Kirchenmusik der amaXhosa aus der Eastern Cape Province in Südafrika. Das spontan aus dem Schlussgesang entstandene Kirchenkonzert musste allerdings nach einer halben Stunde unterbrochen werden, da Raum und Zeit für die nächste Sonntagsmesse benötigt wurden. Kirchenmusik, wie ich Dave Dargie des Öfteren sagen hörte, sollte die Herzen der Gemeinde berühren und sie zur aktiven Teilnahme am Gottesdienst einladen, sie soll verständlich sein und zur Befreiung der Menschen beitragen. Singen und Rhythmus (teils auch instrumentales Spiel), die Kernelemente der aktiven Teilnahme, sind typische Bestandteile in der Musik der Xhosa, die, wie viele andere afrikanische Musiken, als „Gemeinschaftsmusik“ beschrieben werden könnte. Ihr Gebrauch im katholischen Gottesdienst hängt teils mit den Beschlüssen des zweiten Vatikanischen Konzils und teils mit Dargies Wirken im Eastern Cape zusammen. Entscheidende und richtungsweisende Impulse kamen dabei auch von zwei aus Deutschland stammenden Bischöfen, die die Verwendung indigener Musik in der Liturgie im Zuge des zweiten Vatikanums förderten und Dargie bei seiner Arbeit unterstützten. Im folgenden Beitrag werde ich mich nach einer kurzen Einführung in die Eastern Cape Provinz mit Dargies Vita und Schaffen in Zusammenhang mit dem zweiten Vatikanum widmen. Dabei werde ich versuchen, auch Standpunkte der Kirche einfließen zu lassen. Am Ende folgt eine kurze Beschreibung zu Dargies Tätigkeit als Leiter von Workshops sowie als Katalysator und Mitgestalter der indigenen Kirchenmusik in Südafrika.","PeriodicalId":410966,"journal":{"name":"Musik und Religion","volume":"95 1","pages":"0"},"PeriodicalIF":0.0,"publicationDate":"1900-01-01","publicationTypes":"Journal Article","fieldsOfStudy":null,"isOpenAccess":false,"openAccessPdf":"","citationCount":null,"resultStr":null,"platform":"Semanticscholar","paperid":"126917231","PeriodicalName":null,"FirstCategoryId":null,"ListUrlMain":null,"RegionNum":0,"RegionCategory":"","ArticlePicture":[],"TitleCN":null,"AbstractTextCN":null,"PMCID":"","EPubDate":null,"PubModel":null,"JCR":null,"JCRName":null,"Score":null,"Total":0}
{"title":"Titelei/Inhaltsverzeichnis","authors":"","doi":"10.5771/9783956505164-1","DOIUrl":"https://doi.org/10.5771/9783956505164-1","url":null,"abstract":"","PeriodicalId":410966,"journal":{"name":"Musik und Religion","volume":"128 1","pages":"0"},"PeriodicalIF":0.0,"publicationDate":"1900-01-01","publicationTypes":"Journal Article","fieldsOfStudy":null,"isOpenAccess":false,"openAccessPdf":"","citationCount":null,"resultStr":null,"platform":"Semanticscholar","paperid":"132677142","PeriodicalName":null,"FirstCategoryId":null,"ListUrlMain":null,"RegionNum":0,"RegionCategory":"","ArticlePicture":[],"TitleCN":null,"AbstractTextCN":null,"PMCID":"","EPubDate":null,"PubModel":null,"JCR":null,"JCRName":null,"Score":null,"Total":0}
Pub Date : 1900-01-01DOI: 10.5771/9783956505164-73
Konstantin Nikolakopoulos
{"title":"Die byzantinische Musik beim Vollzug der griechisch-orthodoxen Gottesdienste","authors":"Konstantin Nikolakopoulos","doi":"10.5771/9783956505164-73","DOIUrl":"https://doi.org/10.5771/9783956505164-73","url":null,"abstract":"","PeriodicalId":410966,"journal":{"name":"Musik und Religion","volume":"22 1","pages":"0"},"PeriodicalIF":0.0,"publicationDate":"1900-01-01","publicationTypes":"Journal Article","fieldsOfStudy":null,"isOpenAccess":false,"openAccessPdf":"","citationCount":null,"resultStr":null,"platform":"Semanticscholar","paperid":"122474333","PeriodicalName":null,"FirstCategoryId":null,"ListUrlMain":null,"RegionNum":0,"RegionCategory":"","ArticlePicture":[],"TitleCN":null,"AbstractTextCN":null,"PMCID":"","EPubDate":null,"PubModel":null,"JCR":null,"JCRName":null,"Score":null,"Total":0}
Pub Date : 1900-01-01DOI: 10.5771/9783956505164-85
Jürgen Heidrich
Dass die reformatorische Bewegung als ein vielschichtiger Kommunikationsprozess begriffen werden muss, ist unstrittig: Insbesondere deren Frühzeit kann als ein Vorgang verstanden werden, „dessen Verlauf und dessen Dynamik durch Kommunikation, das heißt den Austausch von Mitteilungen und die Verständigung über diese“ gekennzeichnet ist.1 Unabdingbar erschien sämtlichen beteiligten politischen wie religiösen Parteien und Strömungen, eine regelrechte reformatorische Öffentlichkeit nicht nur herzustellen, sondern in die Gestaltungsprozesse einzubinden, im weiteren Sinne insbesondere für die eigene Position zu gewinnen. Und so hat sich mit Blick auf die reformatorische Bewegung die Vorstellung eines kommunikationswissenschaftlichen Medienereignisses durchgesetzt, das durch den Wandel von einer „Kommunikation unter Anwesenden“ zur „medialen Kommunikation“ gekennzeichnet ist.2 Zugleich ist ein anderer Transformationsprozess bemerkenswert: Galt als wesentliche vorreformatorische Intention des Publikationswesens die Vermittlung bzw. Konservierung von Wissen, so wandelte sich nun der Charakter des Schrifttums in Richtung der Vermittlung von (aktuellen) Meinungen.3 Wichtige Zentren des Publikationswesens waren zunächst Augsburg, Basel, Leipzig, Nürnberg und Straßburg; alsbald trat auch Wittenberg hinzu: Bereits nach wenigen Jahren war die Stadt der Reformation hinter Augsburg die zweitbedeutendste im Blick auf die Produktion reformatorischen Schrifttums. Dass sich dessen Herstellung und Verbreitung zum Teil nur gegen erhebliche Widerstände, ja eine regelrechte Zensur durchsetzen ließ, sei nur am Rande erwähnt. Die Aufzählung der Druckorte verweist allerdings noch auf einen anderen Sachverhalt: Der Kommunikationsprozess der Reformation war ein „urban event“, und eine reformatorische Öffentlichkeit war zunächst vor allem in den Städten zu erreichen.
{"title":"Lieder der Reformationszeit: Konfessionelle, politische und gesellschaftliche Implikationen","authors":"Jürgen Heidrich","doi":"10.5771/9783956505164-85","DOIUrl":"https://doi.org/10.5771/9783956505164-85","url":null,"abstract":"Dass die reformatorische Bewegung als ein vielschichtiger Kommunikationsprozess begriffen werden muss, ist unstrittig: Insbesondere deren Frühzeit kann als ein Vorgang verstanden werden, „dessen Verlauf und dessen Dynamik durch Kommunikation, das heißt den Austausch von Mitteilungen und die Verständigung über diese“ gekennzeichnet ist.1 Unabdingbar erschien sämtlichen beteiligten politischen wie religiösen Parteien und Strömungen, eine regelrechte reformatorische Öffentlichkeit nicht nur herzustellen, sondern in die Gestaltungsprozesse einzubinden, im weiteren Sinne insbesondere für die eigene Position zu gewinnen. Und so hat sich mit Blick auf die reformatorische Bewegung die Vorstellung eines kommunikationswissenschaftlichen Medienereignisses durchgesetzt, das durch den Wandel von einer „Kommunikation unter Anwesenden“ zur „medialen Kommunikation“ gekennzeichnet ist.2 Zugleich ist ein anderer Transformationsprozess bemerkenswert: Galt als wesentliche vorreformatorische Intention des Publikationswesens die Vermittlung bzw. Konservierung von Wissen, so wandelte sich nun der Charakter des Schrifttums in Richtung der Vermittlung von (aktuellen) Meinungen.3 Wichtige Zentren des Publikationswesens waren zunächst Augsburg, Basel, Leipzig, Nürnberg und Straßburg; alsbald trat auch Wittenberg hinzu: Bereits nach wenigen Jahren war die Stadt der Reformation hinter Augsburg die zweitbedeutendste im Blick auf die Produktion reformatorischen Schrifttums. Dass sich dessen Herstellung und Verbreitung zum Teil nur gegen erhebliche Widerstände, ja eine regelrechte Zensur durchsetzen ließ, sei nur am Rande erwähnt. Die Aufzählung der Druckorte verweist allerdings noch auf einen anderen Sachverhalt: Der Kommunikationsprozess der Reformation war ein „urban event“, und eine reformatorische Öffentlichkeit war zunächst vor allem in den Städten zu erreichen.","PeriodicalId":410966,"journal":{"name":"Musik und Religion","volume":"8 1","pages":"0"},"PeriodicalIF":0.0,"publicationDate":"1900-01-01","publicationTypes":"Journal Article","fieldsOfStudy":null,"isOpenAccess":false,"openAccessPdf":"","citationCount":null,"resultStr":null,"platform":"Semanticscholar","paperid":"123739545","PeriodicalName":null,"FirstCategoryId":null,"ListUrlMain":null,"RegionNum":0,"RegionCategory":"","ArticlePicture":[],"TitleCN":null,"AbstractTextCN":null,"PMCID":"","EPubDate":null,"PubModel":null,"JCR":null,"JCRName":null,"Score":null,"Total":0}
Pub Date : 1900-01-01DOI: 10.5771/9783956505164-35
H. Buchinger
Mehr als andere liturgische Gattungen tragen die Gesänge des Gottesdienstes zur charakteristischen Wahrnehmung liturgischer Stile, Theologien und Spiritualitäten bei. Für Befürworter gleichermaßen wie für Gegner einer lateinischen Einheitsli-turgie stellt der Gregorianische Gesang das vielleicht wichtigste Erkennungszei-chen des traditionellen römischen Ritus dar. Die Liturgiekonstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils hielt denn auch fest: „Die Kirche betrachtet den Gregorianischen Gesang als den der römischen Liturgie eigenen; er soll darum in den liturgischen Handlungen, wenn im übrigen die gleichen Voraussetzungen gegeben sind, den ersten Platz einnehmen.“ 1 Im Folgenden soll zunächst zusammengefasst werden, was in den modernen lehramtlichen Äußerungen über die Gregorianik gesagt und impliziert wird (1); sodann wird skizziert, wann und wie der Anspruch Gregorianischer Herkunft des Repertoires historisch erstmals erhoben wurde (2). Schließlich wird kritisch nach dem Verhältnis von Tradition und Innovation in der Überlieferung des Gregorianischen Gesanges gefragt (3): Was lässt sich tatsächlich über Umstände und Charakter seiner Kodifikation sagen; wie alt ist das Repertoire und wie wurde es verbreitet? 2 Dabei wird in erster Linie vom Gregorianischen Kernrepertoire der Messe die Rede sein, also jenen Stücken, die bereits in 1 Sacrosanctum
{"title":"„… der römischen Liturgie eigen“? Anspruch und Geschichte der sogenannten Gregorianik","authors":"H. Buchinger","doi":"10.5771/9783956505164-35","DOIUrl":"https://doi.org/10.5771/9783956505164-35","url":null,"abstract":"Mehr als andere liturgische Gattungen tragen die Gesänge des Gottesdienstes zur charakteristischen Wahrnehmung liturgischer Stile, Theologien und Spiritualitäten bei. Für Befürworter gleichermaßen wie für Gegner einer lateinischen Einheitsli-turgie stellt der Gregorianische Gesang das vielleicht wichtigste Erkennungszei-chen des traditionellen römischen Ritus dar. Die Liturgiekonstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils hielt denn auch fest: „Die Kirche betrachtet den Gregorianischen Gesang als den der römischen Liturgie eigenen; er soll darum in den liturgischen Handlungen, wenn im übrigen die gleichen Voraussetzungen gegeben sind, den ersten Platz einnehmen.“ 1 Im Folgenden soll zunächst zusammengefasst werden, was in den modernen lehramtlichen Äußerungen über die Gregorianik gesagt und impliziert wird (1); sodann wird skizziert, wann und wie der Anspruch Gregorianischer Herkunft des Repertoires historisch erstmals erhoben wurde (2). Schließlich wird kritisch nach dem Verhältnis von Tradition und Innovation in der Überlieferung des Gregorianischen Gesanges gefragt (3): Was lässt sich tatsächlich über Umstände und Charakter seiner Kodifikation sagen; wie alt ist das Repertoire und wie wurde es verbreitet? 2 Dabei wird in erster Linie vom Gregorianischen Kernrepertoire der Messe die Rede sein, also jenen Stücken, die bereits in 1 Sacrosanctum","PeriodicalId":410966,"journal":{"name":"Musik und Religion","volume":"26 1","pages":"0"},"PeriodicalIF":0.0,"publicationDate":"1900-01-01","publicationTypes":"Journal Article","fieldsOfStudy":null,"isOpenAccess":false,"openAccessPdf":"","citationCount":null,"resultStr":null,"platform":"Semanticscholar","paperid":"115181247","PeriodicalName":null,"FirstCategoryId":null,"ListUrlMain":null,"RegionNum":0,"RegionCategory":"","ArticlePicture":[],"TitleCN":null,"AbstractTextCN":null,"PMCID":"","EPubDate":null,"PubModel":null,"JCR":null,"JCRName":null,"Score":null,"Total":0}
Pub Date : 1900-01-01DOI: 10.5771/9783956505164-51
Martin Lüstraeten
{"title":"„Und wir wissen nicht: Sind wir im Himmel gewesen oder auf der Erde?“ Die Byzantinische Vesper und ihre Genese","authors":"Martin Lüstraeten","doi":"10.5771/9783956505164-51","DOIUrl":"https://doi.org/10.5771/9783956505164-51","url":null,"abstract":"","PeriodicalId":410966,"journal":{"name":"Musik und Religion","volume":"12 1","pages":"0"},"PeriodicalIF":0.0,"publicationDate":"1900-01-01","publicationTypes":"Journal Article","fieldsOfStudy":null,"isOpenAccess":false,"openAccessPdf":"","citationCount":null,"resultStr":null,"platform":"Semanticscholar","paperid":"115491903","PeriodicalName":null,"FirstCategoryId":null,"ListUrlMain":null,"RegionNum":0,"RegionCategory":"","ArticlePicture":[],"TitleCN":null,"AbstractTextCN":null,"PMCID":"","EPubDate":null,"PubModel":null,"JCR":null,"JCRName":null,"Score":null,"Total":0}