Anne Kaplan, L. Schneider, M. Scharnberg, F. Metzner
Zusammenfassung Einleitung Freiheitsentziehende Institutionen haben einen rechtlich normierten Auftrag zur sexuellen Gesundheitsförderung und Bildung. Maßnahmen zur sexuellen Gesundheitsförderung sollen gemäß der Ottawa-Charta der World Health Organization von 1986 ganzheitlich auf einem breiten und intersektionalen Verständnis von Sexualität und sexueller Gesundheit gründen. Nachgewiesene geschlechtsspezifische Unterschiede in der sexuellen Gesundheitskompetenz und im Sexualverhalten sollen darin berücksichtigt werden. Angebote sexueller Gesundheitsförderung in geschlossenen Einrichtungen sind bisher allerdings kaum dokumentiert. Forschungsziele In diesem Beitrag soll der internationale Forschungsstand zu geschlechtsspezifischer sexueller Gesundheitsförderung in geschlossenen, freiheitsentziehenden Einrichtungen zusammengefasst und diskutiert werden. Methoden Es wurde ein systematisches Literaturreview durchgeführt, um publizierte Konzepte und Studien zum genannten Themenspektrum zusammenzutragen. Dazu wurden sechs wissenschaftliche Datenbanken bis zum Stichtag 6. Oktober 2021 nach relevanten Publikationen auf Deutsch und Englisch durchsucht. Von k = 365 identifizierten Publikationen entsprachen k = 3 Studien nach der Bewertung durch zwei Reviewerinnen*1 allen 13 a priori festgelegten Einschlusskriterien (z. B. Publikation mit Peer-Review). Ergebnisse Festgestellt wurde ein großes Desiderat hinsichtlich evidenzbasierter Maßnahmen zur sexuellen Gesundheitsförderung in freiheitsentziehenden Einrichtungen. Es mangelt bei den wenigen, ausschließlich im nordamerikanischen Raum untersuchten Programmen an einem breiten Verständnis von Sexualität und sexueller Gesundheit. Die identifizierten Programme sind hauptsächlich auf einen Gefahren abwehrenden Sexualitätsbegriff gerichtet. Schlussfolgerung Menschen in Freiheitsentzug erscheinen von wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Diskursen über Sexualität und sexuelle Gesundheit bisher weitgehend ausgeklammert zu sein. Evidenzbasierte Programme der sexuellen Gesundheitsförderung in geschlossenen Einrichtungen des Freiheitsentzuges sollten daher entwickelt und implementiert werden. Zentrale Themen wie (eigene) Geschlechtsidentitäten, Bindung und Partnerschaft oder Geschlechterrollen gilt es darin zu verhandeln und gemeinsam mit den Menschen in Freiheitsentzug kritisch zu reflektieren.
{"title":"Geschlechtsspezifische sexuelle Gesundheitsförderung in geschlossenen Einrichtungen. Ein systematisches Review zum internationalen Forschungsstand","authors":"Anne Kaplan, L. Schneider, M. Scharnberg, F. Metzner","doi":"10.1055/a-1964-1277","DOIUrl":"https://doi.org/10.1055/a-1964-1277","url":null,"abstract":"Zusammenfassung Einleitung Freiheitsentziehende Institutionen haben einen rechtlich normierten Auftrag zur sexuellen Gesundheitsförderung und Bildung. Maßnahmen zur sexuellen Gesundheitsförderung sollen gemäß der Ottawa-Charta der World Health Organization von 1986 ganzheitlich auf einem breiten und intersektionalen Verständnis von Sexualität und sexueller Gesundheit gründen. Nachgewiesene geschlechtsspezifische Unterschiede in der sexuellen Gesundheitskompetenz und im Sexualverhalten sollen darin berücksichtigt werden. Angebote sexueller Gesundheitsförderung in geschlossenen Einrichtungen sind bisher allerdings kaum dokumentiert. Forschungsziele In diesem Beitrag soll der internationale Forschungsstand zu geschlechtsspezifischer sexueller Gesundheitsförderung in geschlossenen, freiheitsentziehenden Einrichtungen zusammengefasst und diskutiert werden. Methoden Es wurde ein systematisches Literaturreview durchgeführt, um publizierte Konzepte und Studien zum genannten Themenspektrum zusammenzutragen. Dazu wurden sechs wissenschaftliche Datenbanken bis zum Stichtag 6. Oktober 2021 nach relevanten Publikationen auf Deutsch und Englisch durchsucht. Von k = 365 identifizierten Publikationen entsprachen k = 3 Studien nach der Bewertung durch zwei Reviewerinnen*1 allen 13 a priori festgelegten Einschlusskriterien (z. B. Publikation mit Peer-Review). Ergebnisse Festgestellt wurde ein großes Desiderat hinsichtlich evidenzbasierter Maßnahmen zur sexuellen Gesundheitsförderung in freiheitsentziehenden Einrichtungen. Es mangelt bei den wenigen, ausschließlich im nordamerikanischen Raum untersuchten Programmen an einem breiten Verständnis von Sexualität und sexueller Gesundheit. Die identifizierten Programme sind hauptsächlich auf einen Gefahren abwehrenden Sexualitätsbegriff gerichtet. Schlussfolgerung Menschen in Freiheitsentzug erscheinen von wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Diskursen über Sexualität und sexuelle Gesundheit bisher weitgehend ausgeklammert zu sein. Evidenzbasierte Programme der sexuellen Gesundheitsförderung in geschlossenen Einrichtungen des Freiheitsentzuges sollten daher entwickelt und implementiert werden. Zentrale Themen wie (eigene) Geschlechtsidentitäten, Bindung und Partnerschaft oder Geschlechterrollen gilt es darin zu verhandeln und gemeinsam mit den Menschen in Freiheitsentzug kritisch zu reflektieren.","PeriodicalId":44203,"journal":{"name":"Zeitschrift Fur Sexualforschung","volume":"35 1","pages":"197 - 208"},"PeriodicalIF":0.6,"publicationDate":"2022-12-01","publicationTypes":"Journal Article","fieldsOfStudy":null,"isOpenAccess":false,"openAccessPdf":"","citationCount":null,"resultStr":null,"platform":"Semanticscholar","paperid":"44314850","PeriodicalName":null,"FirstCategoryId":null,"ListUrlMain":null,"RegionNum":4,"RegionCategory":"心理学","ArticlePicture":[],"TitleCN":null,"AbstractTextCN":null,"PMCID":"","EPubDate":null,"PubModel":null,"JCR":null,"JCRName":null,"Score":null,"Total":0}
Zusammenfassung „Alles über Liebe, Sex und Pubertät mit Vicky, Philipp und Max“ – das verspricht der Sexualaufklärungskanal „wahrscheinlich peinlich“ des MDR, der über das öffentlich-rechtliche Online-Angebot funk ausgespielt wird. Der vorliegende Praxisbeitrag beschreibt, wie der TikTok-Kanal gestaltet wird und welchen Beitrag Studierende der Sexualwissenschaft von der Hochschule Merseburg dabei in puncto Beratung und Evaluation leisten. Besonderheiten der TikTok-Kurzvideos und ihr Einsatz in der Sexuellen Bildung werden skizziert.
{"title":"Der TikTok-Aufklärungskanal „wahrscheinlich peinlich“ (MDR/funk)","authors":"Gorrety Ohms","doi":"10.1055/a-1964-1107","DOIUrl":"https://doi.org/10.1055/a-1964-1107","url":null,"abstract":"Zusammenfassung „Alles über Liebe, Sex und Pubertät mit Vicky, Philipp und Max“ – das verspricht der Sexualaufklärungskanal „wahrscheinlich peinlich“ des MDR, der über das öffentlich-rechtliche Online-Angebot funk ausgespielt wird. Der vorliegende Praxisbeitrag beschreibt, wie der TikTok-Kanal gestaltet wird und welchen Beitrag Studierende der Sexualwissenschaft von der Hochschule Merseburg dabei in puncto Beratung und Evaluation leisten. Besonderheiten der TikTok-Kurzvideos und ihr Einsatz in der Sexuellen Bildung werden skizziert.","PeriodicalId":44203,"journal":{"name":"Zeitschrift Fur Sexualforschung","volume":"35 1","pages":"229 - 232"},"PeriodicalIF":0.6,"publicationDate":"2022-12-01","publicationTypes":"Journal Article","fieldsOfStudy":null,"isOpenAccess":false,"openAccessPdf":"","citationCount":null,"resultStr":null,"platform":"Semanticscholar","paperid":"41509064","PeriodicalName":null,"FirstCategoryId":null,"ListUrlMain":null,"RegionNum":4,"RegionCategory":"心理学","ArticlePicture":[],"TitleCN":null,"AbstractTextCN":null,"PMCID":"","EPubDate":null,"PubModel":null,"JCR":null,"JCRName":null,"Score":null,"Total":0}
{"title":"Erratum: Drei Fachbücher zu kindlicher Sexualität","authors":"","doi":"10.1055/a-1943-0052","DOIUrl":"https://doi.org/10.1055/a-1943-0052","url":null,"abstract":"","PeriodicalId":44203,"journal":{"name":"Zeitschrift Fur Sexualforschung","volume":" ","pages":""},"PeriodicalIF":0.6,"publicationDate":"2022-09-01","publicationTypes":"Journal Article","fieldsOfStudy":null,"isOpenAccess":false,"openAccessPdf":"","citationCount":null,"resultStr":null,"platform":"Semanticscholar","paperid":"46413665","PeriodicalName":null,"FirstCategoryId":null,"ListUrlMain":null,"RegionNum":4,"RegionCategory":"心理学","ArticlePicture":[],"TitleCN":null,"AbstractTextCN":null,"PMCID":"","EPubDate":null,"PubModel":null,"JCR":null,"JCRName":null,"Score":null,"Total":0}
{"title":"Sexuelle Bildung aus christlicher Perspektive. Für Erziehung, Pädagogik und Gemeindepraxis","authors":"","doi":"10.1055/a-1912-7039","DOIUrl":"https://doi.org/10.1055/a-1912-7039","url":null,"abstract":"","PeriodicalId":44203,"journal":{"name":"Zeitschrift Fur Sexualforschung","volume":" ","pages":""},"PeriodicalIF":0.6,"publicationDate":"2022-09-01","publicationTypes":"Journal Article","fieldsOfStudy":null,"isOpenAccess":false,"openAccessPdf":"","citationCount":null,"resultStr":null,"platform":"Semanticscholar","paperid":"47232049","PeriodicalName":null,"FirstCategoryId":null,"ListUrlMain":null,"RegionNum":4,"RegionCategory":"心理学","ArticlePicture":[],"TitleCN":null,"AbstractTextCN":null,"PMCID":"","EPubDate":null,"PubModel":null,"JCR":null,"JCRName":null,"Score":null,"Total":0}
{"title":"Psychotherapeutische Arbeit mit trans* Personen. Handbuch für die Gesundheitsversorgung","authors":"","doi":"10.1055/a-1873-1648","DOIUrl":"https://doi.org/10.1055/a-1873-1648","url":null,"abstract":"","PeriodicalId":44203,"journal":{"name":"Zeitschrift Fur Sexualforschung","volume":" ","pages":""},"PeriodicalIF":0.6,"publicationDate":"2022-09-01","publicationTypes":"Journal Article","fieldsOfStudy":null,"isOpenAccess":false,"openAccessPdf":"","citationCount":null,"resultStr":null,"platform":"Semanticscholar","paperid":"48328626","PeriodicalName":null,"FirstCategoryId":null,"ListUrlMain":null,"RegionNum":4,"RegionCategory":"心理学","ArticlePicture":[],"TitleCN":null,"AbstractTextCN":null,"PMCID":"","EPubDate":null,"PubModel":null,"JCR":null,"JCRName":null,"Score":null,"Total":0}
In Deutschland kann – bei schwerwiegender Gefahr für das Leben oder die Gesundheit einer Schwangeren – nach einer medizinischen Indikation durch eine*n Ärzt*in eine Schwangerschaft auch im zweiten oder dritten Trimenon abgebrochen werden. Ein solcher Abbruch geht meist mit einem schwierigen emotionalen Entscheidungsprozess einher. Jedoch ist diese Entscheidung nicht die einzige Herausforderung, der sich Schwangere bei einem Abbruch nach der 14. Schwangerschaftswoche p. m. stellen müssen. Bereits eine Einrichtung zu finden, in der eine medizinische Indikation ausgestellt bzw. der sogenannte „späte“ Abbruch durchgeführt wird, kann unter anderem aufgrund nur schwer zugänglicher Informationen für Betroffene herausfordernd sein. Im Rahmen einer explorativen Studie 1 wurden Daten zur medizinischen Versorgung bei Schwangerschaftsabbrüchen im zweiten und dritten Trimenon erhoben, basierend auf Expert*inneninterviews und einer Online-Befragung von medizinischen Einrichtungen. Die Studie weist auf vorhandene Hürden im Zugang zu medizinischen Indikationen sowie unterschiedliche Bewertungen medizinischer Diagnosen für das Ausstellen einer Indikation hin. Zudem wird deutlich, dass die Verfahrensweisen der Kliniken zur Umsetzung des Abbruchs unterschiedlich und für Betroffene wenig transparent sind. Für eine gute Versorgung bei Schwangerschaftsabbrüchen sind eine multidisziplinäre Zusammenarbeit und Transparenz über vorhandene Angebote wie auch Verfahrensweisen unentbehrlich.
{"title":"Klinische Angebote zum Schwangerschaftsabbruch im zweiten und dritten Trimenon – eine explorative Erhebung zur aktuellen Versorgungslage","authors":"M. Böhm, Romy Nitzsche, Johanna Walsch","doi":"10.1055/a-1893-3158","DOIUrl":"https://doi.org/10.1055/a-1893-3158","url":null,"abstract":"In Deutschland kann – bei schwerwiegender Gefahr für das Leben oder die Gesundheit einer Schwangeren – nach einer medizinischen Indikation durch eine*n Ärzt*in eine Schwangerschaft auch im zweiten oder dritten Trimenon abgebrochen werden. Ein solcher Abbruch geht meist mit einem schwierigen emotionalen Entscheidungsprozess einher. Jedoch ist diese Entscheidung nicht die einzige Herausforderung, der sich Schwangere bei einem Abbruch nach der 14. Schwangerschaftswoche p. m. stellen müssen. Bereits eine Einrichtung zu finden, in der eine medizinische Indikation ausgestellt bzw. der sogenannte „späte“ Abbruch durchgeführt wird, kann unter anderem aufgrund nur schwer zugänglicher Informationen für Betroffene herausfordernd sein. Im Rahmen einer explorativen Studie \u0000 1\u0000 wurden Daten zur medizinischen Versorgung bei Schwangerschaftsabbrüchen im zweiten und dritten Trimenon erhoben, basierend auf Expert*inneninterviews und einer Online-Befragung von medizinischen Einrichtungen. Die Studie weist auf vorhandene Hürden im Zugang zu medizinischen Indikationen sowie unterschiedliche Bewertungen medizinischer Diagnosen für das Ausstellen einer Indikation hin. Zudem wird deutlich, dass die Verfahrensweisen der Kliniken zur Umsetzung des Abbruchs unterschiedlich und für Betroffene wenig transparent sind. Für eine gute Versorgung bei Schwangerschaftsabbrüchen sind eine multidisziplinäre Zusammenarbeit und Transparenz über vorhandene Angebote wie auch Verfahrensweisen unentbehrlich.","PeriodicalId":44203,"journal":{"name":"Zeitschrift Fur Sexualforschung","volume":" ","pages":""},"PeriodicalIF":0.6,"publicationDate":"2022-09-01","publicationTypes":"Journal Article","fieldsOfStudy":null,"isOpenAccess":false,"openAccessPdf":"","citationCount":null,"resultStr":null,"platform":"Semanticscholar","paperid":"47120402","PeriodicalName":null,"FirstCategoryId":null,"ListUrlMain":null,"RegionNum":4,"RegionCategory":"心理学","ArticlePicture":[],"TitleCN":null,"AbstractTextCN":null,"PMCID":"","EPubDate":null,"PubModel":null,"JCR":null,"JCRName":null,"Score":null,"Total":0}
{"title":"Entrechtung durch Schutz. Streitschrift gegen das Prostituiertenschutzgesetz","authors":"","doi":"10.1055/a-1873-3443","DOIUrl":"https://doi.org/10.1055/a-1873-3443","url":null,"abstract":"","PeriodicalId":44203,"journal":{"name":"Zeitschrift Fur Sexualforschung","volume":" ","pages":""},"PeriodicalIF":0.6,"publicationDate":"2022-09-01","publicationTypes":"Journal Article","fieldsOfStudy":null,"isOpenAccess":false,"openAccessPdf":"","citationCount":null,"resultStr":null,"platform":"Semanticscholar","paperid":"47297245","PeriodicalName":null,"FirstCategoryId":null,"ListUrlMain":null,"RegionNum":4,"RegionCategory":"心理学","ArticlePicture":[],"TitleCN":null,"AbstractTextCN":null,"PMCID":"","EPubDate":null,"PubModel":null,"JCR":null,"JCRName":null,"Score":null,"Total":0}
Einleitung Obwohl in vielen Bereichen psychischer Störungen in den letzten Jahrzehnten eine Harmonisierung der Diagnosekategorien gemäß DSM-5 und ICD-11 erreicht wurde, gilt dies für den Bereich der sexuellen Funktionsstörungen nicht. Forschungsziele Anliegen dieser Übersicht ist ein Vergleich der Konzeptionen sexueller Funktionsstörungen in der ICD-11 und im DSM-5. In einem zweiten Schritt sollen Vor- und Nachteile beider Konzeptionen sowie deren Konsequenzen für die Diagnostik, Forschung und Praxis untersucht und kritisch diskutiert werden. Methoden Die Konzeptionen und diagnostischen Entscheidungsregeln sexueller Funktionsstörungen in den zwei Klassifikationssystemen werden gegenübergestellt und hinsichtlich der Gemeinsamkeiten und Unterschiede auf Symptom- und Störungsebene untersucht. Ergebnisse In der ICD-11 werden die sexuellen Funktionsstörungen nicht mehr den psychischen Störungen zugeordnet, sondern in einem neunen Kapitel „Conditions related to sexual health“ verortet. Während sich ICD-11 und DSM-5 in ihren Störungs- und Symptombeschreibungen deutlich angenähert haben, unterscheiden sie sich nun fundamental in ihrem Umgang hinsichtlich der Ätiologie sexueller Funktionsstörungen: Dem neuen integrativen, multifaktoriellen, (in Bezug auf die Diagnosevergabe) nicht-ätiologischen Ansatz der ICD-11 (bei dem aber gleichzeitig eine Ätiologie benannt werden kann) steht der ausschließlich psychische, Ätiologie-geleitete Ansatz des DSM-5 entgegen, der zum Ziel hat, sexuelle Funktionsstörungen isoliert als psychische Störungen zu definieren. Schlussfolgerung Die Unterschiede in der Konzeption sexueller Funktionsstörungen erschweren die internationale Kommunikation und Forschungszusammenarbeit maßgeblich und sind auch für die Anwendungspraxis mit erheblichen Konsequenzen verbunden. Eine einheitliche Klassifikation sexueller Funktionsstörungen wäre daher wünschenswert. Dies scheint aber auch in Zukunft – aufgrund der unterschiedlichen Prioritäten und Zielgruppen der Weltgesundheitsorganisation und der American Psychiatric Association – nicht sehr wahrscheinlich.
{"title":"Divergierende Konzeptionen sexueller Funktionsstörungen in DSM-5 und ICD-11: Konsequenzen für die Diagnostik, Forschung und Praxis","authors":"R. Schwesig, P. Briken, Julia Velten, J. Hoyer","doi":"10.1055/a-1898-2516","DOIUrl":"https://doi.org/10.1055/a-1898-2516","url":null,"abstract":"\u0000 Einleitung Obwohl in vielen Bereichen psychischer Störungen in den letzten Jahrzehnten eine Harmonisierung der Diagnosekategorien gemäß DSM-5 und ICD-11 erreicht wurde, gilt dies für den Bereich der sexuellen Funktionsstörungen nicht.\u0000 Forschungsziele Anliegen dieser Übersicht ist ein Vergleich der Konzeptionen sexueller Funktionsstörungen in der ICD-11 und im DSM-5. In einem zweiten Schritt sollen Vor- und Nachteile beider Konzeptionen sowie deren Konsequenzen für die Diagnostik, Forschung und Praxis untersucht und kritisch diskutiert werden.\u0000 Methoden Die Konzeptionen und diagnostischen Entscheidungsregeln sexueller Funktionsstörungen in den zwei Klassifikationssystemen werden gegenübergestellt und hinsichtlich der Gemeinsamkeiten und Unterschiede auf Symptom- und Störungsebene untersucht.\u0000 Ergebnisse In der ICD-11 werden die sexuellen Funktionsstörungen nicht mehr den psychischen Störungen zugeordnet, sondern in einem neunen Kapitel „Conditions related to sexual health“ verortet. Während sich ICD-11 und DSM-5 in ihren Störungs- und Symptombeschreibungen deutlich angenähert haben, unterscheiden sie sich nun fundamental in ihrem Umgang hinsichtlich der Ätiologie sexueller Funktionsstörungen: Dem neuen integrativen, multifaktoriellen, (in Bezug auf die Diagnosevergabe) nicht-ätiologischen Ansatz der ICD-11 (bei dem aber gleichzeitig eine Ätiologie benannt werden kann) steht der ausschließlich psychische, Ätiologie-geleitete Ansatz des DSM-5 entgegen, der zum Ziel hat, sexuelle Funktionsstörungen isoliert als psychische Störungen zu definieren.\u0000 Schlussfolgerung Die Unterschiede in der Konzeption sexueller Funktionsstörungen erschweren die internationale Kommunikation und Forschungszusammenarbeit maßgeblich und sind auch für die Anwendungspraxis mit erheblichen Konsequenzen verbunden. Eine einheitliche Klassifikation sexueller Funktionsstörungen wäre daher wünschenswert. Dies scheint aber auch in Zukunft – aufgrund der unterschiedlichen Prioritäten und Zielgruppen der Weltgesundheitsorganisation und der American Psychiatric Association – nicht sehr wahrscheinlich.","PeriodicalId":44203,"journal":{"name":"Zeitschrift Fur Sexualforschung","volume":" ","pages":""},"PeriodicalIF":0.6,"publicationDate":"2022-09-01","publicationTypes":"Journal Article","fieldsOfStudy":null,"isOpenAccess":false,"openAccessPdf":"","citationCount":null,"resultStr":null,"platform":"Semanticscholar","paperid":"41907411","PeriodicalName":null,"FirstCategoryId":null,"ListUrlMain":null,"RegionNum":4,"RegionCategory":"心理学","ArticlePicture":[],"TitleCN":null,"AbstractTextCN":null,"PMCID":"","EPubDate":null,"PubModel":null,"JCR":null,"JCRName":null,"Score":null,"Total":0}
Angeschlossen an die Diskussion um Begriffe der Sexualerziehung und Sexuellen Bildung votiert der vorliegende Beitrag dafür, klar definierte Begrifflichkeiten zu verwenden und den wissenschaftlichen Wert der Differenzierung zu sehen. Es werden Definitionen vorgeschlagen, die zu einer Klärung der Diskussion beitragen können.
{"title":"Zur längst überfälligen Diskussion über Begriffe der Sexualpädagogik","authors":"Heinz-Jürgen Voß","doi":"10.1055/a-1874-9243","DOIUrl":"https://doi.org/10.1055/a-1874-9243","url":null,"abstract":"Angeschlossen an die Diskussion um Begriffe der Sexualerziehung und Sexuellen Bildung votiert der vorliegende Beitrag dafür, klar definierte Begrifflichkeiten zu verwenden und den wissenschaftlichen Wert der Differenzierung zu sehen. Es werden Definitionen vorgeschlagen, die zu einer Klärung der Diskussion beitragen können.","PeriodicalId":44203,"journal":{"name":"Zeitschrift Fur Sexualforschung","volume":" ","pages":""},"PeriodicalIF":0.6,"publicationDate":"2022-09-01","publicationTypes":"Journal Article","fieldsOfStudy":null,"isOpenAccess":false,"openAccessPdf":"","citationCount":null,"resultStr":null,"platform":"Semanticscholar","paperid":"46485365","PeriodicalName":null,"FirstCategoryId":null,"ListUrlMain":null,"RegionNum":4,"RegionCategory":"心理学","ArticlePicture":[],"TitleCN":null,"AbstractTextCN":null,"PMCID":"","EPubDate":null,"PubModel":null,"JCR":null,"JCRName":null,"Score":null,"Total":0}