Zusammenfassung Während klassische kriminologische Theorien dazu tendieren, entweder umweltbezogene oder persönliche Faktoren auszuklammern, betonen moderne Ansätze regelmäßig die Bedeutung von Person-Situation-Interaktionen. Spezifische und überprüfbare Interaktionsmechanismen werden jedoch selten beschrieben und wenn, greifen sie kaum auf bestehendes Wissen zu den psychologischen Prozessen der Verhaltenssteuerung zurück. Basierend auf Kuhls (2001) PSI-Theorie untersucht diese Arbeit die moderierende Rolle des Persönlichkeitsmerkmals Neurotizismus hinsichtlich der Vorhersagekraft personaler und umweltbezogener Risikofaktoren kriminellen Verhaltens. Es werden zwei Interaktionshypothesen formuliert: (a) Die Interaktionshypothese Neurotizismus × soziales Umfeld besagt, dass Neurotizismus den kriminalitätsfördernden Einfluss eines problematischen sozialen Umfeldes verstärken sollte, wohingegen (b) die Interaktionshypothese Neurotizismus × Normbindung besagt, dass Neurotizismus den kriminalitätshemmenden Einfluss einer verbindlichen Einstellung zu Recht und Gesetz abschwächen sollte. Diese Zusammenhänge wurden anhand der Rückfälligkeit Strafgefangener untersucht. Es handelt sich um eine Re-Analyse der Daten der Berliner CRIME-Studie, deren Grundstein im Jahre 1976 gelegt wurde. Für diese Arbeit konnten die Daten von N = 262 männlichen Strafgefangenen analysiert werden. Die Ergebnisse der logistischen Regressionsanalysen bestätigen die Hypothesen weitgehend. Die Studie verdeutlicht, dass die Komplexität der Prozesse krimineller Rückfälligkeit nicht allein durch Haupteffekte abgebildet werden kann.
{"title":"Kriminalität und negative Affektivität","authors":"M. J. Hamatschek, M. Richter, Klaus-Peter Dahle","doi":"10.1515/mks-2021-0138","DOIUrl":"https://doi.org/10.1515/mks-2021-0138","url":null,"abstract":"Zusammenfassung Während klassische kriminologische Theorien dazu tendieren, entweder umweltbezogene oder persönliche Faktoren auszuklammern, betonen moderne Ansätze regelmäßig die Bedeutung von Person-Situation-Interaktionen. Spezifische und überprüfbare Interaktionsmechanismen werden jedoch selten beschrieben und wenn, greifen sie kaum auf bestehendes Wissen zu den psychologischen Prozessen der Verhaltenssteuerung zurück. Basierend auf Kuhls (2001) PSI-Theorie untersucht diese Arbeit die moderierende Rolle des Persönlichkeitsmerkmals Neurotizismus hinsichtlich der Vorhersagekraft personaler und umweltbezogener Risikofaktoren kriminellen Verhaltens. Es werden zwei Interaktionshypothesen formuliert: (a) Die Interaktionshypothese Neurotizismus × soziales Umfeld besagt, dass Neurotizismus den kriminalitätsfördernden Einfluss eines problematischen sozialen Umfeldes verstärken sollte, wohingegen (b) die Interaktionshypothese Neurotizismus × Normbindung besagt, dass Neurotizismus den kriminalitätshemmenden Einfluss einer verbindlichen Einstellung zu Recht und Gesetz abschwächen sollte. Diese Zusammenhänge wurden anhand der Rückfälligkeit Strafgefangener untersucht. Es handelt sich um eine Re-Analyse der Daten der Berliner CRIME-Studie, deren Grundstein im Jahre 1976 gelegt wurde. Für diese Arbeit konnten die Daten von N = 262 männlichen Strafgefangenen analysiert werden. Die Ergebnisse der logistischen Regressionsanalysen bestätigen die Hypothesen weitgehend. Die Studie verdeutlicht, dass die Komplexität der Prozesse krimineller Rückfälligkeit nicht allein durch Haupteffekte abgebildet werden kann.","PeriodicalId":43577,"journal":{"name":"Monatsschrift Fur Kriminologie Und Strafrechtsreform","volume":"8 1","pages":"87 - 101"},"PeriodicalIF":0.5,"publicationDate":"2022-04-01","publicationTypes":"Journal Article","fieldsOfStudy":null,"isOpenAccess":false,"openAccessPdf":"","citationCount":null,"resultStr":null,"platform":"Semanticscholar","paperid":"75481879","PeriodicalName":null,"FirstCategoryId":null,"ListUrlMain":null,"RegionNum":4,"RegionCategory":"社会学","ArticlePicture":[],"TitleCN":null,"AbstractTextCN":null,"PMCID":"","EPubDate":null,"PubModel":null,"JCR":null,"JCRName":null,"Score":null,"Total":0}
Zusammenfassung Der vorliegende Beitrag setzt sich am Beispiel der Publikation von Jana Hinz (Old enough to commit a Crime – Old enough to do the Time?, 2021) mit grundsätzlichen Fragen der Sanktionierung Jugendlicher nach Jugend- oder Erwachsenenstrafrecht und des im anglo-amerikanischen Recht verbreiteten Transfers zu Erwachsenengerichten auseinander. Derartige Herausnahmen aus dem Jugendstrafrecht widersprechen internationalen Menschenrechtsstandards und der grundlegenden Idee des Jugendstrafrechts, mit erzieherisch begründeten und im Grundsatz milderen Sanktionen auf Jugendstraftaten im Vergleich zum Erwachsenenstrafrecht zu reagieren (vermehrte Diversion, Freiheitsentzug nur als extrema ultima ratio etc.). Daher stellt sich in der Tat die Frage, wie internationale jugendstrafrechtliche Mindeststandards in diesem Kontext besser durchgesetzt werden können.
国家地理杂志》" 2021年"这种Herausnahmen从Jugendstrafrecht违背国际Menschenrechtsstandards基本理念的Jugendstrafrechts温和与家里做起,我们的立场和原则中制裁Jugendstraftaten相比Erwachsenenstrafrecht反应(增加处监禁只是作为extrema ultima ratio等等. .)因此,在这种情况下,国际青年最低标准如何能得到更好的执行是一个问题。
{"title":"Die Sanktionierung schwerer Kriminalität Jugendlicher nach Erwachsenenstrafrecht im Licht internationaler Menschenrechtsstandards","authors":"Frieder Dünkel","doi":"10.1515/mks-2022-0004","DOIUrl":"https://doi.org/10.1515/mks-2022-0004","url":null,"abstract":"Zusammenfassung Der vorliegende Beitrag setzt sich am Beispiel der Publikation von Jana Hinz (Old enough to commit a Crime – Old enough to do the Time?, 2021) mit grundsätzlichen Fragen der Sanktionierung Jugendlicher nach Jugend- oder Erwachsenenstrafrecht und des im anglo-amerikanischen Recht verbreiteten Transfers zu Erwachsenengerichten auseinander. Derartige Herausnahmen aus dem Jugendstrafrecht widersprechen internationalen Menschenrechtsstandards und der grundlegenden Idee des Jugendstrafrechts, mit erzieherisch begründeten und im Grundsatz milderen Sanktionen auf Jugendstraftaten im Vergleich zum Erwachsenenstrafrecht zu reagieren (vermehrte Diversion, Freiheitsentzug nur als extrema ultima ratio etc.). Daher stellt sich in der Tat die Frage, wie internationale jugendstrafrechtliche Mindeststandards in diesem Kontext besser durchgesetzt werden können.","PeriodicalId":43577,"journal":{"name":"Monatsschrift Fur Kriminologie Und Strafrechtsreform","volume":"1 1","pages":"173 - 179"},"PeriodicalIF":0.5,"publicationDate":"2022-04-01","publicationTypes":"Journal Article","fieldsOfStudy":null,"isOpenAccess":false,"openAccessPdf":"","citationCount":null,"resultStr":null,"platform":"Semanticscholar","paperid":"86920405","PeriodicalName":null,"FirstCategoryId":null,"ListUrlMain":null,"RegionNum":4,"RegionCategory":"社会学","ArticlePicture":[],"TitleCN":null,"AbstractTextCN":null,"PMCID":"","EPubDate":null,"PubModel":null,"JCR":null,"JCRName":null,"Score":null,"Total":0}
M. Hahnemann, E. Tolasch, Katharina Feld, D. Wittschieber
Zusammenfassung Beim Schütteltrauma-Syndrom (STS) handelt es sich um eine häufige Variante sog. misshandlungsbedingter Kopfverletzungen im Säuglings- und Kleinkindalter und stellt eine besonders schwere Form der Kindesmisshandlung dar. Wenig ist bekannt über den sozioökonomischen Hintergrund von geständigen Täter*innen eines STS.Grundlage des multizentrisch aus drei Instituten für Rechtsmedizin erstellten Fallkollektivs bildeten 72 rechtsmedizinische Gutachten in strafrechtlich abgeschlossenen STS-Fällen zu lebenden Säuglingen und Kleinkindern aus den Jahren 2006 bis 2015. Die eigentliche Studienkohorte umfasst 16 tatverdächtige Personen (4 Frauen und 12 Männer), die zuvor im Rahmen einer umfangreichen Analyse der zugehörigen fallassoziierten Gerichtsakten identifiziert wurden und im Laufe des Strafverfahrens ein Tatgeständnis abgelegt hatten.Ein Tatgeständnis wurde in der vorliegenden Untersuchung überwiegend bei Tatverdächtigen mit einer geringen Bildung, einem geringen Berufsstatus und einem geringen Einkommen vorgefunden. Ein niedriger Status dieser 3 Merkmale entspricht dabei im Wesentlichen einem niedrigen sozioökonomischen Status. Nur solche Personen waren demnach bereit, ein entsprechendes Tatgeständnis abzulegen. Auffällig dabei ist, dass Personen mit höherem sozioökonomischem Status in der vorliegenden Studienkohorte nicht vorzufinden waren und dementsprechend auch kein Tatgeständnis ablegten.Die vorliegenden Daten unterstützen daher die Vermutung, dass die Bereitschaft zum Ablegen eines Tatgeständnisses im Rahmen einer Kindesmisshandlung in Gesellschaftsschichten mit höherem sozioökonomischem Status vergleichsweise geringer ausgeprägt sein könnte als bei Personen mit niedrigerem sozioökonomischem Status. Der Aspekt der »selektiven Sichtbarkeit von Täter*innen« sollte bei präventiven Konzepten berücksichtigt werden.
{"title":"Gewalt gegen Kinder mittels Schütteltrauma: Kriminalsoziologische Untersuchungen zum sozioökonomischen Status tatverdächtiger Personen mit abgegebenem Tatgeständnis","authors":"M. Hahnemann, E. Tolasch, Katharina Feld, D. Wittschieber","doi":"10.1515/mks-2021-0145","DOIUrl":"https://doi.org/10.1515/mks-2021-0145","url":null,"abstract":"Zusammenfassung Beim Schütteltrauma-Syndrom (STS) handelt es sich um eine häufige Variante sog. misshandlungsbedingter Kopfverletzungen im Säuglings- und Kleinkindalter und stellt eine besonders schwere Form der Kindesmisshandlung dar. Wenig ist bekannt über den sozioökonomischen Hintergrund von geständigen Täter*innen eines STS.Grundlage des multizentrisch aus drei Instituten für Rechtsmedizin erstellten Fallkollektivs bildeten 72 rechtsmedizinische Gutachten in strafrechtlich abgeschlossenen STS-Fällen zu lebenden Säuglingen und Kleinkindern aus den Jahren 2006 bis 2015. Die eigentliche Studienkohorte umfasst 16 tatverdächtige Personen (4 Frauen und 12 Männer), die zuvor im Rahmen einer umfangreichen Analyse der zugehörigen fallassoziierten Gerichtsakten identifiziert wurden und im Laufe des Strafverfahrens ein Tatgeständnis abgelegt hatten.Ein Tatgeständnis wurde in der vorliegenden Untersuchung überwiegend bei Tatverdächtigen mit einer geringen Bildung, einem geringen Berufsstatus und einem geringen Einkommen vorgefunden. Ein niedriger Status dieser 3 Merkmale entspricht dabei im Wesentlichen einem niedrigen sozioökonomischen Status. Nur solche Personen waren demnach bereit, ein entsprechendes Tatgeständnis abzulegen. Auffällig dabei ist, dass Personen mit höherem sozioökonomischem Status in der vorliegenden Studienkohorte nicht vorzufinden waren und dementsprechend auch kein Tatgeständnis ablegten.Die vorliegenden Daten unterstützen daher die Vermutung, dass die Bereitschaft zum Ablegen eines Tatgeständnisses im Rahmen einer Kindesmisshandlung in Gesellschaftsschichten mit höherem sozioökonomischem Status vergleichsweise geringer ausgeprägt sein könnte als bei Personen mit niedrigerem sozioökonomischem Status. Der Aspekt der »selektiven Sichtbarkeit von Täter*innen« sollte bei präventiven Konzepten berücksichtigt werden.","PeriodicalId":43577,"journal":{"name":"Monatsschrift Fur Kriminologie Und Strafrechtsreform","volume":"14 1","pages":"164 - 172"},"PeriodicalIF":0.5,"publicationDate":"2022-04-01","publicationTypes":"Journal Article","fieldsOfStudy":null,"isOpenAccess":false,"openAccessPdf":"","citationCount":null,"resultStr":null,"platform":"Semanticscholar","paperid":"75534297","PeriodicalName":null,"FirstCategoryId":null,"ListUrlMain":null,"RegionNum":4,"RegionCategory":"社会学","ArticlePicture":[],"TitleCN":null,"AbstractTextCN":null,"PMCID":"","EPubDate":null,"PubModel":null,"JCR":null,"JCRName":null,"Score":null,"Total":0}
Zusammenfassung Mittels einer Expertenbefragung wurden Informationen zum Vorfeld von Wiederaufnahmeanträgen erhoben. Hierfür wurden erstmals beide gesetzlich vorgesehenen Antragsteller:innen von Wiederaufnahmeanträgen – 10 Strafverteidiger:innen sowie 11 Staatsanwält:innen – zu ihren Erfahrungen mit Wiederaufnahmeanträgen befragt.Es ließen sich drei unterschiedliche Problemkonstellationen identifizieren: a) mögliche Verurteilung von Unschuldigen, b) möglicher Freispruch von Schuldigen, c) mögliche fehlerhafte Rechtsfolgen (Anträge zugunsten von Verurteilten), bei denen die Täterschaft des Verurteilten nicht in Frage steht. Strafverteidiger:innen bezogen sich ausschließlich auf die Konstellation a); Staatsanwält:innen berichteten überwiegend über Erfahrungen mit Konstellation c), in dieser Befragtengruppe fanden sich aber Erfahrungen mit allen drei Konstellationen.Nach den Ergebnissen der vorliegenden Befragungen streben Staatsanwält:nnen nach Rechtskraft eines Urteils in der Regel keine weiteren Ermittlungen an, sondern werden mit Wiederaufnahmeanträgen dann aktiv, wenn ein eindeutiger Wiederaufnahmegrund (z. B. unerkannte Doppelverfolgung, fehlerhafte Gesamtstrafenbildung) bereits vorliegt. Von der Mehrzahl der Strafverteidiger:innen wurden fehlerhafte Sachverständigengutachten und eine unkritische Würdigung der Gutachten durch die Gerichte als häufige Fehlerquelle angegeben; als weitere häufige Fehlerquelle wurden falsche Zeugenaussagen genannt. Solchen Wiederaufnahmeanträgen müssen oft Ermittlungen vorausgehen, um neue Beweismittel bzw. Tatsachen zu finden oder zu schaffen.Der Zugang zu Wiederaufnahmeverfahren für Verurteilte ist nach den Ergebnissen der Befragung aktuell insbesondere durch Probleme der Finanzierung (sowohl der anwaltlichen Tätigkeit als auch von Ermittlungstätigkeiten inklusive neuer Sachverständigengutachten) und dem Umstand, dass nur wenige Strafverteidiger:innen über spezialisiertes Wissen zum Wiederaufnahmerecht verfügen, erschwert.Die Regelungen der §§ 359, 362 StPO wurden von den meisten Befragten in beiden Expertengruppen nicht prinzipiell kritisiert, sondern als zweckmäßig erachtet. Von Seiten der Strafverteidiger:innen wurde jedoch eine restriktive Handhabung und Rechtsprechung beklagt. Ferner wurden Reformen außerhalb des Wiederaufnahmerechts vorgeschlagen, die den Nachweis einer Fehlverurteilung erleichtern, wie eine audio(visuelle) Protokollierung der Hauptverhandlung.
{"title":"Der Weg zur Wiederaufnahme – Eine Expertenbefragung zum Vorfeld von Wiederaufnahmeverfahren","authors":"Mona Leve, J. Otzipka, R. Volbert","doi":"10.1515/mks-2021-0147","DOIUrl":"https://doi.org/10.1515/mks-2021-0147","url":null,"abstract":"Zusammenfassung Mittels einer Expertenbefragung wurden Informationen zum Vorfeld von Wiederaufnahmeanträgen erhoben. Hierfür wurden erstmals beide gesetzlich vorgesehenen Antragsteller:innen von Wiederaufnahmeanträgen – 10 Strafverteidiger:innen sowie 11 Staatsanwält:innen – zu ihren Erfahrungen mit Wiederaufnahmeanträgen befragt.Es ließen sich drei unterschiedliche Problemkonstellationen identifizieren: a) mögliche Verurteilung von Unschuldigen, b) möglicher Freispruch von Schuldigen, c) mögliche fehlerhafte Rechtsfolgen (Anträge zugunsten von Verurteilten), bei denen die Täterschaft des Verurteilten nicht in Frage steht. Strafverteidiger:innen bezogen sich ausschließlich auf die Konstellation a); Staatsanwält:innen berichteten überwiegend über Erfahrungen mit Konstellation c), in dieser Befragtengruppe fanden sich aber Erfahrungen mit allen drei Konstellationen.Nach den Ergebnissen der vorliegenden Befragungen streben Staatsanwält:nnen nach Rechtskraft eines Urteils in der Regel keine weiteren Ermittlungen an, sondern werden mit Wiederaufnahmeanträgen dann aktiv, wenn ein eindeutiger Wiederaufnahmegrund (z. B. unerkannte Doppelverfolgung, fehlerhafte Gesamtstrafenbildung) bereits vorliegt. Von der Mehrzahl der Strafverteidiger:innen wurden fehlerhafte Sachverständigengutachten und eine unkritische Würdigung der Gutachten durch die Gerichte als häufige Fehlerquelle angegeben; als weitere häufige Fehlerquelle wurden falsche Zeugenaussagen genannt. Solchen Wiederaufnahmeanträgen müssen oft Ermittlungen vorausgehen, um neue Beweismittel bzw. Tatsachen zu finden oder zu schaffen.Der Zugang zu Wiederaufnahmeverfahren für Verurteilte ist nach den Ergebnissen der Befragung aktuell insbesondere durch Probleme der Finanzierung (sowohl der anwaltlichen Tätigkeit als auch von Ermittlungstätigkeiten inklusive neuer Sachverständigengutachten) und dem Umstand, dass nur wenige Strafverteidiger:innen über spezialisiertes Wissen zum Wiederaufnahmerecht verfügen, erschwert.Die Regelungen der §§ 359, 362 StPO wurden von den meisten Befragten in beiden Expertengruppen nicht prinzipiell kritisiert, sondern als zweckmäßig erachtet. Von Seiten der Strafverteidiger:innen wurde jedoch eine restriktive Handhabung und Rechtsprechung beklagt. Ferner wurden Reformen außerhalb des Wiederaufnahmerechts vorgeschlagen, die den Nachweis einer Fehlverurteilung erleichtern, wie eine audio(visuelle) Protokollierung der Hauptverhandlung.","PeriodicalId":43577,"journal":{"name":"Monatsschrift Fur Kriminologie Und Strafrechtsreform","volume":"34 1","pages":"113 - 144"},"PeriodicalIF":0.5,"publicationDate":"2022-04-01","publicationTypes":"Journal Article","fieldsOfStudy":null,"isOpenAccess":false,"openAccessPdf":"","citationCount":null,"resultStr":null,"platform":"Semanticscholar","paperid":"78645512","PeriodicalName":null,"FirstCategoryId":null,"ListUrlMain":null,"RegionNum":4,"RegionCategory":"社会学","ArticlePicture":[],"TitleCN":null,"AbstractTextCN":null,"PMCID":"","EPubDate":null,"PubModel":null,"JCR":null,"JCRName":null,"Score":null,"Total":0}
Zusammenfassung In der Diskussion über die Ersatzfreiheitsstrafe in Deutschland wird Schweden häufig zum Vergleich herangezogen, allerdings ist das genaue Vorgehen weitgehend unbekannt. Der vorliegende Text stellt die Vorgehensweise bei der Verhängung und Vollstreckung von Geld- und Ersatzfreiheitsstrafen in Schweden dar und zieht den Vergleich zu Deutschland. Genau wie in Deutschland werden auch in Schweden viele Geldstrafen über Strafbefehle verhängt, dort muss der/die Verurteilte dem Strafbefehl allerdings zustimmen. Wesentliche Unterschiede zeigen sich bei den Tagessatzhöhen, die in Schweden von Gesetzes wegen deutlich niedriger sind (5 €–100 €). Die Berechnung erfolgt dort zudem nach dem Einbußeprinzip, nicht wie in Deutschland nach den Nettoeinkommensprinzip. Die Vollstreckung verhängter Geldstrafen übernimmt in Schweden nicht die Staatsanwaltschaft, sondern das Amt für Beitreibung (Kronofogden). Weiterhin werden nur dann Ersatzfreiheitsstrafen vollstreckt, wenn Zahlungsunwilligkeit vorliegt – im Jahr 2019 in 13 Fällen. Das liegt wohl v. a. an der schwedischen Haltung, die den Zweck der Geldstrafe nicht darin sieht, alle unbezahlten Geldstrafen in eine Freiheitsstrafe umzuwandeln, sondern sie im Falle von Zahlungsunfähigkeit fallen zu lassen. Kronofogden prüft zweijährlich, ob der/die Verurteilte inzwischen bezahlen kann. Ist dies nicht der Fall, so verjähren die Strafen nach 5 Jahren. Von den 2015 verhängten Geldstrafen wurden 41,4 % durch Verjährung beendet. Das zeigt den hohen Anteil zahlungsunfähiger Verurteilter.
{"title":"Geldstrafe und Ersatzfreiheitsstrafe in Schweden – Ein Vergleich mit dem deutschen System","authors":"Nicole Bögelein, F. Wilde, Axel Holmgren","doi":"10.1515/mks-2021-0137","DOIUrl":"https://doi.org/10.1515/mks-2021-0137","url":null,"abstract":"Zusammenfassung In der Diskussion über die Ersatzfreiheitsstrafe in Deutschland wird Schweden häufig zum Vergleich herangezogen, allerdings ist das genaue Vorgehen weitgehend unbekannt. Der vorliegende Text stellt die Vorgehensweise bei der Verhängung und Vollstreckung von Geld- und Ersatzfreiheitsstrafen in Schweden dar und zieht den Vergleich zu Deutschland. Genau wie in Deutschland werden auch in Schweden viele Geldstrafen über Strafbefehle verhängt, dort muss der/die Verurteilte dem Strafbefehl allerdings zustimmen. Wesentliche Unterschiede zeigen sich bei den Tagessatzhöhen, die in Schweden von Gesetzes wegen deutlich niedriger sind (5 €–100 €). Die Berechnung erfolgt dort zudem nach dem Einbußeprinzip, nicht wie in Deutschland nach den Nettoeinkommensprinzip. Die Vollstreckung verhängter Geldstrafen übernimmt in Schweden nicht die Staatsanwaltschaft, sondern das Amt für Beitreibung (Kronofogden). Weiterhin werden nur dann Ersatzfreiheitsstrafen vollstreckt, wenn Zahlungsunwilligkeit vorliegt – im Jahr 2019 in 13 Fällen. Das liegt wohl v. a. an der schwedischen Haltung, die den Zweck der Geldstrafe nicht darin sieht, alle unbezahlten Geldstrafen in eine Freiheitsstrafe umzuwandeln, sondern sie im Falle von Zahlungsunfähigkeit fallen zu lassen. Kronofogden prüft zweijährlich, ob der/die Verurteilte inzwischen bezahlen kann. Ist dies nicht der Fall, so verjähren die Strafen nach 5 Jahren. Von den 2015 verhängten Geldstrafen wurden 41,4 % durch Verjährung beendet. Das zeigt den hohen Anteil zahlungsunfähiger Verurteilter.","PeriodicalId":43577,"journal":{"name":"Monatsschrift Fur Kriminologie Und Strafrechtsreform","volume":"4 1","pages":"102 - 112"},"PeriodicalIF":0.5,"publicationDate":"2022-03-22","publicationTypes":"Journal Article","fieldsOfStudy":null,"isOpenAccess":false,"openAccessPdf":"","citationCount":null,"resultStr":null,"platform":"Semanticscholar","paperid":"85584640","PeriodicalName":null,"FirstCategoryId":null,"ListUrlMain":null,"RegionNum":4,"RegionCategory":"社会学","ArticlePicture":[],"TitleCN":null,"AbstractTextCN":null,"PMCID":"","EPubDate":null,"PubModel":null,"JCR":null,"JCRName":null,"Score":null,"Total":0}
Zusammenfassung Menschen mit einer psychischen Erkrankung weisen ein höheres Risiko auf, Opfer einer Straftat zu werden, als Personen ohne eine solche Erkrankung. Darüber hinaus spricht viel dafür, dass sie als besonders vulnerable Personengruppe vergleichsweise umfangreiche Unterstützung im Strafverfahren benötigen. Dies kann die in solchen Verfahren agierenden Berufsakteur:innen in allen Verfahrensstadien vor besondere Herausforderungen stellen. In einer an der Universität Bielefeld im Rahmen des Projekts „Viktimisierung, Recht und Opferschutz“ (kurz: ViReO) durchgeführten qualitativen Studie wurden Expert:innen zu ihren Erfahrungen mit Strafverfahren befragt, in welche schwer psychisch kranke Opferzeug:innen involviert waren. Dabei wurde unter anderem die psychosoziale Prozessbegleitung als eine Unterstützungsmöglichkeit für betroffene Opferzeug:innen und als Entlastung für Polizei und Justiz thematisiert.
{"title":"Herausforderungen von Strafverfahren mit psychisch kranken Opfern – die psychosoziale Prozessbegleitung als möglicher Bewältigungsansatz? Ein Dialog mit Expertinnen und Experten","authors":"M. Lindemann, Janita Menke, Katharina Frenser","doi":"10.1515/mks-2021-0156","DOIUrl":"https://doi.org/10.1515/mks-2021-0156","url":null,"abstract":"Zusammenfassung Menschen mit einer psychischen Erkrankung weisen ein höheres Risiko auf, Opfer einer Straftat zu werden, als Personen ohne eine solche Erkrankung. Darüber hinaus spricht viel dafür, dass sie als besonders vulnerable Personengruppe vergleichsweise umfangreiche Unterstützung im Strafverfahren benötigen. Dies kann die in solchen Verfahren agierenden Berufsakteur:innen in allen Verfahrensstadien vor besondere Herausforderungen stellen. In einer an der Universität Bielefeld im Rahmen des Projekts „Viktimisierung, Recht und Opferschutz“ (kurz: ViReO) durchgeführten qualitativen Studie wurden Expert:innen zu ihren Erfahrungen mit Strafverfahren befragt, in welche schwer psychisch kranke Opferzeug:innen involviert waren. Dabei wurde unter anderem die psychosoziale Prozessbegleitung als eine Unterstützungsmöglichkeit für betroffene Opferzeug:innen und als Entlastung für Polizei und Justiz thematisiert.","PeriodicalId":43577,"journal":{"name":"Monatsschrift Fur Kriminologie Und Strafrechtsreform","volume":"1 1","pages":"50 - 64"},"PeriodicalIF":0.5,"publicationDate":"2022-01-01","publicationTypes":"Journal Article","fieldsOfStudy":null,"isOpenAccess":false,"openAccessPdf":"","citationCount":null,"resultStr":null,"platform":"Semanticscholar","paperid":"87316301","PeriodicalName":null,"FirstCategoryId":null,"ListUrlMain":null,"RegionNum":4,"RegionCategory":"社会学","ArticlePicture":[],"TitleCN":null,"AbstractTextCN":null,"PMCID":"","EPubDate":null,"PubModel":null,"JCR":null,"JCRName":null,"Score":null,"Total":0}