Abstract:Zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts entdeckten Schauspielerinnen die Selbst- und Ausbildung als neuen Spielraum für sich, wie sich exemplarisch an der von Louise Dumont und Gustav Lindemann gegründeten Schauspielschule in Düsseldorf aufzeigen lässt. Sie sahen sich als Rollenmodell für die nächste Generation und konnten die strukturelle Ungleichheit der Rollenvergabe, die ältere Schauspielerinnen klar benachteiligte, kompensieren; Schüler*innen wiederum projizierten Emanzipationswünsche auf die neue Schauspielschule und die in ihnen autonom wirkenden Schauspieler*innen. Die im Beitrag untersuchten Quellen zeigen, in welcher Weise der neue Spielraum der Vermittlung geprägt war von realen Zwängen des Theaterbetriebs und einer bis ins Spirituelle überhöhten Idee der Reform.
{"title":"Der pädagogische Spielraum: Die Schauspielerin als Rollenmodell der Emanzipation","authors":"W. Ernst","doi":"10.24053/fmth-2022-0015","DOIUrl":"https://doi.org/10.24053/fmth-2022-0015","url":null,"abstract":"Abstract:Zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts entdeckten Schauspielerinnen die Selbst- und Ausbildung als neuen Spielraum für sich, wie sich exemplarisch an der von Louise Dumont und Gustav Lindemann gegründeten Schauspielschule in Düsseldorf aufzeigen lässt. Sie sahen sich als Rollenmodell für die nächste Generation und konnten die strukturelle Ungleichheit der Rollenvergabe, die ältere Schauspielerinnen klar benachteiligte, kompensieren; Schüler*innen wiederum projizierten Emanzipationswünsche auf die neue Schauspielschule und die in ihnen autonom wirkenden Schauspieler*innen. Die im Beitrag untersuchten Quellen zeigen, in welcher Weise der neue Spielraum der Vermittlung geprägt war von realen Zwängen des Theaterbetriebs und einer bis ins Spirituelle überhöhten Idee der Reform.","PeriodicalId":55908,"journal":{"name":"FORUM MODERNES THEATER","volume":"33 1","pages":"191 - 204"},"PeriodicalIF":0.1,"publicationDate":"2022-06-13","publicationTypes":"Journal Article","fieldsOfStudy":null,"isOpenAccess":false,"openAccessPdf":"","citationCount":null,"resultStr":null,"platform":"Semanticscholar","paperid":"41973256","PeriodicalName":null,"FirstCategoryId":null,"ListUrlMain":null,"RegionNum":4,"RegionCategory":"艺术学","ArticlePicture":[],"TitleCN":null,"AbstractTextCN":null,"PMCID":"","EPubDate":null,"PubModel":null,"JCR":null,"JCRName":null,"Score":null,"Total":0}
Abstract:In diesem Beitrag wird das New Yorker Living Theatre in seinen frühen Jahren beleuchtet, um den Versuch zu unternehmen, die Reflexion und Setzung der Gruppe als einen besonderen, kollektiven Spielraum aus einer mythisierten Verankerung in der geschichtlichen Darstellung zu lösen. Anhand eines erweiterten Materialrahmens, der z. B. administrative Unterlagen einschließt, lässt sich diskutieren, inwiefern sich die historiografisch zementierte Idee kollektiver Praxis nicht nur als Effekt politisch-ästhetischer Bestrebungen verstehen lässt, sondern auch als taktische Reaktion auf ökonomische Prozesse. Die angeführten Beispiele kursieren dabei um die Aspekte Besetzungspraxis und Gewerkschaft, anhand derer aufgezeigt werden soll, inwiefern der ‚Spielraum' Living Theatre weniger als utopischer Möglichkeitsraum, denn vielmehr auch im Sinne de Certeaus als taktischer Spielraum in Opposition zu bestehenden Strukturen lesbar ist.
{"title":"„But there is another side: \" Spielräume zwischen Markt und Kollektiv im frühen Living Theatre","authors":"Nora Niethammer","doi":"10.24053/fmth-2022-0017","DOIUrl":"https://doi.org/10.24053/fmth-2022-0017","url":null,"abstract":"Abstract:In diesem Beitrag wird das New Yorker Living Theatre in seinen frühen Jahren beleuchtet, um den Versuch zu unternehmen, die Reflexion und Setzung der Gruppe als einen besonderen, kollektiven Spielraum aus einer mythisierten Verankerung in der geschichtlichen Darstellung zu lösen. Anhand eines erweiterten Materialrahmens, der z. B. administrative Unterlagen einschließt, lässt sich diskutieren, inwiefern sich die historiografisch zementierte Idee kollektiver Praxis nicht nur als Effekt politisch-ästhetischer Bestrebungen verstehen lässt, sondern auch als taktische Reaktion auf ökonomische Prozesse. Die angeführten Beispiele kursieren dabei um die Aspekte Besetzungspraxis und Gewerkschaft, anhand derer aufgezeigt werden soll, inwiefern der ‚Spielraum' Living Theatre weniger als utopischer Möglichkeitsraum, denn vielmehr auch im Sinne de Certeaus als taktischer Spielraum in Opposition zu bestehenden Strukturen lesbar ist.","PeriodicalId":55908,"journal":{"name":"FORUM MODERNES THEATER","volume":"33 1","pages":"218 - 230"},"PeriodicalIF":0.1,"publicationDate":"2022-06-13","publicationTypes":"Journal Article","fieldsOfStudy":null,"isOpenAccess":false,"openAccessPdf":"","citationCount":null,"resultStr":null,"platform":"Semanticscholar","paperid":"43176061","PeriodicalName":null,"FirstCategoryId":null,"ListUrlMain":null,"RegionNum":4,"RegionCategory":"艺术学","ArticlePicture":[],"TitleCN":null,"AbstractTextCN":null,"PMCID":"","EPubDate":null,"PubModel":null,"JCR":null,"JCRName":null,"Score":null,"Total":0}
Abstract:Im frühen 19. Jahrhundert boten die massenhaft gegründeten Amateurtheater-Vereine bürgerlichen Frauen die Möglichkeit, in einem vorprofessionellen Umfeld eine ästhetische Bildung zu erlangen, das Schauspielen zu erproben und gegebenenfalls sogar als mögliches Berufsziel anzuvisieren. Somit wurden die Spielräume für diese Frauen erweitert, denen im politischen und gesellschaftlichen Kontext der Zeit ansonsten wenig Möglichkeiten zur freien Entfaltung offenstanden. Der Beitrag zeigt am Beispiel der Berliner Urania, wie Amateurtheater als wichtiges Scharnier zwischen einer privaten und öffentlichen Sphäre des Schauspielens wirkte. Durch eine solche ‚Zwischen-Position' wurde es wichtig für eine allmähliche Verbügerlichung dieses lange prekären Berufes. Hier wurden Muster professionellen Schauspielens und bürgerlich-sittlichen Verhaltens eingeübt. Für Frauen bot die theatrale Amateurpraxis Spielräume der Aushandlung einer weiblichen Utopie von bürgerlichem, selbstbestimmtem Handeln.
{"title":"„Schöpferin glücklicher Stunden …\" – Utopische Spielräume von Amateur-Schauspielerinnen im frühen 19. Jahrhundert","authors":"Meike Wagner","doi":"10.24053/fmth-2022-0014","DOIUrl":"https://doi.org/10.24053/fmth-2022-0014","url":null,"abstract":"Abstract:Im frühen 19. Jahrhundert boten die massenhaft gegründeten Amateurtheater-Vereine bürgerlichen Frauen die Möglichkeit, in einem vorprofessionellen Umfeld eine ästhetische Bildung zu erlangen, das Schauspielen zu erproben und gegebenenfalls sogar als mögliches Berufsziel anzuvisieren. Somit wurden die Spielräume für diese Frauen erweitert, denen im politischen und gesellschaftlichen Kontext der Zeit ansonsten wenig Möglichkeiten zur freien Entfaltung offenstanden. Der Beitrag zeigt am Beispiel der Berliner Urania, wie Amateurtheater als wichtiges Scharnier zwischen einer privaten und öffentlichen Sphäre des Schauspielens wirkte. Durch eine solche ‚Zwischen-Position' wurde es wichtig für eine allmähliche Verbügerlichung dieses lange prekären Berufes. Hier wurden Muster professionellen Schauspielens und bürgerlich-sittlichen Verhaltens eingeübt. Für Frauen bot die theatrale Amateurpraxis Spielräume der Aushandlung einer weiblichen Utopie von bürgerlichem, selbstbestimmtem Handeln.","PeriodicalId":55908,"journal":{"name":"FORUM MODERNES THEATER","volume":"33 1","pages":"177 - 190"},"PeriodicalIF":0.1,"publicationDate":"2022-06-13","publicationTypes":"Journal Article","fieldsOfStudy":null,"isOpenAccess":false,"openAccessPdf":"","citationCount":null,"resultStr":null,"platform":"Semanticscholar","paperid":"46159579","PeriodicalName":null,"FirstCategoryId":null,"ListUrlMain":null,"RegionNum":4,"RegionCategory":"艺术学","ArticlePicture":[],"TitleCN":null,"AbstractTextCN":null,"PMCID":"","EPubDate":null,"PubModel":null,"JCR":null,"JCRName":null,"Score":null,"Total":0}
Abstract:In Trajal Harrells Produktion Antigone Sr. (2012) verbindet der afroamerikanische Choreograph performative Strategien von Voguing und postmodernem Tanz zu einer höchstgradig affektiven Choreophonie von Posen, Gesten und zu Popsongs singenden Stimmen. In dieser stilisierten Ästhetik rückt das Schöne in vielfältigen Brechungen in den Mittelpunkt. Der Artikel verfolgt die Frage, inwiefern Schönheit hier als ein Mittel der Kritik an geschlechtlichen, sexuellen und kulturellen Normierungen fungiert? Als Modell für eine solche kritische Schönheit dient die Figur der Sirenen, deren gleichermaßen schöner wie tödlicher Gesang die heteronormative Ordnung bedroht durch in Begehren, Imagination und queerer Zeitlichkeit wurzelnden Spannungen. Dieses Modell einer sirenenhaft kritischen Schönheit dient als Ausgangpunkt der Analyse der konkreten Modellierungen von Singstimmen und Posen in Antigone Sr., die – wie abschließend argumentiert wird – die temporäre Utopie einer nichtheteronormativen Gemeinschaft entwerfen.
{"title":"Von der krisenhaften Schönheit der Sirenen: Trajal Harrells Antigone Sr./Twenty Looks or Paris is Burning at the Judson Church (L)","authors":"Julia Ostwald","doi":"10.1353/fmt.2021.0008","DOIUrl":"https://doi.org/10.1353/fmt.2021.0008","url":null,"abstract":"Abstract:In Trajal Harrells Produktion Antigone Sr. (2012) verbindet der afroamerikanische Choreograph performative Strategien von Voguing und postmodernem Tanz zu einer höchstgradig affektiven Choreophonie von Posen, Gesten und zu Popsongs singenden Stimmen. In dieser stilisierten Ästhetik rückt das Schöne in vielfältigen Brechungen in den Mittelpunkt. Der Artikel verfolgt die Frage, inwiefern Schönheit hier als ein Mittel der Kritik an geschlechtlichen, sexuellen und kulturellen Normierungen fungiert? Als Modell für eine solche kritische Schönheit dient die Figur der Sirenen, deren gleichermaßen schöner wie tödlicher Gesang die heteronormative Ordnung bedroht durch in Begehren, Imagination und queerer Zeitlichkeit wurzelnden Spannungen. Dieses Modell einer sirenenhaft kritischen Schönheit dient als Ausgangpunkt der Analyse der konkreten Modellierungen von Singstimmen und Posen in Antigone Sr., die – wie abschließend argumentiert wird – die temporäre Utopie einer nichtheteronormativen Gemeinschaft entwerfen.","PeriodicalId":55908,"journal":{"name":"FORUM MODERNES THEATER","volume":"32 1","pages":"113 - 99"},"PeriodicalIF":0.1,"publicationDate":"2021-12-16","publicationTypes":"Journal Article","fieldsOfStudy":null,"isOpenAccess":false,"openAccessPdf":"","citationCount":null,"resultStr":null,"platform":"Semanticscholar","paperid":"46351613","PeriodicalName":null,"FirstCategoryId":null,"ListUrlMain":null,"RegionNum":4,"RegionCategory":"艺术学","ArticlePicture":[],"TitleCN":null,"AbstractTextCN":null,"PMCID":"","EPubDate":null,"PubModel":null,"JCR":null,"JCRName":null,"Score":null,"Total":0}
Abstract:The article examines two specific types of theatre plays of the German-speaking theatre history of the Late Medieval and Early Modern period: The Passion Play and the Saint Play. In general, German-speaking theatre of the 16th and 17th century was characterized by the Reformation and Counter Reformation movements, and performances of theatre plays were, amongst other things, meant to spread religious beliefs and to show the citizens the 'right' way to believe and to behave. Also, performance practices as such were influenced by these movements: on the one hand, Reformation theatre rolled back the aspect of seeing, thus spectacle; on the other, the Counter Reformation tried to uphold the traditions of the 'old' faith – an effort which is seen in the staging of Saint Plays, rejecting by their very nature the solus Christus dictum of the Protestant faith but also upholding pre-reformatory performance practices. The drama texts analysed in the article show the reaction of theatre to socioreligious developments by enacting specific content and performative features and hereby shaping the history of Christendom as well as theatre history.
{"title":"Text, Performance, and the Production of Religious Knowledge: The Protestant Passion Play and the Catholic Saint Play","authors":"Claudia Daiber, Elke Huwiler","doi":"10.2357/FMTH-2021-0019","DOIUrl":"https://doi.org/10.2357/FMTH-2021-0019","url":null,"abstract":"Abstract:The article examines two specific types of theatre plays of the German-speaking theatre history of the Late Medieval and Early Modern period: The Passion Play and the Saint Play. In general, German-speaking theatre of the 16th and 17th century was characterized by the Reformation and Counter Reformation movements, and performances of theatre plays were, amongst other things, meant to spread religious beliefs and to show the citizens the 'right' way to believe and to behave. Also, performance practices as such were influenced by these movements: on the one hand, Reformation theatre rolled back the aspect of seeing, thus spectacle; on the other, the Counter Reformation tried to uphold the traditions of the 'old' faith – an effort which is seen in the staging of Saint Plays, rejecting by their very nature the solus Christus dictum of the Protestant faith but also upholding pre-reformatory performance practices. The drama texts analysed in the article show the reaction of theatre to socioreligious developments by enacting specific content and performative features and hereby shaping the history of Christendom as well as theatre history.","PeriodicalId":55908,"journal":{"name":"FORUM MODERNES THEATER","volume":"32 1","pages":"198 - 214"},"PeriodicalIF":0.1,"publicationDate":"2021-12-16","publicationTypes":"Journal Article","fieldsOfStudy":null,"isOpenAccess":false,"openAccessPdf":"","citationCount":null,"resultStr":null,"platform":"Semanticscholar","paperid":"48527502","PeriodicalName":null,"FirstCategoryId":null,"ListUrlMain":null,"RegionNum":4,"RegionCategory":"艺术学","ArticlePicture":[],"TitleCN":null,"AbstractTextCN":null,"PMCID":"","EPubDate":null,"PubModel":null,"JCR":null,"JCRName":null,"Score":null,"Total":0}
Abstract:In this article I discuss the current Covid-19 crisis in relation to an intensified reflection about the future of theatre. The argument proceeds via a review of crisis theory to a discussion of recent research into futurity, especially the idea of prospection. Specifically, I shall examine the interrelationship between crisis and prognosis as it pertains to theatre and the performing arts. Material is drawn from a database currently being assembled within the framework of the research project "Krisengefüge der Künste" which is collating public discourse on how the pandemic is affecting the performing arts. A comparison is made between discourses in the UK and Germany which leads to some final reflections on how such discussions may impact on the institutional legitimacy of publicly funded theatre.
摘要:在这篇文章中,我讨论了当前新冠肺炎危机与对戏剧未来的强化反思。这场争论通过对危机理论的回顾,进而讨论了最近对未来性的研究,尤其是前瞻性的想法。具体而言,我将研究危机与预后之间的相互关系,因为它与戏剧和表演艺术有关。材料来自一个目前正在研究项目“Krisengefüge der Künste”框架内汇编的数据库,该项目正在整理关于疫情如何影响表演艺术的公共话语。对英国和德国的话语进行了比较,最终反思了这些讨论如何影响公共资助剧院的制度合法性。
{"title":"Covid, Crisis and Prognosis: Prospecting the Future of Theatre","authors":"Christopher Balme","doi":"10.2357/FMTH-2021-0017","DOIUrl":"https://doi.org/10.2357/FMTH-2021-0017","url":null,"abstract":"Abstract:In this article I discuss the current Covid-19 crisis in relation to an intensified reflection about the future of theatre. The argument proceeds via a review of crisis theory to a discussion of recent research into futurity, especially the idea of prospection. Specifically, I shall examine the interrelationship between crisis and prognosis as it pertains to theatre and the performing arts. Material is drawn from a database currently being assembled within the framework of the research project \"Krisengefüge der Künste\" which is collating public discourse on how the pandemic is affecting the performing arts. A comparison is made between discourses in the UK and Germany which leads to some final reflections on how such discussions may impact on the institutional legitimacy of publicly funded theatre.","PeriodicalId":55908,"journal":{"name":"FORUM MODERNES THEATER","volume":"32 1","pages":"178 - 191"},"PeriodicalIF":0.1,"publicationDate":"2021-12-16","publicationTypes":"Journal Article","fieldsOfStudy":null,"isOpenAccess":false,"openAccessPdf":"","citationCount":null,"resultStr":null,"platform":"Semanticscholar","paperid":"42607024","PeriodicalName":null,"FirstCategoryId":null,"ListUrlMain":null,"RegionNum":4,"RegionCategory":"艺术学","ArticlePicture":[],"TitleCN":null,"AbstractTextCN":null,"PMCID":"","EPubDate":null,"PubModel":null,"JCR":null,"JCRName":null,"Score":null,"Total":0}
Formen und Formwandel der nationalsozialistischenMassenspiele stehen im Zentrum der materialreichenundanschaulichillustriertenStudieder TheaterwissenschaftlerinEvelynAnnuß.Aus gouvernementalitätstheoretischer Perspektive fragt die Autorin nach den mit der Machteinsetzung Hitlers sich entwickelnden und mit der Konsolidierung des nationalsozialistischen Regimes verändernden Regierungstechniken, die im Theater (mit)gestaltet und erprobt wurden. Dem viel diskutierten Zusammenhang von Ästhetik und Politik imNationalsozialismuswidmet sie sich, indem siedenFoucaultschenBegriffderRegierungskunst ernst nimmt und die ästhetischen „Angebote [. . .] undTechnikenderSelbstlenkung,dievonTheaterleuten entwickelt“ wurden (S. 2), einer eingehendenUntersuchung unterzieht. Es geht der Autorin damit nicht um eine Ideologieoder Repräsentationskritik, sondernumdasperformativeMoment derVergemeinschaftungundaffektiveFormender Subjektivierung, mithin um die NS-Regierungskünste als körpergebundene Techniken. Die Rolle der sich etablierenden Theaterwissenschaften als „anwendungsorientierte szenische Forschung“ (S. 59) aufdiesemFeldpräzise auszuloten, istdabei das fachhistorisch spezifizierte Ziel der Studie. In gut nachvollziehbaren Analysen einzelner paradigmatischer Inszenierungen skizziert Annuß den Weg vom bereits 1933 erprobten Stadionspiel über das 1934 mit dem Bau von Freilufttheatern forcierte Thingspiel bis hin zum Unterhaltungsspektakel mit Massenornament, das seit den Olympischen Spielen von 1936 das Gesicht der NS-Massenspiele prägen sollte, bevor der Krieg derartige Großevents verunmöglichte. Auf einer breiten Quellenbasis, die Material aus zahlreichen privaten, städtischen und staatlichen Archiven und Nachlässen sowie eine beeindruckende Bandbreite an zeitgenössischen Periodika und Zeitungen, aber auch Partituren, Fotografien und Filmen umfasst, werden die ästhetischen Eigenlogiken der verschiedenen Massenspiele minutiös herausgearbeitet. Dabei geraten sowohl der experimentelle Charakter des Theaterschaffens als auch die konfliktträchtigen Konkurrenzverhältnisse zwischen den maßgeblichen Protagonist*innen in den Blick, denn auch auf dem Feld der Propaganda lässt sich die vielfach konstatierte Polyzentrik der NS-Herrschaft beobachten. Dies macht nicht zuletzt die Rede von der NS-Ästhetik obsolet, wie die Verfasserin zu Recht betont. In ihren Analysen bleibt Annuß jedoch nicht beim einzelnen Fallbeispiel stehen. Es gelingt der Autorin vielmehr sehr gut, einerseits die historischen Vorläufer der untersuchten Formelemente – von Turnvater Jahns Vergemeinschaftungsversuchen über das Volkstheater und proletarische Weihespiele bis hin zum wagnerischen Jubelchor – herauszuarbeiten und dabei stets auch die Strukturund Formdifferenzen aufzuzeigen. Im frühen NS-Massenspiel zeigte sich beispielsweise noch die prägende Kraft des Ausdruckstanzes und mithin der künstlerischen Avantgarde, die sich teils mit dem NS-Regime arrangierte und, wie die Autorin argumentiert, nun auf e
{"title":"Volksschule des Theaters. Nationalsozialistische Massenspiele by Evelyn Annuß (review)","authors":"Marén Möhring","doi":"10.1353/fmt.2021.0026","DOIUrl":"https://doi.org/10.1353/fmt.2021.0026","url":null,"abstract":"Formen und Formwandel der nationalsozialistischenMassenspiele stehen im Zentrum der materialreichenundanschaulichillustriertenStudieder TheaterwissenschaftlerinEvelynAnnuß.Aus gouvernementalitätstheoretischer Perspektive fragt die Autorin nach den mit der Machteinsetzung Hitlers sich entwickelnden und mit der Konsolidierung des nationalsozialistischen Regimes verändernden Regierungstechniken, die im Theater (mit)gestaltet und erprobt wurden. Dem viel diskutierten Zusammenhang von Ästhetik und Politik imNationalsozialismuswidmet sie sich, indem siedenFoucaultschenBegriffderRegierungskunst ernst nimmt und die ästhetischen „Angebote [. . .] undTechnikenderSelbstlenkung,dievonTheaterleuten entwickelt“ wurden (S. 2), einer eingehendenUntersuchung unterzieht. Es geht der Autorin damit nicht um eine Ideologieoder Repräsentationskritik, sondernumdasperformativeMoment derVergemeinschaftungundaffektiveFormender Subjektivierung, mithin um die NS-Regierungskünste als körpergebundene Techniken. Die Rolle der sich etablierenden Theaterwissenschaften als „anwendungsorientierte szenische Forschung“ (S. 59) aufdiesemFeldpräzise auszuloten, istdabei das fachhistorisch spezifizierte Ziel der Studie. In gut nachvollziehbaren Analysen einzelner paradigmatischer Inszenierungen skizziert Annuß den Weg vom bereits 1933 erprobten Stadionspiel über das 1934 mit dem Bau von Freilufttheatern forcierte Thingspiel bis hin zum Unterhaltungsspektakel mit Massenornament, das seit den Olympischen Spielen von 1936 das Gesicht der NS-Massenspiele prägen sollte, bevor der Krieg derartige Großevents verunmöglichte. Auf einer breiten Quellenbasis, die Material aus zahlreichen privaten, städtischen und staatlichen Archiven und Nachlässen sowie eine beeindruckende Bandbreite an zeitgenössischen Periodika und Zeitungen, aber auch Partituren, Fotografien und Filmen umfasst, werden die ästhetischen Eigenlogiken der verschiedenen Massenspiele minutiös herausgearbeitet. Dabei geraten sowohl der experimentelle Charakter des Theaterschaffens als auch die konfliktträchtigen Konkurrenzverhältnisse zwischen den maßgeblichen Protagonist*innen in den Blick, denn auch auf dem Feld der Propaganda lässt sich die vielfach konstatierte Polyzentrik der NS-Herrschaft beobachten. Dies macht nicht zuletzt die Rede von der NS-Ästhetik obsolet, wie die Verfasserin zu Recht betont. In ihren Analysen bleibt Annuß jedoch nicht beim einzelnen Fallbeispiel stehen. Es gelingt der Autorin vielmehr sehr gut, einerseits die historischen Vorläufer der untersuchten Formelemente – von Turnvater Jahns Vergemeinschaftungsversuchen über das Volkstheater und proletarische Weihespiele bis hin zum wagnerischen Jubelchor – herauszuarbeiten und dabei stets auch die Strukturund Formdifferenzen aufzuzeigen. Im frühen NS-Massenspiel zeigte sich beispielsweise noch die prägende Kraft des Ausdruckstanzes und mithin der künstlerischen Avantgarde, die sich teils mit dem NS-Regime arrangierte und, wie die Autorin argumentiert, nun auf e","PeriodicalId":55908,"journal":{"name":"FORUM MODERNES THEATER","volume":"32 1","pages":"303 - 304"},"PeriodicalIF":0.1,"publicationDate":"2021-12-16","publicationTypes":"Journal Article","fieldsOfStudy":null,"isOpenAccess":false,"openAccessPdf":"","citationCount":null,"resultStr":null,"platform":"Semanticscholar","paperid":"42687562","PeriodicalName":null,"FirstCategoryId":null,"ListUrlMain":null,"RegionNum":4,"RegionCategory":"艺术学","ArticlePicture":[],"TitleCN":null,"AbstractTextCN":null,"PMCID":"","EPubDate":null,"PubModel":null,"JCR":null,"JCRName":null,"Score":null,"Total":0}
Abstract:Ausgehend von Ernst Bloch entwickelt der queere Theaterwissenschaftler José Esteban Muñoz in Cruising Utopia den Gedanken, dass sich das Potential des Zukünftigen aus dem Nicht-Mehr-Bewussten von Vergangenem entwickeln ließe, und wendet seinen Blick dem vergessenen Archiv queerer Kunst vor den 1980er Jahren zu. Der vorliegende Artikel geht auf Blochs Texte zurück und entwickelt aus ihnen die Formel von „Hoffnung als Kritik“. Nach einem Aufzeigen der Parallelen und Differenzen von Bloch und Muñoz wird das Verständnis von Hoffnung als Kritik anhand der Lecture Performance The Process of Becoming Infinite von Bill T. Jones überprüft. Jones’ Reenactment seiner Choreografie 21 als Ausgangspunkt verbindet formal und inhaltlich die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit und deren Konzeptionen von Gender-Binarität mit der Untersuchung von deren utopischem Gehalt. Sein kritisches „erzählendes Denken“ (Adorno) stellt ihn auch stilistisch in eine produktive Reihe mit Bloch und Muñoz.
Abstract:从危急情况下开发的queere Theaterwissenschaftler书é艾斯特班大ñ奥兹在Cruising乌托邦思想中,有潜力的未来:从Nicht-Mehr-Bewussten交易商可以培养档案,把目光转向遗忘queerer艺术在20世纪80年代.本文引用住户写成的文章,并尝试找出“希望等于批评”的公式。在路径相似之处和差异的情况下大ñ奥兹理解由希望作为批评根据Lecture性能The Process of Becoming Infinite由比尔·t·琼斯检查.琼斯关于选择文学21的讨论作为一个起点,他把理论上和内容的讨论同过去及其关于性别并行不悖的概念联系在一起,并探索其乌托邦本质。他辨别erzählendes思考”(Adorno)注意到他也stilistisch生产性排情况下和d .ñ奥兹
{"title":"Hoffnung als Kritik: Queere Relektüren von Ernst Bloch, José Esteban Muñoz und Bill T. Jones","authors":"Annette Bühler-Dietrich","doi":"10.1353/fmt.2021.0006","DOIUrl":"https://doi.org/10.1353/fmt.2021.0006","url":null,"abstract":"Abstract:Ausgehend von Ernst Bloch entwickelt der queere Theaterwissenschaftler José Esteban Muñoz in Cruising Utopia den Gedanken, dass sich das Potential des Zukünftigen aus dem Nicht-Mehr-Bewussten von Vergangenem entwickeln ließe, und wendet seinen Blick dem vergessenen Archiv queerer Kunst vor den 1980er Jahren zu. Der vorliegende Artikel geht auf Blochs Texte zurück und entwickelt aus ihnen die Formel von „Hoffnung als Kritik“. Nach einem Aufzeigen der Parallelen und Differenzen von Bloch und Muñoz wird das Verständnis von Hoffnung als Kritik anhand der Lecture Performance The Process of Becoming Infinite von Bill T. Jones überprüft. Jones’ Reenactment seiner Choreografie 21 als Ausgangspunkt verbindet formal und inhaltlich die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit und deren Konzeptionen von Gender-Binarität mit der Untersuchung von deren utopischem Gehalt. Sein kritisches „erzählendes Denken“ (Adorno) stellt ihn auch stilistisch in eine produktive Reihe mit Bloch und Muñoz.","PeriodicalId":55908,"journal":{"name":"FORUM MODERNES THEATER","volume":"32 1","pages":"69 - 84"},"PeriodicalIF":0.1,"publicationDate":"2021-12-16","publicationTypes":"Journal Article","fieldsOfStudy":null,"isOpenAccess":false,"openAccessPdf":"","citationCount":null,"resultStr":null,"platform":"Semanticscholar","paperid":"44375712","PeriodicalName":null,"FirstCategoryId":null,"ListUrlMain":null,"RegionNum":4,"RegionCategory":"艺术学","ArticlePicture":[],"TitleCN":null,"AbstractTextCN":null,"PMCID":"","EPubDate":null,"PubModel":null,"JCR":null,"JCRName":null,"Score":null,"Total":0}
Abstract:Angesichts der immer größeren Bedeutung digitaler Verfahren für die kulturwissenschaftliche Forschung diskutiert der Aufsatz die Potenziale für die Theaterhistoriographie. Dabei geht es nicht allein um die innovativen, digital gestützten Methoden, sondern vielmehr um die spezifische Logik theaterhistorischer Forschung. Ausgehend von einer kritischen Diskussion des fachinternen Diskurses über die Entwicklung neuer Forschungsfragen und -paradigmen, formuliert der Aufsatz schließlich die Perspektive einer umfassenden Medienökologie, in der auch Forderungen nach einer substanziellen Dekolonialisierung des historischen Diskurses aufgezeigt werden können. Medienökologie ist gekennzeichnet als: polyglott, polyzentrisch, polyphon und polymorph sowie in einem umfassenden Sinne als durchlässig und vernetzt. Ein Beispiel einer solchen Perspektive bildet schließlich der Modellversuch Kölner Chrono-Atlas, der Ereignis- und Personendaten zusammenträgt und in einem übergreifenden Modell zu vernetzen erlaubt. Obgleich das Projekt noch am Anfang steht, wird schon deutlich, dass das hier gewählte Verfahren abgeschattete Aspekte der Theatergeschichte, wie etwa das Unternehmertum weiblicher Prinzipial*innen nicht mehr als anekdotische Einzelfälle, sondern als Konstante des Feldes, aufzeigt.
{"title":"„Turtles all the way down\": Zu methodischen Fragen der Theaterhistoriographie","authors":"Peter W. Marx","doi":"10.2357/FMTH-2021-0015","DOIUrl":"https://doi.org/10.2357/FMTH-2021-0015","url":null,"abstract":"Abstract:Angesichts der immer größeren Bedeutung digitaler Verfahren für die kulturwissenschaftliche Forschung diskutiert der Aufsatz die Potenziale für die Theaterhistoriographie. Dabei geht es nicht allein um die innovativen, digital gestützten Methoden, sondern vielmehr um die spezifische Logik theaterhistorischer Forschung. Ausgehend von einer kritischen Diskussion des fachinternen Diskurses über die Entwicklung neuer Forschungsfragen und -paradigmen, formuliert der Aufsatz schließlich die Perspektive einer umfassenden Medienökologie, in der auch Forderungen nach einer substanziellen Dekolonialisierung des historischen Diskurses aufgezeigt werden können. Medienökologie ist gekennzeichnet als: polyglott, polyzentrisch, polyphon und polymorph sowie in einem umfassenden Sinne als durchlässig und vernetzt. Ein Beispiel einer solchen Perspektive bildet schließlich der Modellversuch Kölner Chrono-Atlas, der Ereignis- und Personendaten zusammenträgt und in einem übergreifenden Modell zu vernetzen erlaubt. Obgleich das Projekt noch am Anfang steht, wird schon deutlich, dass das hier gewählte Verfahren abgeschattete Aspekte der Theatergeschichte, wie etwa das Unternehmertum weiblicher Prinzipial*innen nicht mehr als anekdotische Einzelfälle, sondern als Konstante des Feldes, aufzeigt.","PeriodicalId":55908,"journal":{"name":"FORUM MODERNES THEATER","volume":"32 1","pages":"141 - 158"},"PeriodicalIF":0.1,"publicationDate":"2021-12-16","publicationTypes":"Journal Article","fieldsOfStudy":null,"isOpenAccess":false,"openAccessPdf":"","citationCount":null,"resultStr":null,"platform":"Semanticscholar","paperid":"43861131","PeriodicalName":null,"FirstCategoryId":null,"ListUrlMain":null,"RegionNum":4,"RegionCategory":"艺术学","ArticlePicture":[],"TitleCN":null,"AbstractTextCN":null,"PMCID":"","EPubDate":null,"PubModel":null,"JCR":null,"JCRName":null,"Score":null,"Total":0}