Der Übergang vom Lateinischen zu den Volkssprachen in der wissenschaftlichen Literatur war eine markante Zäsur in der Geschichte der Naturwissenschaften und in der Sprachgeschichte. Dass eine von der jeweiligen Muttersprache unabhängige, den Gebildeten Europas gemeinsame lingua franca ohne Not aufgegeben wurde, hat sicher nicht allen mit dem Lateinischen vertrauten Wissenschaftlern gefallen, aber es gibt keine Zeugnisse für Bestrebungen von Gelehrten der Frühen Neuzeit, diese Entwicklung aufzuhalten oder auch nur zu kritisieren. Soweit bekannt, hat erst d'Alembert 1751 im Vorwort zur Encyclopédie den Verlust des Latein als Sprache der Wissenschaft beklagt, da man bald sieben oder acht verschiedene Sprachen lernen müsse, um sich über neue Entdeckungen informieren zu können. Eine Rückkehr zum Latein hielt er zwar für wünschenswert, aber für illusorisch: „Il seroit donc à souhaiter qu'on rétablit cet usage: mais il n'y a pas lieu de l'espérer.“1
Der einzige prominente Wissenschaftler des 17. Jahrhunderts, der sich in scharfer Form gegen die Verwendung moderner Sprachen in wissenschaftlichen Publikationen geäußert haben soll, ist Johannes Kepler. Nachdem Galileo Galilei über ein physikalisches Thema eine italienische Publikation verfasst hatte, habe Kepler ihm vorgeworfen, ein crimen laesae humanitatis begangen zu haben.
Zahlreiche renommierte Sprachwissenschaftler argumentieren in ihren Arbeiten zur Geschichte der Wissenschaftssprachen mit dieser Anklage Keplers, als handle es sich dabei um eine zweifelsfrei feststehende Tatsache. So schreibt der Germanist Uwe Pörksen:
Johannes Kepler beklagte sich über Galileis Wahl der Muttersprache. Er verstand nicht Italienisch. Die europäische Universalsprache und die in ihr realisierte geistige Gemeinschaft der Gelehrten zerbrach. Kepler sprach von einem „crimen laesae humanitatis“.2
Und Kepler habe sehr wohl gewusst, wovon er sprach, als er Galilei beim Übergang ins Italienische ein crimen laesae humanitatis vorwarf.3 Der Latinist Wilfried Stroh hebt hervor, dass Kepler bei seinem Angriff auf Galilei bewusst mit der doppelten Bedeutung von humanitas jongliert habe, und wie Pörksen unterstellt er ihm mangelnde Sprachkenntnisse als zusätzliches Motiv für den Ärger über seinen berühmten italienischen Zeitgenossen:
Als Galilei zuerst in seiner Muttersprache statt auf Lateinisch publizierte, protestierte der Deutsche Kepler, der kein Italienisch verstand, und sprach, in unvergleichlicher doppeldeutiger Formulierung, von einem crimen laesae humanitatis, einem Verbrechen sowohl gegen die „Mitmenschlichkeit“ als auch gegen die „Bildung“.4
Auch für die skandinavischen Sprachhistoriker Hans Helander und Per Pippin Aspaas war der Vorwurf des crimen laesae humanitatis ein authentischer Ausspruch Keplers:
When Galileo published his works in Italian, Kepler protested with indignation. Th