Pub Date : 2020-07-28DOI: 10.5771/9783748910589-359
Martin Splett
Die Corona-Pandemie hat eine weltweite Krise ausgelöst, die praktisch jeden auf die eine oder andere Weise betrifft – wenn nicht durch Infektion oder die Angst davor, dann durch vielfältige Auswirkungen von Schutzmaßnahmen; wenn nicht durch eigenes Leid, dann durch Mitgefühl mit Leidenden. Diese Krise drängt zum Nachdenken darüber, was nun praktisch zu tun ist; und das geschieht auch vielfach. Dieser philosophischtheologische Text hingegen beschäftigt sich mit der Frage, was die CoronaKrise und ihre Bekämpfung über unsere menschliche Existenz und über Gott aussagt bzw. in Erinnerung ruft1. Für die These, dass die Beschäftigung mit Sinnfragen kein intellektuelles Glasperlenspiel ist, sei als glaubwürdiger Zeuge der jüdische Psychiater Viktor Frankl2 angeführt: Er hat eine schlimme Zeit im Konzentrationslager überlebt, weil er ihr Sinn abgewinnen konnte. Die von ihm entwickelte Logotherapie hilft dabei, bedrohliche Situationen durch Sinngebung besser in den Griff zu bekommen. Einer Not und Krise, die man erklären kann, scheint man nicht mehr so ohnmächtig ausgeliefert zu sein. Dieser Mechanismus wirkt in verquerer Weise auch bei Verschwörungserzählungen (von Theorien sollte man hier wirklich nicht sprechen) rund um die Corona-Pandemie. Dasselbe gilt auch für das Phänomen „Schuld“: Sowohl massive Selbstvorwürfe wie die Suche nach Schuldigen bzw. Sündenböcken bieten Sinnzusammenhänge und verschaffen dadurch zunächst eine gewisse Erleichterung; doch Vorwürfe und Bestrafungen lösen langfristig keine Krise. Des Weiteren sei vor einer zu einseitigen Rede von der „Krise als Chance“ gewarnt: Natürlich soll man nach Ursachen forschen und Lehren für die Zukunft ziehen – für menschliches Zusammenleben, für den Umgang mit der Natur oder auch für Kirche und Seelsorge. Zudem begünstigt eine
{"title":"Das Virus, der sterbliche Mensch und Gott – vom existentiellen Sinn in der Krise zur existentiellen Sinn-Krise und zurück","authors":"Martin Splett","doi":"10.5771/9783748910589-359","DOIUrl":"https://doi.org/10.5771/9783748910589-359","url":null,"abstract":"Die Corona-Pandemie hat eine weltweite Krise ausgelöst, die praktisch jeden auf die eine oder andere Weise betrifft – wenn nicht durch Infektion oder die Angst davor, dann durch vielfältige Auswirkungen von Schutzmaßnahmen; wenn nicht durch eigenes Leid, dann durch Mitgefühl mit Leidenden. Diese Krise drängt zum Nachdenken darüber, was nun praktisch zu tun ist; und das geschieht auch vielfach. Dieser philosophischtheologische Text hingegen beschäftigt sich mit der Frage, was die CoronaKrise und ihre Bekämpfung über unsere menschliche Existenz und über Gott aussagt bzw. in Erinnerung ruft1. Für die These, dass die Beschäftigung mit Sinnfragen kein intellektuelles Glasperlenspiel ist, sei als glaubwürdiger Zeuge der jüdische Psychiater Viktor Frankl2 angeführt: Er hat eine schlimme Zeit im Konzentrationslager überlebt, weil er ihr Sinn abgewinnen konnte. Die von ihm entwickelte Logotherapie hilft dabei, bedrohliche Situationen durch Sinngebung besser in den Griff zu bekommen. Einer Not und Krise, die man erklären kann, scheint man nicht mehr so ohnmächtig ausgeliefert zu sein. Dieser Mechanismus wirkt in verquerer Weise auch bei Verschwörungserzählungen (von Theorien sollte man hier wirklich nicht sprechen) rund um die Corona-Pandemie. Dasselbe gilt auch für das Phänomen „Schuld“: Sowohl massive Selbstvorwürfe wie die Suche nach Schuldigen bzw. Sündenböcken bieten Sinnzusammenhänge und verschaffen dadurch zunächst eine gewisse Erleichterung; doch Vorwürfe und Bestrafungen lösen langfristig keine Krise. Des Weiteren sei vor einer zu einseitigen Rede von der „Krise als Chance“ gewarnt: Natürlich soll man nach Ursachen forschen und Lehren für die Zukunft ziehen – für menschliches Zusammenleben, für den Umgang mit der Natur oder auch für Kirche und Seelsorge. Zudem begünstigt eine","PeriodicalId":441173,"journal":{"name":"Die Corona-Pandemie","volume":"93 1","pages":"0"},"PeriodicalIF":0.0,"publicationDate":"2020-07-28","publicationTypes":"Journal Article","fieldsOfStudy":null,"isOpenAccess":false,"openAccessPdf":"","citationCount":null,"resultStr":null,"platform":"Semanticscholar","paperid":"131508934","PeriodicalName":null,"FirstCategoryId":null,"ListUrlMain":null,"RegionNum":0,"RegionCategory":"","ArticlePicture":[],"TitleCN":null,"AbstractTextCN":null,"PMCID":"","EPubDate":null,"PubModel":null,"JCR":null,"JCRName":null,"Score":null,"Total":0}
Pub Date : 2020-07-28DOI: 10.5771/9783748910589-23
E. Schockenhoff
{"title":"Die Ad-hoc-Empfehlung des Deutschen Ethikrats zur Corona-Pandemie","authors":"E. Schockenhoff","doi":"10.5771/9783748910589-23","DOIUrl":"https://doi.org/10.5771/9783748910589-23","url":null,"abstract":"","PeriodicalId":441173,"journal":{"name":"Die Corona-Pandemie","volume":"29 1","pages":"0"},"PeriodicalIF":0.0,"publicationDate":"2020-07-28","publicationTypes":"Journal Article","fieldsOfStudy":null,"isOpenAccess":false,"openAccessPdf":"","citationCount":null,"resultStr":null,"platform":"Semanticscholar","paperid":"122946810","PeriodicalName":null,"FirstCategoryId":null,"ListUrlMain":null,"RegionNum":0,"RegionCategory":"","ArticlePicture":[],"TitleCN":null,"AbstractTextCN":null,"PMCID":"","EPubDate":null,"PubModel":null,"JCR":null,"JCRName":null,"Score":null,"Total":0}
Pub Date : 2020-07-28DOI: 10.5771/9783748910589-271
M. Schmidhuber
{"title":"Vulnerabilität in der Krise","authors":"M. Schmidhuber","doi":"10.5771/9783748910589-271","DOIUrl":"https://doi.org/10.5771/9783748910589-271","url":null,"abstract":"","PeriodicalId":441173,"journal":{"name":"Die Corona-Pandemie","volume":"57 1","pages":"0"},"PeriodicalIF":0.0,"publicationDate":"2020-07-28","publicationTypes":"Journal Article","fieldsOfStudy":null,"isOpenAccess":false,"openAccessPdf":"","citationCount":null,"resultStr":null,"platform":"Semanticscholar","paperid":"121453155","PeriodicalName":null,"FirstCategoryId":null,"ListUrlMain":null,"RegionNum":0,"RegionCategory":"","ArticlePicture":[],"TitleCN":null,"AbstractTextCN":null,"PMCID":"","EPubDate":null,"PubModel":null,"JCR":null,"JCRName":null,"Score":null,"Total":0}
Pub Date : 2020-07-28DOI: 10.5771/9783748910589-341
U. Körtner
{"title":"Ethik in Zeiten von Corona. Eine diakonisch-ethische Perspektive","authors":"U. Körtner","doi":"10.5771/9783748910589-341","DOIUrl":"https://doi.org/10.5771/9783748910589-341","url":null,"abstract":"","PeriodicalId":441173,"journal":{"name":"Die Corona-Pandemie","volume":"72 1","pages":"0"},"PeriodicalIF":0.0,"publicationDate":"2020-07-28","publicationTypes":"Journal Article","fieldsOfStudy":null,"isOpenAccess":false,"openAccessPdf":"","citationCount":null,"resultStr":null,"platform":"Semanticscholar","paperid":"133927051","PeriodicalName":null,"FirstCategoryId":null,"ListUrlMain":null,"RegionNum":0,"RegionCategory":"","ArticlePicture":[],"TitleCN":null,"AbstractTextCN":null,"PMCID":"","EPubDate":null,"PubModel":null,"JCR":null,"JCRName":null,"Score":null,"Total":0}
Pub Date : 2020-07-28DOI: 10.5771/9783748910589-313
C. Seidl
In der Diözese Regensburg gibt es die Stelle „Seelsorge für Berufe im Gesundheitsund Sozialwesen“, die aus den früheren Bereichen „Seelsorge für Pflegeberufe“ und „Seelsorge für Beratungsdienste“ entstanden ist. Dieser Fachbereich ist gekoppelt mit der Koordination der Krankenhausund Hospizseelsorge im Bistum. Aus dieser Perspektive ist es besonders interessant zu reflektieren, was diese helfenden Berufe in der Krisenzeit besonders belastet und was ihnen selbst seelsorglich guttun kann. Helfende Berufe leisten auch in schwierigen Zeiten das, wozu sie ausgebildet wurden und wozu sie angetreten sind: nämlich anderen in ihrer Not beizustehen, sie zu unterstützen, sie zu entlasten. Aber in einer Pandemie können die eigenen Kräfte rasch an die Grenzen gelangen. Dass Pflegende und Beratende systemrelevant sind, steht außer Frage. Aber ist es Seelsorge? Die Krise macht deutlich, dass sie eminent dazu beiträgt, denen „in vorderster Linie“ den Rücken zu stärken, indem sie „Atemraum“ schafft.
{"title":"„Sein Unglück ausatmen können“. Hilfe für die Helfenden","authors":"C. Seidl","doi":"10.5771/9783748910589-313","DOIUrl":"https://doi.org/10.5771/9783748910589-313","url":null,"abstract":"In der Diözese Regensburg gibt es die Stelle „Seelsorge für Berufe im Gesundheitsund Sozialwesen“, die aus den früheren Bereichen „Seelsorge für Pflegeberufe“ und „Seelsorge für Beratungsdienste“ entstanden ist. Dieser Fachbereich ist gekoppelt mit der Koordination der Krankenhausund Hospizseelsorge im Bistum. Aus dieser Perspektive ist es besonders interessant zu reflektieren, was diese helfenden Berufe in der Krisenzeit besonders belastet und was ihnen selbst seelsorglich guttun kann. Helfende Berufe leisten auch in schwierigen Zeiten das, wozu sie ausgebildet wurden und wozu sie angetreten sind: nämlich anderen in ihrer Not beizustehen, sie zu unterstützen, sie zu entlasten. Aber in einer Pandemie können die eigenen Kräfte rasch an die Grenzen gelangen. Dass Pflegende und Beratende systemrelevant sind, steht außer Frage. Aber ist es Seelsorge? Die Krise macht deutlich, dass sie eminent dazu beiträgt, denen „in vorderster Linie“ den Rücken zu stärken, indem sie „Atemraum“ schafft.","PeriodicalId":441173,"journal":{"name":"Die Corona-Pandemie","volume":"3 1","pages":"0"},"PeriodicalIF":0.0,"publicationDate":"2020-07-28","publicationTypes":"Journal Article","fieldsOfStudy":null,"isOpenAccess":false,"openAccessPdf":"","citationCount":null,"resultStr":null,"platform":"Semanticscholar","paperid":"120953002","PeriodicalName":null,"FirstCategoryId":null,"ListUrlMain":null,"RegionNum":0,"RegionCategory":"","ArticlePicture":[],"TitleCN":null,"AbstractTextCN":null,"PMCID":"","EPubDate":null,"PubModel":null,"JCR":null,"JCRName":null,"Score":null,"Total":0}
Pub Date : 2020-07-28DOI: 10.5771/9783748910589-379
Christa Tax, Gebhard Falzberger, W. Kröll
{"title":"Der Umgang mit der Covid-19-Krise aus der Sicht der kollegialen Führung eines Universitätsklinikums","authors":"Christa Tax, Gebhard Falzberger, W. Kröll","doi":"10.5771/9783748910589-379","DOIUrl":"https://doi.org/10.5771/9783748910589-379","url":null,"abstract":"","PeriodicalId":441173,"journal":{"name":"Die Corona-Pandemie","volume":"113 1","pages":"0"},"PeriodicalIF":0.0,"publicationDate":"2020-07-28","publicationTypes":"Journal Article","fieldsOfStudy":null,"isOpenAccess":false,"openAccessPdf":"","citationCount":null,"resultStr":null,"platform":"Semanticscholar","paperid":"117106000","PeriodicalName":null,"FirstCategoryId":null,"ListUrlMain":null,"RegionNum":0,"RegionCategory":"","ArticlePicture":[],"TitleCN":null,"AbstractTextCN":null,"PMCID":"","EPubDate":null,"PubModel":null,"JCR":null,"JCRName":null,"Score":null,"Total":0}
Pub Date : 2020-07-28DOI: 10.5771/9783748910589-119
W. Wolbert
Anlässlich von möglichen Triage-Problemen im Zuge der CoronaPandemie wie auch in anderen Kontexten werden bisweilen zwei ethische Ansätze gegenübergestellt: eine Ethik der Würde gegen einen utilitaristischen Ansatz. In anderen Kontexten, etwa in Lehrbüchern der Ethik, findet man unter den normativen Theorien häufig „Kantianismus“ als Alternative zum „Utilitarismus“; schließlich verbindet sich die Idee der Menschenwürde vor allem mit dem Namen Kant. Die Idee, dass beides nicht zusammenpasst, ist nach Richard M. Hare die „current orthodoxy“ mindestens seit dem frühen 20. Jahrhundert.1 Da das Wort „Utilitarismus“ im deutschen Sprachraum – spätestens seit Nicolai Hartmann2 – mit negativen Konnotationen verbunden ist, scheint sich von der genannten Opposition her eine Ethik der Würde zu empfehlen. Das ist allerdings nicht in jedem Kontext so. So hat man etwa in der Diskussion um die Nutzung embryonaler Stammzellen von der „Ethik der Würde“ eine „Ethik des Heilens“ unterschieden und durch diese Terminologie natürlich bereits eine klare Präferenz für die letztere Position zum Ausdruck gebracht. In dieser Distinktion erscheint eine Ethik der Würde eher als eine Art Bremsklotz,
在冠状动脉大流行可能引发的道德问题以及其他背景下,本论文有时要对比两种道德方针:尊严的伦理与功利主义方法。在其他背景下,例如在那些道德规范理论中,在规范理论中往往可以找到“常规主义”作为“实用主义”的另一种替代品。毕竟,人类尊严的观念主要同康德这个名字联系在一起。这些东西并不匹配的看法,被理查德·海尔(Richard m Hare)认为自20年代初就有《当代正统》了。100 .1自从妮科莱·哈特曼2发生后,德语中“实用主义主义”这个词就一直与负面内涵联系在一起,上述反对词似乎就提出了一种尊严的伦理。然而,并非每个情况都如此。比如,在关于使用胚胎干细胞的讨论中,“尊严伦理”与“治疗伦理”之间有着明显的区别,当然,这些术语已经表明人们对后者的立场有了明显的偏好。现在,在这一灾难中,道德尊严更像是一块刹车
{"title":"Kantianismus, Utilitarismus und die Menschenwürde","authors":"W. Wolbert","doi":"10.5771/9783748910589-119","DOIUrl":"https://doi.org/10.5771/9783748910589-119","url":null,"abstract":"Anlässlich von möglichen Triage-Problemen im Zuge der CoronaPandemie wie auch in anderen Kontexten werden bisweilen zwei ethische Ansätze gegenübergestellt: eine Ethik der Würde gegen einen utilitaristischen Ansatz. In anderen Kontexten, etwa in Lehrbüchern der Ethik, findet man unter den normativen Theorien häufig „Kantianismus“ als Alternative zum „Utilitarismus“; schließlich verbindet sich die Idee der Menschenwürde vor allem mit dem Namen Kant. Die Idee, dass beides nicht zusammenpasst, ist nach Richard M. Hare die „current orthodoxy“ mindestens seit dem frühen 20. Jahrhundert.1 Da das Wort „Utilitarismus“ im deutschen Sprachraum – spätestens seit Nicolai Hartmann2 – mit negativen Konnotationen verbunden ist, scheint sich von der genannten Opposition her eine Ethik der Würde zu empfehlen. Das ist allerdings nicht in jedem Kontext so. So hat man etwa in der Diskussion um die Nutzung embryonaler Stammzellen von der „Ethik der Würde“ eine „Ethik des Heilens“ unterschieden und durch diese Terminologie natürlich bereits eine klare Präferenz für die letztere Position zum Ausdruck gebracht. In dieser Distinktion erscheint eine Ethik der Würde eher als eine Art Bremsklotz,","PeriodicalId":441173,"journal":{"name":"Die Corona-Pandemie","volume":"267 1","pages":"0"},"PeriodicalIF":0.0,"publicationDate":"2020-07-28","publicationTypes":"Journal Article","fieldsOfStudy":null,"isOpenAccess":false,"openAccessPdf":"","citationCount":null,"resultStr":null,"platform":"Semanticscholar","paperid":"115673890","PeriodicalName":null,"FirstCategoryId":null,"ListUrlMain":null,"RegionNum":0,"RegionCategory":"","ArticlePicture":[],"TitleCN":null,"AbstractTextCN":null,"PMCID":"","EPubDate":null,"PubModel":null,"JCR":null,"JCRName":null,"Score":null,"Total":0}
Pub Date : 2020-07-28DOI: 10.5771/9783748910589-51
Nadine Brühwiler, S. Romagnoli, Jean-Daniel Strub
In der Schweiz setzte der Bundesrat am 16. März 2020 die „außerordentliche Lage“ in Kraft. Zu normalen Zeiten ist die Landesregierung im föderalistisch organisierten Schweizer Staatswesen in Gesundheitsbelangen mit vergleichsweise geringen Kompetenzen ausgestattet. Die Hoheit liegt hier bei den Kantonen, und tatsächlich variierte deren Umgang mit der Bedrohung durch das neue Coronavirus bis Mitte März beträchtlich. Dies auch deshalb, weil die einzelnen Landesteile – nicht nur zu Beginn, sondern während der gesamten coronabedingten Ausnahmesituation – in sehr unterschiedlichem Ausmaß von Covid-19 betroffen waren. Unter den Gegebenheiten der „außerordentlichen Lage“, die – gestützt auf die noch sehr junge gesetzliche Grundlage des Bundesgesetzes „über die Bekämpfung übertragbarer Krankheiten des Menschen“ (dem Epidemiengesetz vom 28. September 2012) – erstmals überhaupt zur Anwendung kam, konnte der Bundesrat nun jedoch weitreichende Maßnahmen für die ganze Schweiz beschließen. Ein „Lockdown“, vergleichbar mit den ungefähr zeitgleich beschlossenen Maßnahmen ihrer deutschsprachigen Nachbarländer, war damit auch in der Schweiz Tatsache. Zu den Maßnahmen gehörten unter anderem ein Versammlungsverbot, die sofortige Schließung der meisten Läden und aller Schulen, das Aufgebot der Armee zur Unterstützung der kantonalen Behörden (namentlich im Gesundheitsbereich), ein Aufschub aller nicht lebensnotwendiger Eingriffe und Behandlungen in Spitälern sowie ein Besuchs-, Kontaktund Ausgangsverbot in Institutionen der Langzeitpflege wie Altersund Pflegeheimen sowie Einrichtungen für Menschen mit Behinderung. Ein erster Fokus der medizinethischen Aufmerksamkeit galt auch hierzulande der Frage nach dem Umgang mit den begrenzten Ressourcen – Bettenkapazität, Beatmungsgeräte, Personal – in der Intensivmedizin. Dies nicht zuletzt unter dem Eindruck der bedrückenden Berichte und Bilder, die von der allmählichen Überlastung des Gesundheitswesens in der Lombardei und im Elsass zeugten. Beides sind Regionen, die unmittelbar an 1.
{"title":"Covid-19: Verlautbarungen der Schweizer Nationalen Ethikkommission im Bereich Humanmedizin","authors":"Nadine Brühwiler, S. Romagnoli, Jean-Daniel Strub","doi":"10.5771/9783748910589-51","DOIUrl":"https://doi.org/10.5771/9783748910589-51","url":null,"abstract":"In der Schweiz setzte der Bundesrat am 16. März 2020 die „außerordentliche Lage“ in Kraft. Zu normalen Zeiten ist die Landesregierung im föderalistisch organisierten Schweizer Staatswesen in Gesundheitsbelangen mit vergleichsweise geringen Kompetenzen ausgestattet. Die Hoheit liegt hier bei den Kantonen, und tatsächlich variierte deren Umgang mit der Bedrohung durch das neue Coronavirus bis Mitte März beträchtlich. Dies auch deshalb, weil die einzelnen Landesteile – nicht nur zu Beginn, sondern während der gesamten coronabedingten Ausnahmesituation – in sehr unterschiedlichem Ausmaß von Covid-19 betroffen waren. Unter den Gegebenheiten der „außerordentlichen Lage“, die – gestützt auf die noch sehr junge gesetzliche Grundlage des Bundesgesetzes „über die Bekämpfung übertragbarer Krankheiten des Menschen“ (dem Epidemiengesetz vom 28. September 2012) – erstmals überhaupt zur Anwendung kam, konnte der Bundesrat nun jedoch weitreichende Maßnahmen für die ganze Schweiz beschließen. Ein „Lockdown“, vergleichbar mit den ungefähr zeitgleich beschlossenen Maßnahmen ihrer deutschsprachigen Nachbarländer, war damit auch in der Schweiz Tatsache. Zu den Maßnahmen gehörten unter anderem ein Versammlungsverbot, die sofortige Schließung der meisten Läden und aller Schulen, das Aufgebot der Armee zur Unterstützung der kantonalen Behörden (namentlich im Gesundheitsbereich), ein Aufschub aller nicht lebensnotwendiger Eingriffe und Behandlungen in Spitälern sowie ein Besuchs-, Kontaktund Ausgangsverbot in Institutionen der Langzeitpflege wie Altersund Pflegeheimen sowie Einrichtungen für Menschen mit Behinderung. Ein erster Fokus der medizinethischen Aufmerksamkeit galt auch hierzulande der Frage nach dem Umgang mit den begrenzten Ressourcen – Bettenkapazität, Beatmungsgeräte, Personal – in der Intensivmedizin. Dies nicht zuletzt unter dem Eindruck der bedrückenden Berichte und Bilder, die von der allmählichen Überlastung des Gesundheitswesens in der Lombardei und im Elsass zeugten. Beides sind Regionen, die unmittelbar an 1.","PeriodicalId":441173,"journal":{"name":"Die Corona-Pandemie","volume":"112 1","pages":"0"},"PeriodicalIF":0.0,"publicationDate":"2020-07-28","publicationTypes":"Journal Article","fieldsOfStudy":null,"isOpenAccess":false,"openAccessPdf":"","citationCount":null,"resultStr":null,"platform":"Semanticscholar","paperid":"131514567","PeriodicalName":null,"FirstCategoryId":null,"ListUrlMain":null,"RegionNum":0,"RegionCategory":"","ArticlePicture":[],"TitleCN":null,"AbstractTextCN":null,"PMCID":"","EPubDate":null,"PubModel":null,"JCR":null,"JCRName":null,"Score":null,"Total":0}
Pub Date : 2020-07-28DOI: 10.5771/9783748910589-153
M. Novak
Nach herrschendem Informationsstand hat mit Ende des Jahres 2019, von der Volksrepublik China ausgehend, ein bis dahin unbekanntes Coronavirus – namentlich „SARS-CoV 2“ – auf den Menschen übergegriffen und zunächst eine Epidemie, schließlich die weltweite „COVID-19-Pandemie“ ausgelöst. Neben leichten Verläufen, in Form von respiratorischen Infektionen, führte der in Rede stehende Virusbefall immer wieder auch zu schweren, akuten Atemwegssyndromen, die intensive Spitalsbetreuung erforderten und in nicht wenigen Fällen auch zum Tod führten. Gegen Ende Jänner 2020 erreichte das Virus Europa, etwa einen Monat später traten in Italien die ersten Todesfälle und in Österreich die ersten bestätigten Krankheitsfälle auf. Vor allem die rasanten Entwicklungen in Oberitalien (später insbesondere auch in Spanien und Frankreich) mit raschem Anstieg an schweren Krankheitssymptomen und Todesfällen sowie Engpässen bei Desinfektionsmitteln, Schutzkleidung und Intensivbetten veranlassten die österreichische Gesetzgebung und Vollziehung, ab der ersten Märzhälfte 2020 zunehmend Einschränkungen des öffentlichen Lebens vorzunehmen, die zum Großteil mit entsprechenden Beschränkungen der Nachbarländer korrespondierten und auch auf Erfahrungen in den fernöstlichen Ausgangsgebieten aufbauten. Mit Hinblick auf die internationalen Beziehungen wurden vor allem die Verkehrsverbindungen und Grenzübertrittsmöglichkeiten zwischen den einzelnen Staaten – vielfach in nationalen Alleingängen oder bilateralen Absprachen – zunehmend eingeschränkt und schließlich auf ein Mindestmaß reduziert. Auf nationaler, österreichischer Ebene wurden zunächst, ab 10. März, größere Veranstaltungen im Freien und in geschlossenen Räumen nicht mehr erlaubt und die Bevölkerung wurde aufgerufen, soziale Kontakte zu minimieren und bestimmte Hygienevorschriften einzuhalten. Zwischen1.
{"title":"Unions-, verfassungs- und universitätsrechtliche Aspekte zu „Corona-Maßnahmen“","authors":"M. Novak","doi":"10.5771/9783748910589-153","DOIUrl":"https://doi.org/10.5771/9783748910589-153","url":null,"abstract":"Nach herrschendem Informationsstand hat mit Ende des Jahres 2019, von der Volksrepublik China ausgehend, ein bis dahin unbekanntes Coronavirus – namentlich „SARS-CoV 2“ – auf den Menschen übergegriffen und zunächst eine Epidemie, schließlich die weltweite „COVID-19-Pandemie“ ausgelöst. Neben leichten Verläufen, in Form von respiratorischen Infektionen, führte der in Rede stehende Virusbefall immer wieder auch zu schweren, akuten Atemwegssyndromen, die intensive Spitalsbetreuung erforderten und in nicht wenigen Fällen auch zum Tod führten. Gegen Ende Jänner 2020 erreichte das Virus Europa, etwa einen Monat später traten in Italien die ersten Todesfälle und in Österreich die ersten bestätigten Krankheitsfälle auf. Vor allem die rasanten Entwicklungen in Oberitalien (später insbesondere auch in Spanien und Frankreich) mit raschem Anstieg an schweren Krankheitssymptomen und Todesfällen sowie Engpässen bei Desinfektionsmitteln, Schutzkleidung und Intensivbetten veranlassten die österreichische Gesetzgebung und Vollziehung, ab der ersten Märzhälfte 2020 zunehmend Einschränkungen des öffentlichen Lebens vorzunehmen, die zum Großteil mit entsprechenden Beschränkungen der Nachbarländer korrespondierten und auch auf Erfahrungen in den fernöstlichen Ausgangsgebieten aufbauten. Mit Hinblick auf die internationalen Beziehungen wurden vor allem die Verkehrsverbindungen und Grenzübertrittsmöglichkeiten zwischen den einzelnen Staaten – vielfach in nationalen Alleingängen oder bilateralen Absprachen – zunehmend eingeschränkt und schließlich auf ein Mindestmaß reduziert. Auf nationaler, österreichischer Ebene wurden zunächst, ab 10. März, größere Veranstaltungen im Freien und in geschlossenen Räumen nicht mehr erlaubt und die Bevölkerung wurde aufgerufen, soziale Kontakte zu minimieren und bestimmte Hygienevorschriften einzuhalten. Zwischen1.","PeriodicalId":441173,"journal":{"name":"Die Corona-Pandemie","volume":"46 1","pages":"0"},"PeriodicalIF":0.0,"publicationDate":"2020-07-28","publicationTypes":"Journal Article","fieldsOfStudy":null,"isOpenAccess":false,"openAccessPdf":"","citationCount":null,"resultStr":null,"platform":"Semanticscholar","paperid":"129291406","PeriodicalName":null,"FirstCategoryId":null,"ListUrlMain":null,"RegionNum":0,"RegionCategory":"","ArticlePicture":[],"TitleCN":null,"AbstractTextCN":null,"PMCID":"","EPubDate":null,"PubModel":null,"JCR":null,"JCRName":null,"Score":null,"Total":0}